Diskurs 3/2022
- Keine Tags gefunden...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
%<br />
%<br />
%<br />
%<br />
Eine Kaufsucht macht aus dir<br />
keinen schlechten Menschen.<br />
Aber es ist wichtig, sich helfen zu<br />
lassen, je früher, umso besser.<br />
Ohne Hilfe geht es nicht.<br />
Erik S.<br />
Betroffener<br />
heit monatelang von<br />
seiner Mutter getrennt.<br />
Zeitlebens plagen ihn Depressionen<br />
und Verlustängste, denen er begegnet,<br />
indem er zwanghaft Dinge sammelt<br />
und hortet. „Ich kaufe Klamotten, damit<br />
ich in Notzeiten welche habe“, sagt<br />
er. Und: „Ich kann nichts weggeben.“<br />
Auch bei Erik S. steigt die Gefahr einer<br />
Kaufattacke bei Einsamkeit, Frust und<br />
Langeweile. Er habe dann das Gefühl,<br />
dieses „emotionale Defizit“ ausgleichen<br />
zu müssen. „Wenn ich dann ein Angebot<br />
mit 70 Prozent Preisnachlass sehe,<br />
setzt bei mir der Verstand aus. Dann<br />
wiederum gibt es Dinge, die fressen<br />
sich einem regelrecht ins Gehirn rein –<br />
die muss man dann unbedingt haben.“<br />
Obwohl er in seinem Beruf gut verdient<br />
habe, seien auch ihm die Schulden irgendwann<br />
über den Kopf gewachsen,<br />
erzählt der 63-Jährige weiter. „Ich habe<br />
andere Betroffene kennengelernt, die<br />
haben drei oder vier Jobs angenommen,<br />
um ihre Kaufsucht zu finanzieren – und<br />
trotzdem hat es nicht gereicht, die Familie<br />
zu Hause zu versorgen.“<br />
Dass sich Kaufsucht individuell sehr<br />
unterschiedlich darstellen kann, weiß<br />
Silke Sartor von der Selbsthilfekontaktstelle<br />
der Diakonie in Südwestfalen: „Es<br />
kann Jüngere wie Ältere treffen, Frauen<br />
wie Männer.“ Experten beobachten dabei<br />
durchaus ein geschlechterstereotypes<br />
Einkaufen: Frauen shoppen gerne<br />
Kleidung, Schuhe, Kosmetik und Dekosachen,<br />
Männer dagegen eher im Technik-<br />
oder Baumarkt. Nicht selten zeigen<br />
sich Zusammenhänge mit psychischen<br />
Problemen und Erkrankungen (z.B. Depressionen,<br />
Angststörungen) oder auch<br />
mit anderem Suchtverhalten (z.B. Esssucht<br />
oder Spielsucht).<br />
Erik S. hat seine Kaufsucht zwar nicht<br />
gänzlich überwunden, doch während<br />
einer Psychotherapie und einer speziellen<br />
Reha vieles gelernt – etwa „dass<br />
man Sachen auch wieder weglegen oder<br />
Gekauftes zurückbringen kann, oder<br />
dass man von der Kaufentscheidung<br />
noch mal rausgeht aus dem Geschäft,<br />
Luft schnappt, vielleicht auch jemanden<br />
anruft und um Rat bittet“. Gerade<br />
für Letzteres könnten Kontakte in einer<br />
Selbsthilfegruppe sehr wertvoll sein,<br />
Es kann Jüngere wie Ältere<br />
treffen, Frauen wie Männer.<br />
Silke Sartor<br />
Koordinatorin Selbsthilfekontaktstelle<br />
findet Erik S. „Eine Kaufsucht macht<br />
aus dir keinen schlechten Menschen.<br />
Aber es ist wichtig, sich helfen zu lassen,<br />
je früher, umso besser. Denn ohne<br />
Hilfe geht es nicht.“ Dies gilt in diesen<br />
Tagen umso mehr, da mit dem enormen<br />
Anstieg der Preise auch die Gefahr<br />
wächst, dass Menschen mit Kaufsucht<br />
geradewegs in die Schuldenfalle laufen.<br />
Erik S. bringt es mit Selbstironie auf<br />
den Punkt: „Für Schnäppchenjäger wie<br />
mich sind es momentan sehr<br />
schlechte Zeiten.“ Daniel Weber<br />
Betroffene, die in einem<br />
geschützten Gesprächskreis<br />
frei und anonym über ihre<br />
Kaufsucht sprechen und sich<br />
austauschen möchten, können sich<br />
an die Selbsthilfekontaktstelle der<br />
Diakonie in Südwestfalen unter<br />
Telefon 0271/5003-131 melden oder<br />
sich per E-Mail an die Adresse<br />
selbsthilfe@diakonie-sw.de wenden.<br />
47