Ausgabe 1/2008, 24. Jahrgang (pdf, 6.12 MB - Johannes Gutenberg ...
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Massenmedien und Spendenkampagnen<br />
Von Jürgen Wilke<br />
Bereits im 18. Jahrhundert machten Zeitungen<br />
Werbung für Lotterien, mit denen gemeinnützige<br />
Einrichtungen finanziert wurden. Heute wird Geld<br />
für humanitäre Hilfe vor allem mit TV-Sendungen<br />
gesammelt.<br />
Auch vier Jahre später ist die Erinnerung daran nicht<br />
verblasst: Am 26. Dezember 2004 löste ein Seebeben<br />
im Indischen Ozean eine Flutwelle aus, die in wenigen<br />
Stunden verheerende Schäden in Indonesien,<br />
Sri Lanka und anderen Teilen Ostasiens verursachte.<br />
Dem Tsunami fielen mehr als 220.000 Menschen<br />
zum Opfer – man sprach von der größten Naturkatastrophe<br />
seit Menschengedenken. Kein Wunder,<br />
dass diese zu einem überwältigenden Thema der<br />
Massenmedien wurde. Wochenlang berichteten<br />
Presse, Hörfunk und Fernsehen in Wort und Bild über<br />
die angerichteten Zerstörungen und deren Folgen für<br />
die Menschen (Abb. 1). Auch das Internet wurde<br />
rasch dazu genutzt. Die Medien stellten sich aber<br />
zugleich in den Dienst der anlaufenden Hilfsaktionen<br />
und riefen die Leser und Zuschauer auf, den in Not<br />
geratenen Menschen mit Spenden zu helfen. Insgesamt<br />
kamen in Deutschland dadurch 670 Millionen<br />
Euro zusammen, der größte jemals zu einem solchen<br />
Ereignis gesammelte Betrag. Einmal mehr erwies<br />
sich: Die Massenmedien sind dazu prädestiniert, die<br />
breite Bevölkerung zur Unterstützung wohltätiger<br />
oder karitativer Zwecke zu bewegen. Außer den<br />
Funktionen der Information, der Unterhaltung und<br />
Bildung, die man ihnen herkömmlich zuspricht,<br />
betreiben die Medien damit auch so etwas wie<br />
„Fundraising“. Aber so jung wie dieser Begriff ist die<br />
Sache selbst keineswegs. Wie sich diese Sache entwickelt<br />
hat, nach welchen Regeln sie funktioniert und<br />
welche Ambivalenzen sie auslöst, ist Gegenstand der<br />
Medienforschung.<br />
Frühe Anfänge<br />
Der Einsatz der Massenmedien zur Unterstützung<br />
wohltätiger Zwecke ist fast so alt wie die Presse<br />
selbst. Schon früh geschah dies im Zusammenhang<br />
mit Lotterien. So wurden bereits im 18. Jahrhundert<br />
in Hamburg Lotterien veranstaltet, bei denen man<br />
durch den Kauf von Losen Preise gewinnen konnte.<br />
Die Einnahmen daraus dienten der Stadtregierung<br />
dann auch dazu, Zucht- und Waisenhaus zu finanzieren.<br />
Damit sie ertragreich waren, mussten diese<br />
Lotterien in „Avertissements“ öffentlich bekannt<br />
gemacht werden. Diese Aufgabe übernahmen die<br />
gedruckten Zeitungen. Vor allem die Intelligenz-<br />
blätter, die in erster Linie Inseraten und amtlichen<br />
Bekanntmachungen gewidmet waren, sind im späteren<br />
18. Jahrhundert voll von Lotterie-Nachrichten,<br />
Hinweisen auf anstehende Ziehungen ebenso wie<br />
Bekanntgaben der Gewinnlose (wenn nicht der<br />
Gewinner selbst). In den „Hamburgischen Adreß<br />
Comtoir Nachrichten“ findet sich 1772 aber auch<br />
eine erste Spendenkampagne im eigentlichen Sinne:<br />
Die Leser wurden über mehrere Monate hinweg wiederholt<br />
aufgerufen, der von einer Hungersnot betroffenen<br />
Bevölkerung in Sachsen zu helfen. Das Intelligenzblatt<br />
publizierte dann die Liste eingegangener<br />
Spenden und auch die Namen mancher Spender.<br />
Ging es in Sachsen 1772 um soziale Wohltätigkeit,<br />
so stellten sich in anderen Fällen Notlagen,<br />
die nach patriotischen Opfergaben verlangten. In den<br />
Jahren1812/13 versuchte Preußen in den Befreiungskriegen,<br />
die Herrschaft Napoleons abzuschütteln.<br />
Dies erforderte eine große nationale Kraftanstrengung,<br />
an der das ganze Volk Anteil nahm. Dies fand<br />
auch darin seinen Ausdruck, dass zur Ausrüstung der<br />
Kriegsfreiwilligen Spendenaufrufe in den Berliner<br />
Tageszeitungen eingerückt wurden. Die Namen der<br />
Spender und die gespendeten Beträge wurden ebenfalls<br />
abgedruckt, als Anerkennung und zur Dokumentation<br />
beispielhaften Verhaltens, das auch andere<br />
zum Nachahmen anregen sollte. Der Besitzer einer<br />
Berliner Zeitungshalle rief dazu auf, goldene Trauund<br />
Verlobungsringe einzusammeln und aus dem<br />
Ertrag freiwillige Jäger einzukleiden und zu bewaffnen.<br />
Jeder eingelieferte Ring sollte zur Erinnerung an<br />
die patriotische Tat gegen einen eisernen eingetauscht<br />
werden, der auf der Innenseite die Inschrift<br />
MEDIEN – WOHLTÄTIGKEIT<br />
Abb. 1: Fotos wie dieses lösten nach<br />
dem Tsunami 2004 eine enorme<br />
Spendenbereitschaft aus.<br />
FORSCHUNGSMAGAZIN 1/<strong>2008</strong><br />
21<br />
Foto: © Reuters