Diskurs 3/2022
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Wer entscheidet, wenn ich selbst nicht mehr dazu in<br />
der Lage bin? Wie halte ich fest, wie ich medizinisch<br />
behandelt werden möchte? Jeder Mensch kann aufgrund<br />
von Alter, Krankheit oder eines Unfalls in eine<br />
Situation geraten, in der er selbst seinen Willen nicht<br />
äußern kann. Um die Gewissheit zu haben, dass auch<br />
dann im eigenen Sinne gehandelt wird, bietet die<br />
Diakonie in Südwestfalen seit geraumer Zeit die Broschüre<br />
Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung<br />
an. Zu finden ist sie hier als kostenloser Download:<br />
www.diakonie-sw.de/aktuelles/publikationen/<br />
wieder Fälle geben, in denen der Betroffene<br />
sich nicht (mehr) selbstbestimmt<br />
äußern kann. Hier helfe bisweilen ein<br />
fiktiver <strong>Diskurs</strong> – auch unter Einbeziehung<br />
der Angehörigen: „Was würde der<br />
Patient sagen, wenn er bei sich wäre?“<br />
Dass vor allem unklar formulierte Verfügungen<br />
im Klinikalltag häufig für<br />
Verunsicherung sorgen, weiß auch Dr.<br />
Wilhelm Wolf. Der Richter beleuchtete<br />
die Problematik aus juristischer Perspektive.<br />
Fakt ist: Grundsätzlich ist die<br />
Willensbekundung eines Patienten erst<br />
einmal bindend, sofern sie schriftlich<br />
vorliegt und der Betroffene volljährig<br />
ist. Doch auch der Wunsch eines 16-Jährigen<br />
beispielsweise dürfe nicht einfach<br />
ignoriert werden. Allerdings müssen<br />
Patientenverfügungen laut eines Urteils<br />
des Bundesgerichtshofs möglichst konkret<br />
abgefasst sein, beispielsweise wie<br />
mit lebenserhaltenden Maßnahmen zu<br />
verfahren ist, ob Organspende erlaubt<br />
oder welche Form der Sterbebegleitung<br />
gewünscht ist. Demnach sind Formulierungen<br />
wie „Es soll dafür gesorgt werden,<br />
dass ich würdevoll sterbe“ nicht<br />
ausreichend. Auch könne die Wahl eines<br />
bestimmten Arztes oder einer Klinik<br />
nicht Gegenstand einer Patientenverfügung<br />
sein, so Wolf. Idealerweise sollte<br />
eine ärztliche Aufklärung stattfinden<br />
und schriftlich dokumentiert werden.<br />
Im Klinikalltag werde es indes immer<br />
wieder Grauzonen geben. Dies ergebe<br />
sich allein schon durch die individuelle<br />
Krankheitssituation und die jeweiligen<br />
Maßnahmen, die abgelehnt werden. Juristisch<br />
sei daher jeder Fall für sich zu<br />
beurteilen. Ausschlaggebend ist dabei<br />
laut Wolf nicht die Geschäftsfähigkeit<br />
des Patienten, sondern die Bewertung<br />
seiner „natürlichen Denk- und Steuerungsfähigkeit“.<br />
Folglich könnten bereits<br />
Zweifel aufkommen, wenn der Betroffene<br />
unter Medikamenteneinfluss<br />
steht. Nicht minder problematisch:<br />
Verfügungen, die auf konkrete Krankheitsbilder<br />
festgelegt sind. Als Beispiel<br />
nannte Wolf einen Darmkrebs-Patienten,<br />
der aufgrund eines Schlaganfalls<br />
keine Willensbekundung äußern kann.<br />
Angehörige rein rechtlich erst mal<br />
ohne Recht auf Mitbestimmung<br />
Doch wer entscheidet nun darüber, wie<br />
eine Patientenverfügung zu deuten, was<br />
zu tun und was zu unterlassen ist? Die<br />
Angehörigen, so machte Dr. Wolf deutlich,<br />
spielen bei dieser Frage rein rechtlich<br />
erst mal keine Rolle, „auch wenn sie<br />
es oftmals nicht verstehen und bisweilen<br />
auch nicht akzeptieren werden“. Anders<br />
sieht es bei einem gesetzlich eingesetzten<br />
Betreuer aus.<br />
Über allem stehe zunächst jedoch die<br />
Prüfungspflicht der Ärzte, erläuterte<br />
der Jurist. Sie müssen den Wunsch des<br />
Patienten und dessen jeweilige Lebensund<br />
Behandlungssituation bewerten.<br />
„Diesen Konflikt“, betonte Wolf, „kann<br />
Ihnen das Recht leider nicht ersparen.“<br />
In Ausübung dieser Verantwortung<br />
könnten Ärzte im schlimmsten Fall sogar<br />
straf-, haftungs- und standesrechtlich<br />
belangt werden – bis hin zur Entziehung<br />
der Approbation. Allerdings<br />
lasse sich dieses Risiko minimieren,<br />
indem in Zweifelsfällen das Betreuungsgericht<br />
hinzugezogen wird. Dieses<br />
entscheide auf Basis der Sachlage und<br />
– sofern der Zeitfaktor es zulässt – eines<br />
medizinischen Gutachtens. Für Kliniken<br />
seien institutionalisierte Abläufe<br />
in dieser Hinsicht „absolut vorteilhaft“,<br />
lautete die Empfehlung des Juristen.<br />
Nach einer abschließenden Fragerunde<br />
bedankten sich der Geschäftsführer<br />
des Diakonie Klinikums, Dr. Josef<br />
Rosenbauer, und Professor Braun als<br />
Organisator der Veranstaltung bei den<br />
Referenten. Diese hätten mit informativen<br />
Vorträgen Leitplanken für ethisches<br />
und rechtssicheres Handeln aufgezeigt<br />
- bei einem schwierigen Thema, das im<br />
Krankenhausalltag mehr und mehr eine<br />
wichtige Rolle spielt.<br />
Daniel Weber<br />
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