WOLL Elternratgeber Ausbildung + Karriere 2022/2023 HSK
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Vom Stift...<br />
Christel Zidi<br />
U<br />
nsere<br />
Sprache ist<br />
lebendig.<br />
Sie reagiert auf<br />
Einflüsse aus anderen<br />
Sprachen, auf eine<br />
geänderte Lebensweise<br />
oder –einstellung. So ist unser<br />
Wortschatz schon durch den<br />
Gebrauch von Smartphones und<br />
Computern erweitert worden, durch<br />
Worte wie App, Cloud, Chat, leaken etc.; die<br />
Verwendung vieler französischer Begriffe hingegen ist<br />
im Schwinden. Kein Wunder: Statt sich für ein Rendezvous<br />
ins Kostüm zu zwängen, reichen für ein Date oft<br />
Hoodie und Skinny oder auch Leggins. Schade, wenn<br />
mit den Wörtern auch gleich der „Chic“ verlorengeht.<br />
Es gibt aber definitiv sehr viele Wörter, die wir nicht vermissen.<br />
Zum Beispiel das Wort „Stift“. So nannte man die<br />
Auszubildenden noch vor wenigen Jahrzehnten. Woher<br />
der Ausdruck kommt, lässt sich nicht mehr genau feststellen.<br />
Manche meinen aus der Zimmermanns-Branche.<br />
Dort ist ein Stift ein kurzes Holzstück. Da Lehrlinge im<br />
ersten Jahr (damals manchmal mit 14, 15 Jahren) noch<br />
nicht ausgewachsen waren, waren sie auch meist klein bzw.<br />
kurz. Eine andere Erklärung ist die, das Stifte auch mal<br />
„angespitzt“ werden müssen. Dazu kann man sich den<br />
Kommentar ersparen. Dass das Wort Stift mit „stiften gehen“,<br />
also verschwinden, sich vor der Arbeit drücken, zu<br />
tun hat, erscheint aber nicht ganz schlüssig. Sicherlich gab<br />
es auch ältere Arbeitnehmer, die sich vor der Arbeit drückten<br />
und die man deshalb nicht als Stift bezeichnet hat. Die<br />
letzte Erklärung ist die am häufigsten genannte: Ein Stift<br />
ist ein Nagel ohne Kopf – also nicht besonders gut zu gebrauchen,<br />
kopflos eben.<br />
1971 wurden aus Lehrlingen ganz offiziell „Auszubildende“.<br />
Mit dem Namen änderte sich auch ein Teil der<br />
...zum Azubi<br />
Gewerbeordnung. Das aus dem<br />
Jahr 1900 stammende Recht der<br />
Lehrherren zur „väterlichen Zucht“ wurde<br />
abgeschafft: „Die körperliche Züchtigung sowie jede die<br />
Gesundheit des Lehrlings gefährdende Behandlung sind<br />
verboten“ hieß es dort. In diesem Zusammenhang ist es<br />
interessant, dass das Züchtigungsrecht der Pädagogen erst<br />
1972 bundesweit abgeschafft wurde. Heute ist es strafbar,<br />
den Auszubildenden „eins hinter die Löffel zu hauen“, ihm<br />
„die Ohren lang zu ziehen“ oder ihm „was auf die Finger<br />
zu geben“. Allein die Nachsilbe des Wortes Lehrling zeugt<br />
von Geringschätzung. Ähnliche Beispiele wie Neuling,<br />
Primitivling, Naivling, Feigling, Wüstling haben gleichfalls<br />
einen abwertenden Charakter. Nebenbei bemerkt gibt<br />
es Wörter mit der Endung -linge nur in der männlichen<br />
Form.<br />
Oft wird statt Auszubildender die Abkürzung Azubi verwendet.<br />
Das klingt positiv, in der weiblichen Form – Azubine<br />
– gar schon wie ein neckisches Kosewort. Tatsache ist,<br />
dass in fast allen Unternehmen das Ansehen der Auszubildenden<br />
gewachsen ist, der <strong>Ausbildung</strong>sauftrag ist in den<br />
Vordergrund gerückt. Was nicht bedeutet, dass die Azubis<br />
keine Pflichten hätten. Eine davon ist, die Weisungen<br />
des Ausbilders zu befolgen. Wenn der dann gelegentlich<br />
anordnet, den Besen in die Hand zu nehmen, muss der<br />
Azubi dem nachgehen. Aber wie gesagt: gelegentlich. Das<br />
Säubern des Arbeitsplatzes muss im richtigen zeitlichen<br />
Verhältnis zum Rest der <strong>Ausbildung</strong> stehen. ■<br />
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72 - <strong>WOLL</strong> <strong>Elternratgeber</strong> <strong>2022</strong>