De_Bug (Germany) 055 2002-01
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de:Bug 055 | 0102 [20]
zürich
Alles ein 'beatseli' anders…
Zürich und Substrat
In Zürich treffen Verspieltes und Konkretes nicht nur in der Elektronik aufeinander.
Einen Nährboden für beide Positionen bildete die legendäre Clublounge Substrat.
Im November erscheint die 2CD-Compilation "Substrat - Innovation durch Irritation"
und gibt Aufschluss über die Produktivität einer heimlichen Subkulturhauptstadt.
“Falscher Film, Alter!” dachte sich das neugierige Rind.
text: katja stiehr | camp-cogito@gmx.net | foto: Simone scardovelli
Seit gut zwei Jahren entdecken wir in
Plattenläden oder DJ-Sets immer
mal wieder eine kleine Perle aus Alpennähe.
"Klettermax" - jetzt "Golden
Boy" - gehört wohl zu den meist beachteten
Acts aus Zürich und hat
nun auch als erster den Sprung zum
internationalen Label (Ladomat)
geschafft. Aber auch "Styro2000"
und "Bang Goes" waren mit ihren Releases
auf dem Label "Bruchstücke" in
vielen Sets präsent. Ein fröhlicher,
dampfiger Groove war da zu hören.
Eine kleine Vorahnung machte sich
breit, das dort, wo diese Beats herstammen,
vielleicht noch mehr zu
entdecken ist. Den meisten unter
uns ist Zürich bekannt als die Stadt,
"Stattmusik" einen Doppel-CD-Rundumschlag
des Zürcher Elektronikkosmos.
Auf zweimal 74 Minuten
erwarten den Hörer 22 Tracks von 21
Zürcher Produzenten (ein Berner
hat sich eingeschlichen), schlicht aneinandergereiht
wie deren Auftritte
im gastgebenden Substrat. Viele dieser
Tracks grooven gewaltig, andere
sind feinsinnig und diffizil und haben
absolut nichts mit Party zu tun.
Die Clublounge Substrat war den
Zürchern ein willkommener Spielplatz,
um sich selbst zu finden. Philipp
Meier, aka Metastar, ist geistiger
Vater und Macher des Substrat. Seit
Mai 1998 hat er an 111 Abenden 90
DJs, 111 Live-Acts und 87
Feierlust und Produktivität
Produktiv ist Zürich allemal, nur
wahrgenommen hat man das außerhalb
der Stadtgrenzen bisher kaum.
Releases aus Zürich waren bisher rar,
Flyer fliegen nicht bis Köln, und
Schweizer Modelabels sind nicht in
Mitte zu finden. Noch nicht. "In dieser
Stadt wird wirklich sehr gern gefeiert, so
gern, dass wir darüber das Produzieren fast
vergessen hätten", resümiert Marcel
Ackerknecht aka Styro2000, selbst
ein Aktivist der ersten Stunde. Denn
das feierhungrige Völkchen der
Zwingli-Nachkommen lebt das historisch
verwurzelte 'ora et labora'
tatsächlich etwas eigenwillig aus: gearbeitet
wird an der Bar, im Atelier
oder im Studio, gebetet auf der
Tanzfläche oder im Lounge-Sessel.
Seit Anfang der 90er fanden sich
hier Party- und Clubteams und entwickelten
ihren eigenen Charakter:
Location, Raumgestaltung, Licht,
Flyer, sogar Kleidervorschriften ergaben
ein Szenario, das eine Party
dahingestellt, aber in den vielen
kleinen Clubs und Partyteams ist
wirklich beinahe jeder Konsument
auch Produzent. Jeder trägt sein
Teilchen bei zum lebendigen Leben
der Stadt, ob mit Raumgestaltung,
Bild, Sound oder kulinarischen
Genüssen. Die vielen Events sind
Sammelbecken für Kreative aller
Sparten, vom Modedesign (Beige,
Erfolg, Susann Schweizer) über
Grafik (Norm, Mäusepolizei, Grafiksalon),
Kunst (Relax, Gabi
Deutsch, Costa Veche) bis Spartenübergreifend
(Mikry, Hundeherz,
Pingpong) und natürlich für die
Spielarten der zeitgenössischen
Elektronik. "Eine wirkliche elektronische
Ich will weder den Kunstraum noch die Party demontieren.
Mich interessiert, was 'dazwischen' sein könnte.
die mit Streetparade und ihren rund
30 Clubs den Titel 'Partymetropole'
errungen hat. Vor allem in diesem
Jahr, in dem der Tanz um den See
erstmals den Liebeszug unter der
Siegessäule zahlenmäßig überrundet
hat. Und das ist nicht ganz falsch,
denn in Zürich wird wirklich sehr
gerne, sehr viel und mit Ausdauer
gefeiert. Davon zeugen Clubs und
Partys, die oft mit klangvollen, internationalen
DJ-Namen werben. Aber
Zürich hat auch ein eigenes Gesicht.
In zahllosen Nebenflüssen des
großen Stroms haben sich DJs und
Produzenten formiert und sind
bruchstückhaft zu Tage gekommen.
Nun erscheint erstmals eine Compilation,
die die Zürcher Acts bündelt
und uns zeigen will, wie das elektronische
Herz der Schweiz wirklich
schlägt.
Substrat - Ein "Breitbandnährmedium"
Substrat, das 'Breitbandnährmedium'
der Clubkultur, veröffentlicht
in Zusammenarbeit mit dem Label
Licht/Bildgestalter - die meisten davon
in Zürich ansässig - auf seinen
Nährboden gebeten und sie tun und
machen lassen, was sie wollten. "Im
Substrat gebe ich gerne eine Carte Blanche,
lasse den Leuten freie Hand. Es kommt mir
vor allem darauf an, dass im Substrat jede
Nacht anders wird. Es soll lebendig sein, es soll
sich was bewegen," erklärt Philipp Meier
seine programmatische Offenheit.
Das Substrat hat vieles und viele
bewegt. Um die 500 Besucher kamen
jeden Donnerstagabend ins alte
Rohstofflager, später ins UG, und
ließen sich gefallen, was der Metastar
kredenzte: eine spielwütige Masse
von Live-Acts, DJ's und Bildkünstlern,
die ausgelassen an den Rändern
der Clubkultur experimentierte.
nur noch am Rande über Musik definierte.
Es wurde dennoch munter
produziert, doch erst Ende der 90er
formierten sich mit "Bruchstücke",
"Stattmusik", "7b-Records" und "Domizil"
die ersten Labels. Einen geballten
Zürich-Auftritt wie auf der Substrat-
Compilation hat es jedoch bisher
nicht gegeben.
Zürich Sound?
Die Frage nach einem "Sound Of
Zürich" liegt nahe, wo wir doch so
gerne Schubladen wie 'Frankfurt
House' oder 'Köln Minimal' öffnen.
"Ich bin nicht sicher, ob es den 'Zürich Sound'
gibt," meint Marcel Ackerknecht alias
Styro2000. "Außenstehende können das
sicher eher beurteilen. Aber ich finde auf jeden
Fall, man hört den Zürchern die Freude am
Feiern an. Ich würde sagen, die Zürcher sind
irgendwie reduziert, aber eben auch verspielt.
Ich glaube, was die hiesigen DJs und Produzenten
gemeinsam haben - und das unterscheidet
sie vielleicht von anderen - hier feiern
alle gern. Jeden, den du hinterm Pult siehst,
siehst du auch davor: auf der Tanzfläche."
Ob außergewöhnlich oder nicht sei
Tradition wie in Köln z.B. gibt es in Zürich
nicht. Es gab Yello und dann lange, lange
nichts. Aber was hier eine Tradition hat, ist das
Spielerische auf der einen, das Konstruktive,
Reduzierte auf der anderen Seite," kommentiert
Philipp Meier das rege
Treiben an der Limmat. Das Verspielte
und das Spartenübergreifende,
das Zusammenführen von Bild,
Licht, Ton, etc. hat in der Schweiz
tatsächlich eine Geschichte. Davon
zeugen Zürich-Dada mit dem legendären
Cabaret Voltaire, die Krachmachmaschinen
von Jean Tinguely
oder in der Gegenwart die Installationen
von Pipilotti Rist. Allesamt
Konzepte, die mit verschiedenen
Medien arbeiten und in denen die
Spielfreude und Lust am Experiment
hervorlugt. Aber auch die
Konkrete Kunst und die Reduktion
sind bei den Eidgenossen tief verwurzelt.
Sie zeigen sich bis heute vor
allem im Schweizer Grafikdesign,
das weltweite Anerkennung genießt.
Verspieltes vs. Reduktion
Beide Prinzipien - spielerische Experimentierfreude
und Reduktion -
lassen sich auch aus den Tracks der
Substrat-Compilation heraushören.
Da finden wir lustvolle Beats, wie sie
Styro2000, Roger Rotor, Canson
oder aber Bang Goes produzieren.
Bang Goes hat seine gutgelaunte Experimentierfreude
längst schon bis
Berlin und Köln unter Beweis gestellt.
Neben seinen Club-Tracks auf
Bruchstücke hat vor allem sein Bravourstückchen
'Sali.Sali' - von Thomas
Brinkmann liebevoll auf 7"-
Format gebannt - auch die Dadaeske
Seite der Schweiz wieder in die
Welt hinausgetragen. Neben diesen
fröhlichen Grooves aus Computern,
Drummaschines und allerlei anderem
Krachmachgerät hört man aber
auch konstruktivistische Soundtüfteleien,
ruhige oder krachende Ausgeburten
der experimentellen Elektronik.
Allen voran steht hier die Produktion
von Steinbrüchel, deren
'totale Selbstbeherrschung' - wie es
Roland Fiege (Shitkatapult) einmal
nannte - auch den internationalen
Vergleich nicht scheuen muss. Genau
wie die Produktionen aus dem
Hause Domizil, auf der Compilation
vertreten durch Marcus Maeder und
Teleform. Sie alle gehören der internationalen
Einzelgänger-Gemeinde
der Experimentellen an, einer
Sparte, die bis heute nach einer
Heimat zwischen Club und Kunstraum
sucht. Im Substrat fanden sie
Unterschlupf und eine Gemeinde,
die Willens war, sich dem Experiment
auszuliefern. "Das Substrat hat
auch mir viel ermöglicht," erkennt Steinbrüchel
die Leistungen des Clubs
und seines Kurators Metastar an, der
durch seine Offenheit und seinen
Experimentierwillen eben auch dieser
Sparte den Nährboden bereitete.