De_Bug (Germany) 055 2002-01
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theorie [33] de:Bug 055 | 0102
Zwischen Kino und Komputer
Lev Manovich
Das Medienformat als kulturelles Tool: Der russische Medientheoretiker Lev Manovich blickt
auf das Digitale durch die Kameralinse des Films. Im historische Vergleich pirscht er sich an die
neuen kulturellen Formen des Digitalen heran. Sein erstes Buch über "die Sprache der Neuen
Medien" ist gerade auf englisch erschienen.
servicepoint
Geboren 1960 in Moskau, emigrierte Lev Manovich
vor 20 Jahren in die USA und arbeitet
seitdem dort als Programmierer, Künstler und
Designer mit Computern. Zu seinen Kunstprojekten
zählen Installationen, Filmprojekte und
Softwareapplikationen. Daneben unterrichtet er
als Associate Prof für Visual Arts an der University
of California.
Aktuelles Buch: The Language of New Media,
The MIT Press, 2001, DM 79,25 [EUR
40,52]
www.manovich.net
text: verena dauerer | vdauerer@t-online.de | stefan heidenreich
DeBug: In Ihrem Buch bezeichnen Sie
Software als neue symbolische Form der
Gesellschaft...
Lev Manovich: Bei der Definition beziehe ich
mich auf den Kunsthistoriker Erwin Panofsky, der es
von Ernst Cassirer adaptiert hat. Er schrieb darüber,
wie die Zentralperspektive in der Renaissance die
Weltsicht der bourgeoisen Gesellschaft verkörpert hat.
Ähnlich denke ich, dass Programme die Gesellschaftsstruktur
verkörpern. Der Computer ist nicht einfach
ein kulturelles Tool für Repräsentationen, er ermöglicht
erst die Informationsgesellschaft. Die Welt kann
aus dem hierarchischen Filesystem geformt werden
oder aus der hierarchielosen Struktur von HTML.
DeBug: Was kann ein freies Betriebssystem
für die Gesellschaft bedeuten?
Lev Manovich: Ich bin angesichts der Forderungen
skeptisch, die im Namen der Open Source gemacht
wurden. Ein Beispiel dafür, wie sich politische
Ideen seit den 60ern verändert haben. Die
globale Idee der Befreiung der Gesellschaft, wie sie
der Marxismus verfolgt, wurde zur Mikropolitik für
lokale Veränderungen. Wo ist da der große Unterschied?
Ob die Gesellschaft freie Software benutzt
oder nicht, ändert nichts an ihr. Seit den 80ern
hatten wir endlose Diskussionen über den Postmodernismus
und eine neue kulturelle Logik. Es
scheint, als ob es in unsere Kultur weniger um originäre
Kreation geht und mehr um Aneignung, um
Wiedergebrauch, um Remix. Wir reden über eine
konzeptuelle Sprache mit Begriffen, die in sich nicht
befriedigend sind. Open Source könnte uns ein
neues Set an intellektuellen Begriffen liefern. Es
wird interessant, wenn da über neue Lizenztypen
geredet wird.
DeBug: Was ist das Konzept Ihrer "Info-
Ästhetik"?
Lev Manovich: Ich vermute, dass sich die heutige
Ästhetik in den 20er Jahren etabliert hat. Damals
wurde nach einer neuen Ästhetik für die Industriegesellschaft
gesucht. Im Bereich der Kultur
konnte man sie nicht finden, weil sich dort alles um
Ornamente drehte. Also trug man Industriedesign
ins tägliche Leben und in die Kunstwelt hinein.
Heute geht es uns ähnlich. Ästhetik definiere ich als
Repräsentation der Welt im kulturellen und logischen
Sinn - und als Informationsstruktur, die
man in der Software und im Alltagsgebrauch des
PCs findet. Ich arbeite an der Installation "Soft
Cinema", die nächstes Jahr in Karlsruhe im ZKM
zu sehen sein wird. Sie beschäftigt sich mit der
Filmästhetik der multiplen Bildschirme mit multiplen
Informationsströmen, wie man sie im Fernsehen
bei den Financial News findet. Ich möchte
wissen, ob sich diese Ästhetik mit der des Erzählkinos
verträgt.
Bei "Info-Ästhetik" geht es mir auch um Telekommunikation,
um die ganze Aufregung um Handys,
Newsgroups und Chats und dem PC als Träger des
Informationsnetzes. Der Zugang zu Informationen
und die Telekommunikation sind kulturelle Formen,
bei denen faktisch keine neuen Objekte entstehen.
Das ist der Unterschied zur traditionellen
Kultur, in der der Autor ein Werk schafft, das vom
Was geschieht, wenn nach Roman und Kino nun die
Datenbank zur kulturellen Form wird?
Publikum konsumiert wird. Wenn zwei Leute
chatten, ist das eine kulturelle Form.
DeBug: Sie sprechen von multiplen
Bildschirmen, sind die Frames bei CNN
eine neue Art der Montage?
Lev Manovich: CNN benutzt nicht wirklich
Montage. Die Idee dabei ist, individuelle Teile zu benutzen,
die zusammen eine Gestalt ergeben. Die
Ästhetik der Montage bedeutet von Eisenstein bis
MTV, die Elemente so zu positionieren, dass sie in
gegenseitigen Konflikt treten. Auf Webseiten und im
Fernsehen geht es dagegen um Zugabe von Informationen.
Man nimmt ein Textelement und erweitert es
durch Bilder und virtuellen Raum. Das ist ein anderes
Konzept als bei der Montage, bei der eine einzelne
Botschaft durch Elemente und ihre Positionierung
in Raum und Zeit kommunizieren soll. Heute aber ist
Effektivität für Information immer wichtiger, also
wie man immer mehr Infos simultan über einen Datenstrom
transportieren kann.
DeBug: Ist "Time Code" von Mike Figgis,
der die Kinoleinwand in vier Frames
unterteilte, eine Umsetzung davon?
Lev Manovich: Ja, er ist einer der wenigen Versuche,
sich dem zu öffnen, was durch die Digitalkamera
möglich wurde. Die Zuschauer sind irgendwie
verwirrt, aber wenn man auf CNN
schaut, bekommt man genauso vier bis sechs verschiedene
Informationsströme. Die Frage ist nicht,
wie viel Infos man erhält, sondern welche Erwartungen
man daran hat. Dieselbe verwirrte Person
aus dem Zuschauerraum hat kein Problem, am
Computer zwanzig Fenster und fünf Programme
gleichzeitig offen zu haben, weil sie das von einer
interaktiven Kultur erwartet.
Lev Manovichs Buch:
"The Language of New Media"
Wer sich regelmäßig den Postings in
links-intellektuellen Medien-Mailinglisten
wie Nettime oder Rhizome aussetzt,
dem wird der Name Lev Manovich schon
seit Mitte der 90er Jahre untergekommen
sein. Fast alles, was er schreibt, hat er dort
gepostet, darunter auch manche Texte,
die nun überarbeitet in seinem neuen
Buch auftauchen. Unter dem eigenartigen
Oberbegriff "Sprache" verspricht Lev
Manovich etwas vorzulegen, das Medientheorie
bislang weiträumig umgangen hat:
"the first systematic and rigorous theory of
new media", wie es im Klappentext des
Buches heißt. Dass er entlang der historischen
Parallele zwischen der Entwicklung
von Kino und Computerkultur vorgeht,
führt ihn manchmal zu zweifelhaften Ansichten
- etwa der von der Computergrafik
abgeleiteten Überschätzung von 3D-
Abbildungen. Der Anfang vermittelt trotz
Systematik nicht wirklich einen
Überblick, sondern reicht gerade aus, um
eine Reihe von Unterkapiteln zu generieren,
in denen Manovich von der Filmtheorie
bis zur Geschichte der Computer
viel Bekanntes nacherzählt. Die meisten
seiner Details hat man im Gemurmel populärer
Medientheorie schon einmal
gehört und wie dort üblich werden politische
und ökonomische Zusammenhänge
weitgehend ausgeblendet. Die spannenderen
Ideen bleiben halb ausgeführt und
man hat den Eindruck, Manovich würde
sich davor scheuen, die Konsequenzen
seiner eigenen Systematik zu formulieren.
Was heißt es, am Computer zwischen
Zuständen von Repräsentation und Aktion
zu switchen? Was geschieht, wenn nach
dem Roman und dem Kino nun die Datenbank
zur kulturellen Form wird? Was
folgt daraus, wenn Datenstrukturen und
Algorithmen zur ontologischen Bestimmung
von Datenobjekten werden - also
festlegen, was sie wesentlich sind? Ja, was?
15. Stuttgarter Filmwinter
Festival for Expanded Media
17.-20. Januar 2002
Film. Video. New Media. Installation. Performance.
Lecture. Digital Music. Internationaler Wettbewerb
für Film und Video Internationaler Wettbewerb für
Neue Medien Rahmenprogramme & XML (Expanded
Media Lounge) Ausstellungen und Workshops
Festival: 17.-20. Januar 2002 Warm Up: 10.-16.
Januar 2002 Veranstaltungsorte: Filmhaus. Kleine
Schalterhalle im Hauptbahnhof. Treffpunkt Rotebühlplatz
Kontakt: Wand 5 e.V. Stuttgarter Filmwinter
Friedrichstr. 23/A 70174 Stuttgart Germany Phone
+49-711-226 91 60 Fax +49-711-226 91 61
e-Mail wanda@wand5.de www.wand5.de
www.filmwinter.de
In Zusammenarbeit mit: Hoppe-Ritter Kunstförderung