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De_Bug (Germany) 055 2002-01

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de:Bug 055 | 0102 [28]

design | kunst

text: anne pascual & marcus hauer | server@de-bug.de

Designbücher

Grafik Design

Einige Jahre ist es erst her, dass der

Apple Macintosh in die Hände der

Kreativen fiel und ihre Arbeit

gründlich umkrempelte. Seither

sind die Fronten zwischen Pro und

Contra digitaler Werkzeuge gänzlich

verschwunden, stattdessen entwickeln

sich verschiedene Stile und

Praktiken, die computer-generated

Design in eine entschieden andere

Richtung stupsen. "Specials – New

Graphics" zeigt das Beste, was sich derzeit

auf diesem Planeten unter dem

Label "Grafik Design" tummelt. Wie

weit das führen kann, wenn man wild

und fast respektlos Sprachen entwickelt,

dokumentieren die Arbeiten

der 50 internationalen Designer,

die der Verlag Both-Clibborn sorgsam

ausgewählt hat. Da sehen die üblichen

Typographie- oder Design-

Annuals blass aus, denn so unterschiedlich

die Positionen auch sind,

alle verbindet einen ausgeprägten

Humor, die Liebe zum Detail und

der schlaue Blick auf das, was über

das Blatt Papier oder den Screen

hinaus zu uns spricht und erzählt.

Technologie ist hier ein "Personal

Device", so ganz handgemacht und

über alle Formate hinaus eine "Surprisemachine".

Mit dabei sind u.a.

Experimental Jetset (NL), Delaware

(JP), Foundation 33 (UK), Lizzie

Finn (UK), Elektro Smog (CH).

Wieso eigentlich immer auf die Zukunft

schauen, wenn das Jetzt schon

so gut ist? [Anne Pascual]

Claire Catterall: Specials – New Graphics.

Both-Clibborn Verlag 2001. 108,73 DM

(32 englische Pfund)

O'Reillys Nussschale

Obwohl Webseiten bauen ja schon

seit Jahren zum Familiensport Nummer

Eins geworden ist, kann man

nicht gerade behaupten, dass die

Kenntnis über das, was dahinter

steckt, gestiegen ist. Um das zu ändern,

gibt es jetzt schon in der zweiten

Auflage die beliebte "O'Reilly"-

Nussschalen-Serie "Web Design in a

Nutshell". Das ist besser als alles, was es

sonst zu diesem Thema gibt, denn es

verschafft einen Überblick über

HTML, Cascading Style Sheets, über

die Bilderformate GIF, JPEG und

PNG. Aber nicht nur diese Standards

werden hier pixelgenau dokumentiert,

nein, Multimediaformate

wie Flash, Director, Audio/Video

und SMIL (dem Multimedia-

HTML). Damit aber nicht genug -

auch JavaScript, Dynamisches

HTML, XML, XHTML und natürlich

WAP/WML haben ihren Auftritt.

Und besondere Aufmerksamkeit

verdienen die Seiten, bei denen

Formularelemente, wie Buttons,

Eingabefelder und Popups der einzelnen

Browser (Netscape, Explorer,

Opera) miteinander verglichen werden.

Nein, nein, das ist nicht nur

ein Buch für Anfänger, auch für diejenigen,

die sich immer gerne mal

wieder an die Stirn fassen und fragen,

wie das denn nochmal war.

Kaufzwang! [Marcus Hauer]

Jennifer Niederst: Web Design in a Nutshell.

2nd Edition. O'Reilly Verlag 2001. 640 S.

für 65 DM

Zines

Zines sind im allgemeinen als Diplomthema

bei Designern sehr beliebt,

vielleicht ist deshalb die breite

Masse der Off-Zeitungsformate zwischen

Fanzines, Copyshopkunst und

alternativer Protestschrift kaum zu

erfassen, aber erst recht nicht zu verstehen.

Um genau diese Lücke zu

schließen, wirft der Booth-Clibborn

Verlag aus London mit der Herausgeberin

Liz Farrelly ein Buch auf den

Markt, das zumindest im Printbereich

einen kleinen, leider etwas zu

sehr künstlerischen Bereich abdeckt.

Doch zumindest ist es gespickt mit

historischem Material aus diesem

Gebiet der Nachtarbeit, auch wenn

hier für das Netz und auf der etablierten

Zine-Schiene (gerade im

Modebereich) noch einiges zu nennen

wäre. Aber mit einem lustigen

Einführungsbereich, der jedes Zine

nochmal mit einem Formatbildchen

versieht, kann man sich auch wieder

leicht versöhnen und findet es alles

in allem doch ganz prima, das Buch.

[Marcus Hauer]

Liz Farrelly: Zines. Booth-Clibborn Verlag

2001. 265 S. 93,45 DM (£27,50)

Pracht und Platz

füttern einen Horizont

Kerstin Kartschers Bilder

Die Londonerin Kerstin Kartscher schraffiert sich in

ihren Zeichnungen aus den ewigen Referenz-Loops und

schafft Synergieeffekte, die die Kunst vom Kopfschmerz

der Utopielosigkeit befreien.

Kerstin Kartscher protzt hübsch herum

mit Fertigkeiten bei der Bildherstellung.

In Zeiten, in denen fast jede

dritte Hand an einer Computermaus

festgeklebt ist, hat Bildvirtuosität per

freiem Fingerkönnen etwas unbedingt

Erbauliches. Bei Strichcodes

denkt man eher an jene schwarzweißgebalkten

Barcodes, die SupermarktkassierInnen

von dieser leidigen Preiseintipperei

und folgenden Fingerarthritis

befreit haben. Bei Kerstin

Kartschers imposant-komplexen

Strichbündeln und Zeichenwegen

sorgt man sich auch schon ein wenig

um Gelenkverschleiß, aber das greift

etwas vor. Man wird meist durch einen

weit gespannten Horizont in den

imaginierten Bildraum gelockt. Man

kann an utopische Architekturzeichnungen

denken und dass Landschaftsdarstellungen

selten so gut wie

hier als interessante Kunst funktionieren.

Einer alten Entspannungsregel

zufolge steht es schlecht um die

Entspannungswerte, wenn deine oder

meine Netzhaut nicht mindestens 5

Min. täglich an einer realen Horizontkante

entlang gleiten können,

Mach' etwas, das Pracht und Platz hat, dass die

Sehnsucht sich zeigen kann, ohne dass sich die

Poesie gleich wieder ins eigene Knie schießt.

text: gunter reski | post@gunterreski.de

warum eben alle Seeleute so relaxt

aussehen. Der Aspekt "Augenyoga" in

ihren großformatigen Zeichnungen

ist aber höchstens teilrelevant. Kerstin

Kartschers Bündel an Strichcodes

umfasst klassische Schraffurlagen,

PrinzessInnen- und/oder Postgirlismlook,

etwas Knastgrafik und gerade

noch hippes Minimalismus-Artwork.

Das klingt, richtig, nach Bildwelt

mit Zeitreise, wobei die verschiedenen

Zeitzonen nichts voneinander

gewusst haben können. Vielleicht verstehen

sie sich darum so gut. Irreführend

ist hier aber der additive

Charakter der Aufzählung an Stichworten,

als wären die genannten Stilweisen

schnäppchenhaft oldschool-

PoMo-mäßig aneinandergepappt.

Ganz falsch. Vielmehr wird hier, was

nach vordefinierten ästhetischen Fertigteilen

klingt, auf eine symbiotische

Weise zusammengebracht, die die

Stilmontage homogen und wie selbstverständlich

frisch vom Baum gefallen

wirken lässt. Die Zeichnungsweisen

servicepoint

Kerstin Kartschers aktuelle Ausstellungen:

HAMBURG:

"Refuse to know" bis zum 7.2.02 in der

Galerie Karin Guenther, Admiralitätsstr.

71, Tel. 040 3750 3450, geöffnet Mi-Fr

13 – 18 Uhr, Sa 12 – 14 Uhr

BERLIN:

In der Galerie Giti Nourbakhsch Rosenthaler

Str.72, 030 4404 6781

Eröffnung 26.1.2002, danach geöffnet 19

Uhr, Di –Sa 11 – 18 Uhr

sind weder speziell originalitätsgeil

noch zu kühl systematisiert. Fiction-

Momente werden von jeher am plausibelsten

auf dem Zeichenwege und

unter einem Oldschool-Deckmäntelchen

eingeläutet. Die graduellen

Feinheiten, die das in den Zeichnungen

möglich machen, sind schwer zu

benennen, aber da. Manchmal

knirscht das Traditionelle in all den

Schraffurlagen. Eventuell ist das ein

Kodierungsumweg, der die zum Teil

eigentlich kitschlastigen Bildkomponenten

sendefähig macht, ohne jede

Fake- oder Trash-Attitüde. Man kann

im visuellen Bereich ohnehin zunehmend

schwerer von Zitaten sprechen.

Falls es diese Kulturtaktik doch noch

gibt, sieht man jedenfalls bei Kerstin

Kartschers Zeichnungen vor lauter

Synergieeffekten überhaupt keine

Gänsefüßchen mehr.

Es geht ihr natürlich darum, den

Bildraum als Statement und Tat wieder

freizuschalten, auch für visuelle

Fiktionen, Illusionen oder am besten

visionäre Momente. Die Formulierungsprobleme,

auf die man stößt,

will man das in diesen Worten mitschwingende

Pathos umgehen, kennzeichnen

indirekt den Schwierigkeitsgrad,

den die Zeichnungen zu händeln

wissen. Selbst der letzte Infohopper

mit Referenz-Hangover beklagt

den totalen Utopieverlust, der ihn

immerzu aus coffeinfreien und contentarmen

Zonen des Wellness-Regimes

ankeift. Mach' etwas, das Pracht

und Platz hat, dass die Sehnsucht sich

zeigen kann, ohne dass sich die Poesie

gleich wieder ins eigene Knie schießt.

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