Illettrismus - ein Thema der Logopädie? - BSCW
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Ausgangssituation und Stand <strong>der</strong> Forschung<br />
Lesen Informationen verschaffen kann und dies wünschens- und lohnenswert ist, kann <strong>ein</strong><br />
ausschlaggeben<strong>der</strong> Punkt s<strong>ein</strong> (Kretschmann, zit. nach Kerpal, 2000).<br />
� Die Bedeutung von Beziehungen<br />
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt, <strong>der</strong> zu günstigen Entwicklungsbedingungen führt,<br />
findet sich nach Leemann-Ambroz und Vögeli (zit. nach Kerpal, 2000) in tragfähigen<br />
Beziehungen. Im Gegensatz dazu zeichnen sich Beziehungsstörungen, welche unabhängig<br />
von <strong>der</strong> sozialen Schicht sind, durch mangelnde Aufmerksamkeit, Liebe und Geduld aus und<br />
sind eher in stark belasteten Familien vorzufinden.<br />
2.3.2 Schulische Hintergründe<br />
� K<strong>ein</strong>e individualisierte Lernangebote<br />
Die genannten möglichen familiären Entstehungsbedingungen kommen erst bei Schul<strong>ein</strong>tritt<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zum Tragen, wenn sie auf Gleichaltrige treffen und evident wird, dass jene <strong>ein</strong>e<br />
günstigere familiäre Situation mitbringen und somit in ihrer Gesamtentwicklung als auch in<br />
<strong>der</strong> Entwicklung ihrer Lese- und Schreibkompetenzen um <strong>ein</strong>iges voraus sind. An diesem<br />
Punkt ihrer Biographie erfahren viele Betroffene also <strong>ein</strong>e Verstärkung ihrer bereits<br />
vorhandenen ungünstigen familiären Konstellationen (vgl. Egloff, 1997).<br />
Hinzu kommt, dass viele beginnende Lese- und Schreiblehrgänge auf diese unterschiedlichen<br />
Entwicklungsrückstände k<strong>ein</strong>e Rücksicht nehmen und die Kin<strong>der</strong> somit nicht auf ihrem<br />
jeweiligen Wissens- und Entwicklungsstand abgeholt werden. „Was für die <strong>ein</strong>en Kin<strong>der</strong> u.U.<br />
<strong>ein</strong>e Unterfor<strong>der</strong>ung ist, bedeutet für die an<strong>der</strong>en <strong>ein</strong> hoffnungsloses Hinterherhinken von<br />
Anfang an“ (Kerpal, 2000, S.12). Dieses Prinzip nennt man „mangelnde Passung“. Sie wird<br />
dadurch definiert, dass das Lehrangebot nicht den Lernvoraussetzungen <strong>der</strong> Lernenden<br />
angepasst ist. Dies wie<strong>der</strong>um betrifft das Lerntempo, die Lerninhalte und die Attraktivität<br />
des Angebotes. Wünschenswert wäre auch die Fähigkeit <strong>der</strong> Lehrperson, <strong>ein</strong>e<br />
vertrauensvolle Beziehung zu ihren Schülern aufzubauen, sowie die unterschiedlichen<br />
Wissens- und Entwicklungsstände und <strong>der</strong>en Ursachen differenziert zu erkennen.<br />
Vorausgesetzt dies gelingt, haben auch Kin<strong>der</strong> mit ungünstigen Vorerfahrungen die Chance,<br />
schrittweise in den Lernprozess hin<strong>ein</strong>zufinden und Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu<br />
entwickeln (vgl. Kerpal, 2000).<br />
� Diskriminierung durch die Lehrperson / Ausgrenzung durch die Mitschüler<br />
Bei vielen Betroffenen ruft die Erinnerung an die Schulzeit etliche negative Gefühle hervor.<br />
Das Erleben von Abwertung, Unverständnis, Desinteresse o<strong>der</strong> Vernachlässigung seitens <strong>der</strong><br />
Lehrperson ist nur <strong>ein</strong> Ausschnitt <strong>ein</strong>es breiten Spektrums <strong>ein</strong>er leidvollen Schulzeit. Nicht<br />
selten wurde das eigene Versagen als persönliche Unfähigkeit betrachtet; Betroffene<br />
erfuhren <strong>ein</strong>e Zuschreibung als dumm und unfähig o<strong>der</strong> haben vermehrt auch <strong>ein</strong>e<br />
Aussenseiterrolle <strong>ein</strong>genommen. Einige von ihnen wurden auch in <strong>ein</strong>e Son<strong>der</strong>schule<br />
verwiesen (vgl. Döbert-Nauer, zit. nach Stauffacher, 1992).<br />
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