De_Bug (Germany) 055 2002-01
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der minimale Unterschied | hamburg
eleganz und Widerstand
C. Jost
Carsten Jost [Projektname!] aka Dave [Privatperson!]
aka eine Hälfte von Dial [Labelperson!] balanciert
zwischen düster-elegantem Clubsound und
politisch-revolutionärem Anliegen.
text: ch. meyer | christian@de-bug.de | fotos: Felix Brüggeman
DEBUG: Ich würde deine CD als
sehr durchdacht, elegant, aber im
Sound und Aufbau der Tracks
auch leicht gruselig klingend bezeichnen.
Das hört sich nicht
unbedingt nach dem berüchtigten
Hamburger Nieselregen [vgl. Dial-
Artikel in De:Bug 48], sondern
viel eher nach dem Suspense von
Hitchcock an! Mit Party-Fun hat
das reichlich wenig zu tun. Ist das
dein Konzept, im Zusammenhang
mit den Booklet-Fotografien von
Anti-Globalismus-Randale auch
musikalisch eine klare Anti-Hedonistische-Haltung
einzunehmen?
Dave: Die Musik auf meinem Album ist in
einem Zeitraum von drei Jahren entstanden.
In dieser Zeit ist sehr viel passiert mit
meiner Sicht auf viele Dinge, die Wahrnehmung
bestimmter politischer Ereignisse usw.
Was mich an Musik immer interessiert hat,
ist die Fähigkeit, eine bestimmte Stimmung
zu erzeugen. Dabei interessieren mich besonders
abseitige, Unruhe stiftende und
kämpferische Stimmungen. Gleichzeitig
implizieren die Tracks meine ganz persönliche
Reflexion einer bedrohlichen Welt mit
global düstersten Auswirkungen, mit denen
wir täglich konfrontiert werden.
DEBUG: Passt denn die Musik deiner
Meinung nach zu den Ideen
des Coverartworks? Man könnte ja
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen Eleganz
und Widerstand.
schwarz arbeiten
Rhythm_Maker
kritisieren, die Musik sei viel zu
elegant für die Themen der Fotografien.
Andererseits wäre der
Horror der Bilder ja auch im Grusel
des Sounds auszumachen und
damit vielleicht Konzept. Oder
läuft das einfach nebeneinander
her? Ist es eine weitere Ebene, ein
Mittel, noch etwas anderes zu
kommunizieren als Club?
Dave: Zunächst sehe ich keinen Widerspruch
zwischen Eleganz und Widerstand.
Ich habe mit dem Booklet versucht, für mich
wichtige Eckpfeiler linker Widerstandsgeschichte
und -gegenwart zu dokumentieren
und sie dadurch in einen Zusammenhang zu
rücken, in dem Inhalte, die über Musik oder
Design hinaus gehen, nicht auf der Tagesordnung
stehen. Ich hatte immer den Eindruck,
dass besonders bei non-verbalen
Musiken die Cover und Titel eine sehr
wichtige und polarisierende Rolle spielen.
Der Rhythm_Maker ist die geheime zweite Natur eines
unser liebsten Tiefkühltruhen-Houseproduzenten
auf der Suche nach dem produktiven Nichts.
Düsseldorf trägt schwarz.
text: Alexis Waltz | alexis@classlibrary.net
Das Cover von Rhythm_Makers Album
"Landing": Aus einem tiefen,
warmen Grau erscheint eine grüngelbe
Zusammenballung. Ein total
cleanes Bild und dennoch fügt es
sich nicht in den Fluss zeitgemäßer
Abstraktheiten. Vielleicht ist es eine
Person, vielleicht Düsseldorf
beim Landeanflug. Diese Irritation
ist nicht aufzulösen, Konturen
wird erst die Musik herausarbeiten.
Doch auch die sagt zunächst nur
ganz wenig. Rhythm Maker ist vorsichtig
mit Auskünften: keine Referenz
auf bereits Gehörtes und
Geliebtes ist ihm zu entlocken.
Scheinbar müssen zunächst die
Markierungen auf ein Minimum
reduziert werden, damit die folgenden
einen präziseren Ort haben.
Der Taumelnde weiß nicht,
ob er in den Abgrund oder ins
Schwimmbad geschupst wird. Hier
gibt es kaum mehr als kurze, ganz
hohe Toms, Sinuswellensounds,
die an Regen erinnern. Bis zu den
Bassdrums ist es weit. Die Moleküle
dieser Musik organisieren sich als
Kristalle: Durchsichtigkeit und
Spiegelung sind nicht zu unterscheiden.
Aber diese Qualitäten sind nicht
der letzte Sinn der Musik. Die Fetischisierung
einzelner Sounds
liegt dem Rhythm_Maker fern.
Vielmehr geht es um den Einbruch
der Melodie und darum, wie verschiedene
Melodien ineinander
greifen. Ein einzelner Sound mag
noch so sophisticated und advanced
sein, für sich ist er wertlos. Eine
Melodie ist eine Pose, die zweite
Melodie eine Begleitung, Kommunikation,
die dritte lässt die Zusammenkunft
fragil werden. Aber
diese Beschreibung ist eher der
Bauplan. Beim Hören ist es anders:
Eine Ansammlung spröder
Melodiefetzen, plötzlich diese
Wärme. Woher kam sie?
Schwarz, schwarz, schwarz ist
alles, was ich liebe
Rhythm_Makers Forderung:
Deepness soll nicht durch Geräusche
entstehen, nicht durch Hintergrund,
sondern durch gesteigerte
Gegenwart. Warhol hatte erkannt,
dass die Geilheit an der
Oberfläche entsteht und nicht in
Wenn ich mir eine Techno 12" oder ein Album
kaufe, untersuche ich sie jedes mal
akribisch auf eventuelle Hinweise über die
Intentionen und Beweggründe des Künstlers,
Musik zu machen und sich damit an die
Öffentlichkeit zu wenden... und natürlich
auch, um mehr über den Künstler selbst
herauszufinden. Was mich angeht, war ich
gerade in der letzten Phase des Albums, als
ich Cover und Booklet entworfen habe, von
einer Menge Wut auf die sich verschärfenden
globalen Verhältnisse bewegt. Ich wollte
dieses Gefühl der Ablehnung und des Bruchs
mit der Verwertungslogik des globalisierten
Kapitalismus und der sogenannten "zivilisierten
Welt" und besonders die Möglichkeit
und das Geschehen von praktischem Widerstand
in der Vergangenheit und Gegenwart
dokumentieren. Obwohl oder gerade
weil die Musik dieses Albums eher intuitiv
als konzeptionell entstanden ist, finden sich
diese Gefühle auch in ihr wieder.
DEBUG: Bei all den politischen Verweisen
ist "Weathermen" sicherlich
auch als politische Anspielung auf
die amerikanische Undergroundbewegung
der späten 60er Jahre zu
verstehen...
der Tiefe. DJ Pierre hat den maximalen
Druck auf die Oberflächen
gelegt, er hat seine Seele auf dieser
Oberfläche stattfinden lassen. Er
machte aus den Tänzern Wasserläufer:
die Auflösung der Oberflächenspannung
wäre tödlich.
Hier gibt es keinen Ort, um etwas
zu verstecken; es ist unmöglich, etwas
ins Vergangene zu projizieren
oder aus der Zukunft zu erwarten.
Erfolg oder Scheitern sind sofort
offenbar.
servicepoint
C. Jost, You Dont Need A Weatherman to
know which way the wind blows, ist bereits
bei Dial/Ladomat erschienen.
Die 12“ mit Remixen von 8 Miles High
[Roman Flügel], Stewart Walker, Lawrence,
Superpitcher und Crossfade Entertainment
erscheint dieser Tage ebendort.
Außerdem: dial 02 carsten jost – elmenreich;
dial 07 carsten jost - make pigs pay
http://www.dial-rec.de
Dave: Ja genau! Ich habe im letzten Frühling
"Woher der Wind weht" von Ron Jacobs
über diese militante Gruppe gelesen und
habe mich sehr gewundert, wie aktuell ihre
Analysen, besonders was Klassenkämpfe
und Klassenidentität in westlichen Metropolen
angeht, immer noch sind. Den Titel
ihres ersten Strategiepapieres "You don’t
need a weatherman to know which way the
wind blows" verstehe ich in diesem Zusammenhang
ähnlich wie das Konzept der Zapatisten:
eine Armee/Gruppe aufzubauen,
deren Ziel ihre eigene Auflösung ist. Auf die
Ansätze der Zapatisten beziehen sich ja heute
zum Beispiel auch Gruppen wie die "Tute
Bianchi" in Italien, die mit ihrem Konzept
des zivilen Ungehorsams und ihren
spektakulären Aktionen gegen Abschiebeknäste
aufgefallen sind und kürzlich beim
G8-Gipfel in Genua eine Menge erreicht
haben.
servicepoint
Rhythm_Maker, Landing, ist auf Background
erschienen.
Für die LP stellte sich die Frage der
Erzählung. Dazu haben in der
elektronischen Musik die Lizenz
eigentlich nur die DJs, für Produzenten
ist meistens nach zehn Minuten
Schluss, ein einzelner Track
darf eigentlich nur intensiver werden.
Rhythm_Maker produziert einen
totalen Bruch innerhalb des
Albums: Zunächst wird eine irritierende
Anmutigkeit aufgebaut,
diese bricht irgendwann in eine
housige, aber künstliche Wärme
um, die bis zu totaler Euphorie
verdichtet wird.
Irgendwann in den zehn Tracks
tritt in den analytischen Zusammenhang
House. Oft ist House eine
Liebesgeschichte oder eine Sexgeschichte.
Auf diese Masterdiskurse
lässt sich Rhythm_Maker
nicht ein. Er spricht von der Fundamentlosigkeit
mancher Tracks,
er sagt, man arbeite ohne Bettung.
Warhol konnte von den Photos
ausgehen, Pierre hatte die Politiken
der Verführung. Auf "Landing"
kann das alles auch weg sein. Aus
dem Nichts zu arbeiten, ist eine der
Anweisungen Rhythm_Makers, aus
dem Schwarz, wie er sagt, nicht aus
dem Weiß.
Und doch ist es am Ende von
"Landing" so hell, dass kein Boden
auszumachen ist. An was erinnert
sie noch, diese Bewegung, die keine
Verspannung hinterlässt?
labelüberblick
Sender | Benno Blomes in Köln gestartetes und in
Berlin weitergeführtes Label gilt trotz Funkturmfimmel als
eines der reduziertesten Label des Landes mit einem ständig
verbreiterten Artistrooster (Canada!) der seltenst mal housige
Bereiche entehrt, um richtig funky sein zu können. Abstraktion
pur. www.sender-records.de
Sub static | Unendliche Weiten. Sub Static intensivieren
die langsame, kontinuierliche Bewegung der Sounds
und des Grooves, ohne Tanzbarkeit gegen epische Unendlichkeiten
einzutauschen. Eleganter Kölner Minimalismus
der deepen Art. www.sub-static.de
Tonsport | Für Köln ungewöhnlich spielerisch mit
einem leichten Hang zu angetrancten Houseproduktionen
hat die Schallhaus Posse aber immer wieder den richtigen
Griff für hittige smoothe Vocalproduktionen gehabt. Breitwandigster
Minimalhouse der Stadt. www.schallhaus.com
Trapez | "An alternative for the Dancefloor" verkündet
die Trapez-Webpage. Triple R's Label vermischt verspielte
Kleinteiligkeit, dubbige Deepness und kristalline Sounds zu
einer elegant kickenden Minimalhouse-Emulsion für den
feingliedrigen Dancefloorschub.
Traum | Resensibilisierung wider die Rave-Grobschlächtigkeit.
Traum forscht weltweit nach den Melodien für
Millionen und gibt der Romantik in minimalen Hymnen ein
Zuhause. Ambient mit anderen Mitteln, der sich auch auf
dem Dancefloor wohlfühlt. www.traumschallplatten.net
United States of Mars | Mit Benjamin
Brunn, Marvin Dash, Mille, Korsakow, Jan Gabler und
vielen mehr hat das Label der Rand Posse wohl einen der
außergewöhnlichsten Artistrooster des Landes und erfindet
sich auf jeder Platte als Klassiker der Vielseitigkeit minimaler
Stile neu. www.mad-net.de/rand
Ware | Matthias Schaffhäuser weiß, was Tanzflächen
wünschen. Von der dreisten Icehouse Coverversion mit
gehörigem Popappeal, über bleepigen Funkhouse bis zum
Weichzeichner-Clickssound wird man zuverlässig für jede
Tages- und Nachtzeit versorgt. Für neue Namen immer gut.
Z Schallplatten | Bislang nur durch ihre Attila
Jahanvash Produktionen aufgefallenes noch ganz frisches
Minimalhouse (Betonung auf House) Label von Neuton
Buddy Juergen Link. Sehr schwelgerisch.
Kanada
Revolver | Jeff Milligans Label, das unter anderem
den Startschuss für die Eroberung Deutschlands durch die
Canadier zu verantworten hat. Mit Shaka, Milligan (Algorithm),
Deadbeat und Akufen die Klassiker des Foundsoundexperimentalismus
sattester Killergrooves. Sollte sich wegen
Rechtsschwierigkeiten eigentlich umbenannt haben.
Killer | Wie der Name so das Label. Qualitativ hochwertiger
Minimaltechno, zwischen deepen Dubs, clickerndem
Funk und sequentieller Darkness. Die Tracks von Labelbetreiber
Adam Marshall et al waren ein Grund, warum
Kanada im letzten Jahr in aller Munde war.
Dumb Unit | Jake Fairleys aka Fairmont Label aus
Toronto. Ultracleaner, in letzter Zeit immer sequentieller
werdender Minimalismus mit der perfekten Symbiose zwischen
Detail- und Soundverliebtheit und Funktionalität.
Ein weiterer Überflieger.
Cynosure | Sublabel von Revolver aus dem gleichen
Pool mit stärker beatorientierten Tracks, die allerdings immer
noch extrem funky und minimal bleiben.
Hautec | Das "art brut electroique" Sublabel des
Montrealer Houselabels "Haute Couture", das bislang eigentlich
nur Akufen und DJ Champion Platten releast hat.
Holland
Audio.nl | Nicht ohne Grund ist Audio.nl eins der
wenigen Label Hollands, die über Kompakt vertrieben werden.
Reduzierte Clickersounds bis hin zur Mille Plateaux
Ecke (Komet, Motor) beschränken die Dancefloortauglichkeit
ein wenig. Aber gelegentlich gibt es auch mal smoothere
Seiten wie z.B. Static.
Schweiz
Bruchstücke | Bang Goes Killerlabel der besonderen
Art, der Minimalismus vor allem als eine Vielseitigkeit
von Sounds versteht, die auf Styro2000, BangGoes
und Vermittelnde Elemente Eps jedes der Releases zu einem
Ausnahmezustand der Hörgewohnheiten macht, ohne das
aggressiv zu verfolgen. Geheimtipp poppig unwahrscheinlicher
Deepness.
www.bruchstuecke.com