Ausgabe 1/2008, 24. Jahrgang (pdf, 6.12 MB - Johannes Gutenberg ...
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„Neue Zeiten – neue Wörter – neue Wörterbücher“<br />
Von Erika Worbs<br />
Wörterbücher reflektieren eine veränderte Welt,<br />
vor allem dann, wenn es sich um Wörterbücher<br />
handelt, die ausschließlich Neologismen, das heißt<br />
neu entstandene Wörter und Redewendungen enthalten.<br />
„Neue Zeiten – neue Wörter – neue Wörterbücher“,<br />
das war der Titel eines internationalen lexikografischen<br />
Symposiums, das der Arbeitsbereich Polnisch<br />
im Institut für Slavistik des FB 06 Ende des Jahres<br />
2005 in Germersheim veranstaltete (Abb. 1). An der<br />
Tagung nahmen Experten der Neologismenforschung<br />
sowie Autoren von jüngst erschienenen Neologismen-Wörterbüchern<br />
des Deutschen, Russischen und<br />
Tschechischen teil. Der Tagungsband wird demnächst<br />
erscheinen. Den unmittelbaren Anlass gab ein gemeinsames<br />
Forschungsprojekt der Partneruniversitäten<br />
Mainz und Warschau, das Germersheimer und<br />
Warschauer Polonisten unter der Leitung von Prof. Dr.<br />
Erika Worbs und Prof. Dr. Andrzej Markowski verantworteten<br />
und das zum Zeitpunkt der Konferenz kurz<br />
vor dem Abschluss stand: ein Wörterbuch der Neologismen,<br />
das den neuen polnischen Wortschatz nach<br />
1989 mit Blick auf das Deutsche registriert und dokumentiert.<br />
Zum deutsch-polnischen Projektteam gehörten<br />
weiterhin Mitarbeiter und Studierende der<br />
Germersheimer Polonistik sowie des Instituts für<br />
Polnische Sprache der Universität Warschau. Konferenz<br />
und Wörterbuchprojekt wurden von der<br />
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem<br />
Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD),<br />
dem polnischen Komitee für Wissenschaftliche Forschung<br />
(KBN) sowie durch das Partnerschaftsprogramm<br />
der <strong>Johannes</strong> <strong>Gutenberg</strong>-Universität Mainz<br />
gefördert. Unter dem Titel „Polnisch-deutsches Wörterbuch<br />
der Neologismen. Neuer polnischer Wortschatz<br />
nach 1989“ ist es gerade rechtzeitig zur<br />
Frankfurter Buchmesse 2007 auf den Markt gekommen<br />
(Abb. 2).<br />
Die politisch-gesellschaftliche Entwicklung<br />
nach dem Kollaps des kommunistischen Systems in<br />
Mittel- und Osteuropa, aber auch die Globalisierung,<br />
haben den Sprachen des ehemaligen Ostblocks deutlich<br />
ihren Stempel aufgedrückt. Am schnellsten und<br />
auffälligsten reagiert der Wortschatz dabei stets auf<br />
Veränderungen der außersprachlichen Wirklichkeit.<br />
Die Wörterbücher geben allerdings oft erst mit einem<br />
gewissen zeitlichen Abstand Auskunft über neue<br />
Wörter und Wendungen. Spezielle Wörterbücher, die<br />
ausschließlich neue Wörter und Wendungen, so<br />
genannte Neologismen, dokumentieren, gab es bis<br />
vor kurzem weder für das Deutsche<br />
noch für das Polnische. Unser<br />
Projekt ist daher auch für die polnische<br />
Wörterbuchschreibung ein Novum.<br />
Das erste deutsche Neologismenwörterbuch<br />
im engeren Sinne<br />
ist im Jahr 2004 unter dem Titel<br />
„Neuer Wortschatz. Neologismen<br />
der 90er Jahre im Deutschen“ erschienen<br />
und umfasst zirka 900<br />
neue Wörter.<br />
Unsere Zielstellung war zunächst<br />
pragmatisch: Wir wollten den<br />
neuesten polnischen Wortschatz<br />
lexikografisch erschließen und damit<br />
die Lücke zu den vorliegenden zweisprachigen<br />
Wörterbüchern ausfüllen.<br />
An einem Fachbereich, an dem<br />
Übersetzen gelehrt wird, gehören<br />
Wörterbücher zu den obligatorischen<br />
Recherchemitteln. Darüber<br />
hinaus lassen sich am neuen Wortschatz,<br />
linguistisch gesehen, die aktuellen<br />
Quellen und Mechanismen<br />
der Wortbildung und deren Dynamik sowie der<br />
sprachlichen Konzeptualisierung erkennen. Durch<br />
den bilingualen Charakter des Wörterbuchs bietet<br />
sich zugleich eine kontrastive Perspektive, die Parallelen<br />
und Divergenzen in beiden Sprachen aufdeckt<br />
und das Wechselspiel zwischen Internationalisierung<br />
und heimischer Sprachentwicklung, zwischen Fremdem<br />
und Eigenem unter dem Einfluss der Globalisierung<br />
beleuchtet. Und schließlich ist ein Wörterbuch<br />
der Neologismen kein trockenes Register neuer Wörter<br />
mit bestimmten Suffixen und Präfixen, sondern<br />
mit seinen reichhaltigen Zitatbelegen zugleich ein<br />
anschauliches Lesebuch zur Zeitgeschichte, Kultur<br />
und Mentalität der Sprachträger. So treten auch Stereotype<br />
und Vorurteile im deutsch-polnischen Verhältnis<br />
plastisch hervor. Die Lektüre ist besonders<br />
interessant und ergiebig in Zeiten des Umbruchs, wie<br />
sie unser Wörterbuch umspannt.<br />
Dem polnisch-deutschen Wörterbuch liegt eine<br />
weite Neologismus-Auffassung zugrunde: Erfasst<br />
werden die im Zeitraum der letzten 15 bis 20 Jahre<br />
im Polnischen neu aufgekommenen heimischen wie<br />
entlehnten Wörter, Wortbedeutungen, festen Wortgruppen<br />
und Phraseologismen. Sie müssen in Abgrenzung<br />
von okkasionellen Neubildungen bereits<br />
überindividuelle Geltung erlangt und in die Allge-<br />
SPRACHWISSENSCHAFT<br />
Abb. 1: Konferenzplakat zur<br />
Ankündigung des Symposiums<br />
im Dezember 2005.<br />
FORSCHUNGSMAGAZIN 1/<strong>2008</strong><br />
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