De_Bug (Germany) 055 2002-01
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techno | usa
Alte Bretter, neue Hobel
Bob Brown / Framework
Mittels direkter Herangehensweise versucht der
US-Amerikaner Bob Brown mit seinem Label Framework,
Techno mehr Komplexität und Überraschung
zu verpassen. Experimente und Grooves gegen drögen
Looptechno und für enorme Tanzbarkeit. Neues
File auf der Technolandkarte: Philadelphia.
text: Sascha kösch| bleed@de-bug.de | bleed@de-bug.de
Bob Brown und sein Label Framework
kommen aus einer Szene
von Produzenten, für die Techno
alles ist. Heißt vereinfacht: kein
Pop im Hintergrund, also auch
kein Retro, keine Kunst- oder
Musikschule, also auch keine
klassischen Experimente, keine
Indievergangenheit, also kein
IDM, nur die reine Lehre, und
die begann nach Experimenten,
mit Taperecordern Tracks zusammenzubasteln,
wie bei so vielen
vor allem mit dem Verständnis
von Techno, das Jeff Mills
losgetreten hat. Bob Brown
kommt aus Philadelphia, er weiß
also, was HipHop ist, weiß, dass
man ihn schon daran erkennen
kann, dass er ein typischer Ami
ist ("lass uns auf der Straße treffen,
du weißt doch, wie wir Ami
DJs aussehen") und weiß vor allem,
dass die Entwicklung von
Techno aus dieser Sichtweise ungebrochen
ist.
bis Mitte der 90er eigentlich nur
noch dieser Mainstream aus Looptechno
übrig blieb. Amerika
versank weitestgehend von dieser
Technolandkarte mitsamt einem
ganzen Universum von Labeln,
die sich fast nur noch als Dependancen
in Europa beim Vertrieb
Intregrale halten konnten.
Ausgeblendet wurde dort oft genug
das Wissen um Detroit in
seiner ganzen Vielschichtigkeit
von Yolanda bis Hardwax, seiner
Elektro und Hiphop Referenzen,
aber auch die Disco und Houseevolutionen
bis hin zu den merkwürdigsten
Chicagotracks. Dass
Basic Channel Platten stellenweise
nichts mit dem, was man
heute Dubtechno nennen würde,
zu tun hatten, sondern harte
kompromisslose Schärfe hatten,
dass Vogel auf Magnetic North
hämmerte wie ein Elektronik-
Schmied, dass Rush eigentlich
ganz schön merkwürdige Beats
Die "andere"
Powerbook Posse
Diese "andere" Powerbook Posse
allerdings hat mitnichten vor,
sich in den Welten von postautechre-aphex
Broken Beats mit
Melodie zu verknuffeln, auch
wenn sich erste Überschneidungen
andeuten, und nimmt sich
auch kein Beispiel an dem sogenannten
Minimalismus deutscher
"Prägung", sondern sucht
wie bei Ibrahim Alfa, Tobias
Schmidt, Steve Glencross, Feis,
Berkovi, Vogel, Tarrida, Czubala
usw. nach einer orginär technoiden
Verwandlung von Techno
hin zu mehr Komplexität und
Überraschung. Für eben diese
Art von Musik entwickeln sich
seit langer Zeit schon Epizentren:
Brighton davon das bekannteste,
Scandinavia, Sativae,
Mosquito, Automatic, mit einer
Resonanz auch auf deutschen
Labeln wie Hörspiel, Mutter,
Feis, Neue Heimat, zuweilen
Tresor, und - auch in Berlin -
hat sich seit einiger Zeit unter
der Regie von Cora Schneider
und Mental Industries sowie dem
Possible Music Vertrieb ein neues
Zentrum dieser Art von Musik
entwickelt, zu dem zu gehören
Europa
Wie alle anderen kommt auch er
immer häufiger nach Europa,
weil sich in Amerika nur schwer
für diese Art von Musik eine Szene
entwickeln lässt, damit hat er
es in Philadelphia nicht leichter
als die andere wichtige Powerbook
Posse von Sutekh, Jasper,
Kit Clayton, Twerk bis hin zu
Plug Research und Schematic.
Um seinen Sound hinzubekommen,
hat Brown vor noch gar
nicht so langer Zeit (und seine
neuste EP auf seinem Label Framework
ist eine der ersten von
ihm, die nur auf Powerbook enstand),
sein Studio und die Vorliebe
für Drummachines, die
immer die Basis seiner Tracks
waren, gegen ein Powerbook eingetauscht
und arbeitet, anders als
die oft mit generativen Effekten
werkelnde Westküsten-Szene,
mit einer "Off"-Software Namens
"Mboom" die jetzt "Muzys"
heißt und lustigerweise Abletons
"Live" in der Direktheit des Approaches
nicht ganz unähnlich
ist. Diese Direktheit ist ihm, der
wie viele andere von einer Hardwaresequencer-Patternprogrammierung
her kommt, nicht von
Cubase oder ähnlichem, wichtig,
weil sie unter anderem dafür
sorgt, dass man trotz immer
wichtiger werdender Sound-Experimenten
und bis hin zu kryptisch
gehenden Grooves den
Dancefloor niemals aus den Augen
verliert.
labelüberblick
Deepchord | Eines der unwahrscheinlichsten Detroitlabel
mit kryptisch tiefen monolithischen Dubtracks in
strenger Basic Channel Schule. Man weiß nicht viel über sie,
aber die Tracks unterstützen diesen Mythos perfekt. Jeder
Track Online als MP3. www.deepchord.com
Palette | John Tejadas Label für seine Exkursionen
zwischen reduziertestem Detroitdiscofunk und Minimalismus.
In letzter Zeit fast immer Releases mit seinem Partner
Arian Leviste. Funky bis breakig, weshalb auch Alex Posell
von der befreundeten Drum and Bass Crew San Franciscos
dort releast hat.
Thx | Label aus dem Pool rings um Minus und Plus 8, das
vom dort zuerst releasenden Detroiter Dale Lawrence aka
Theorem geleitet wird und sich zu einem der besten Kollaborationslabel
entwickelt hat. Gäste so far: Stewart Walker,
Sutekh, Swayzak. thx.m-nus.com
Delay | Jasper, der auch Cytrax macht, hatte mit diesem
nun leider eingestellten Label eins der skurrilsten Westcoast
Clicksterfunk Playgrounds mit Anschluss zu DSP Funk.
Minus | Das Vorzeige-Label des Canadiers Richie
Hawtin, das mit Niederflur für eine weitere Reduktion des
Kölner Sounds gesorgt hat und durch seine Propaganda für
Finalscratch nun versucht, die Grenzen zwischen DJ und
Producer weiter zu verwischen. www.m-nus.com
M plant | Robert Hood ist eine der Legenden von Minimalhouse,
auch wenn seine heutigen Releases nur noch am
Rande des Genres stehen, weil er einfach zu rabiat und technoid
in klassischem Detroitstyle losrockt. Dennoch. Gelegentlich
deepe Tracks.
Environ | Warum ist Morgan Geists Label seit einiger
Zeit eher mit Metro Area und Daniel Wang Releases auf
handgestricktem Minimaldiscokurs hier? Weil Morgan zusammen
mit Dan Curtain für die Rauslösung des Funks in
Detroittechno verantwortlich ist und mit seinen Sampleeskapaden
Leute von Herbert beeinflusst und Housestrukturen
in Minimalismus wesentlich eingeleitet hat und via Classic
auch weiter tun wird. www.environrecords.com
Persona Records | Das neue Label von Stewart
Walker, dessen Releases rings um den Globus ihn als einen
der vielseitigsten Sequenzdubminimalhelden etabliert
haben. Hier oft in Coproduktionen und verschiedensten Soundrichtungen.
Ziel: Persönliche Algorithmen. www.personarecords.com
Frankreich
Logistic Records | Das Label von John
Thomas kann als eins der wenigen wichtigen Minimalhouselabel
Frankreichs gelten. Pariser Reduktionistenfunk vom
feinsten. Thomas, Cabanne, Aril Brikah und ab und an ein
Remix von Ark, oder Detroiter Größen. www.logisticrecords.com
Harter Technotracks können mehr sein als harte
technotracks. bob brown weiss das.
Telegraph | Das experimentellere Sublabel von
Logistic auf dem u.a. Ben Nevile von Cycle 74 releast, und
Cabanne seine Funkvorlieben bis hin zu abstraktem Kubismus
steigert.
Dänemark
Limited Ed | Hansen & DJ Daniel haben zwar bislang
erst zwei Eps releast, die dafür aber um so reduzierter.
Housemusik mit Hang zu Gelegenheitspop in komplett erstickendem
Soundgewand.
Schweden
Harter Techno
Im Allgemeinen besteht der
Glaube, dass harte Technotracks
eben harte Technotracks sind,
dass die Leute auf den Partys soviel
Drogen wie möglich
schmeißen, die Welt ein ewiger
Loop ist und die Menschen
schreien, wenn oben was kommt
(Hihats) oder unten was kommt
(Bassdrum). Unter anderem haben
wir auch das Jeff Mills zu
verdanken. Der weiß davon
glücklicherweise nichts und es
kümmert ihn kaum, dass Generationen
von Kids seine Tracks
kopiert und gesamplet haben,
durch die Basisanwendungen ihrer
Software laufen ließen, und
ab gings. Man glaubt, dass Looptechno
daraus irgendwo zwischen
Surgeon, Regis usw. erfunden
wurde, die Schweden das Ganze
weit und breit in einer Allianz
mit den Engländern popularisierten,
und aus dem Gemisch
von harten Technotracks Anfang
machte all die Zeit, all das blieb
irgendwo im Mainstream-Loop
von Nordseetechno hängen. Der
schaffte es entweder, sich (wie bei
z.B. Oliver Ho) in Richtung tribaler
Poly-Rhythmik zu entwickeln
oder eine Parallelwelt
von sequentiell detroitiger Musik
zu erlauben, aber bis auf wenige
große Ausnahmen bewegen sich
mittlerweile selbst Aushängeschilder
der Szene immer mehr
davon weg. Mal Richtung Detroit,
mal Richtung Powerbook, mal
Richtung Soundscape oder sogar
House, aber ihren Hintergrund
vergessen sie deshalb dennoch
nicht.
Bob Brown (neben Titonton,
Bill Youngman, Ibrahim, Lusine
Ici, Michael Forshaw, Eva Cazal,
Aeox und vielen, vielen noch
Kommenden) mehr als glücklich
ist. Vor allem weil in diesem
Rahmen vom brachialen Experiment
bis hin zu groovig detroitigen
Tracks auf einmal wieder alles
möglich geworden ist und alles
wieder tanzbar ist.
Africa Aware
Grade weil sich Bob Brown irgendwie
auch als Computer Information
Systems College Absolvent
und selbsternannter
Part-Time Nerd versteht, ist die
Direktheit auch eine Anerkennung
und ein Dank an den Kontext,
aus dem heraus seine Musik
egal ob beim Produzieren oder
als DJ entsteht. Den Kontext
Dancefloor genau so wie den der
Geschichte von Techno mit allen
Implikationen, weshalb er, mit
einem Lineup, das so ungefähr
jeden, der einen Namen in dieser
Szene hat, kürzlich eine Doppel
CD Namens "Africa Aware"
zur Hebung des Bewusstseins der
Afrika ruinierenden Verbreitung
von Aids koordinierte.
Dubwise | Neues Malmoer Label mit Eps von Issac
Spayes und D.F.T. das wie so viele klassische Dubhousetracks
allerdings mit starkem Hang zu Reggea machen. Wird gerade
sehr gut.
Phunctional | Wir vermuten mal, auch das hier
ist ein Label von Mike Punk aka Jeff Bennett, der sich ja zur
Zeit überall mit seinen schweren graden Dubmonstern
blicken lässt.
Stuporsonika | Dwayne Sodahberks Label aus
Stockholm gehört bestimmt zum experimentellsten, was aus
Schweden zur Zeit kommt. Reduzierte Tracks von vielen Kids
irgendwo zwischen analogem Sound Elektros und dem kubistischen
Kicken von Bell. www.stuporsonika.com
Kung-fu Dub | Label für die dublastigsten Produktionen
von Jeff Bennett.
Island
Thule Records | Bekannt geworden durch ihre
tiefen Dubtracks von Thor und anderen, ist Thule immer
mehr zu einem technoideren Label Islands geworden. Die
ruhigeren housigere Tracks landen auf dem Sublabel Tissju.