7 Nachwort „Der Schatz im Schritt“ steht in einem der Bücher geschrieben, das ich ganz am Anfang gelesen habe. Ich habe mir dabei nicht viel gedacht, und doch tauchte der Satz in mir immer wieder auf. Nach dieser intensiven Forschungsreise kann ich meine Gefühle in diesem Satz widergespiegelt sehen. Warum so viel Anatomie? In mir stiegen Zweifel auf, dem Beckenbodenthema gewachsen zu sein. Udo Blum, Assistent an der Schule für CSO, motivierte mich, dies als Herausforderung anzunehmen. Er machte mich auf ein Muster meiner Patientengeschichten und Fallbeispiele aus der Supervision aufmerksam. Etwas schien sich zu wiederholen. Die gleichen Fragen und Unsicherheiten tauchten in unterschiedlichen Facetten immer wieder auf. In meiner Praxis als Craniosacral Praktizierende hatte ich immer wieder zu tun mit sehr strukturierten Menschen. Häufig waren es Menschen, denen es äusserst wichtig war, stets die Kontrolle über die Situation zu behalten, und immer genau zu wissen, was gerade geschieht. Die Beschwerden waren vielfältig, Rücken- oder Haltungsbeschwerden, Kieferbeschwerden, psychische Probleme, Kinderlosigkeit, Inkontinenz. Ich hatte das Gefühl, den Klienten etwas bieten zu müssen. Dieser Anspruch an mich selber setzte mich und somit auch sie unter grossen Druck. Erfolg zu haben hiess, möglichst schnell möglichst viel zu verändern. Ich probierte viele Techniken aus, und erkannte mein Wissensdefizit der anatomischen Strukturen. Ich wollte unbedingt, dass es den Klienten besser geht, und konnte doch häufig nur mageren Erfolg verzeichnen. Warum nicht gerade meinen Stolperstein zum Thema machen? Allmählich überwand ich meine Widerstände, mich intensiver mit dem Thema Beckenboden auseinander zu setzen. Während meiner Literaturrecherchen merkte ich bereits, dass ich erst einmal Ordnung schaffen musste. So begann ich aufzuräumen. Ich ordnete für mich die Strukturen, wollte jedes einzelne Ligament, jeden Muskel und jeden Knochen kennenlernen, bis ich schliesslich auf viele Seiten erarbeitete Anatomie kam. Ich entschied mich, den grössten Teil davon wieder herauszukürzen. Und doch blieb der Abdruck davon in mir und in dieser Arbeit haften. Es war wie die ursprüngliche Idee A. T. Stills zu würdigen, die Anatomie bis ins Detail zu verstehen. Um dieser Arbeit, der CSO, meinen Klientinnen und Klienten und mir selbst gerecht zu werden, musste ich mich ganz intensiv mit Struktur und Ordnung im Sinne der Osteopathie auseinandersetzen. Es war sehr wichtig für mich, aus dem ungeordneten Chaos an Information, Halbwahrheiten und Ammenmärchen, Beziehungsratgebern und Glückspostpsychologie eine Echtheit und Struktur herauszufiltern. Dies sah ich nur über den sicheren Weg der Anatomie. Je länger ich schrieb, umso neugieriger wurde ich und suchte einen neuen Behandlungsansatz für mich. Es war, als hätte ich einen in mir schlummernden Schatz berührt, der gerade erwachte. Aha- und Erfolgserlebnisse, plötzliches Erkennen von Zusammenhängen und die Ernüchterung, noch gar nichts zu wissen, lösten sich ab. Diese Arbeit half mir, mich zu ordnen. Eine Struktur in einen Bereich meiner Tätigkeit zu bringen. Die vielen Verbindungen, die unglaubliche Kraft des Beckens, der Einfluss auf unser ganzes Sein und gleichwohl die absolute Verletzlichkeit, die sich durch alle Ebenen des Menschseins zieht. Dieses bis ins letzte Detail ausgeklügelte System der Natur <strong>Diplomarbeit</strong> von Julia Aenishänslin, Abschluss April 2010 Schule für CSO, R. <strong>Merkel</strong> Seite 48
hat mich zutiefst berührt. Ich hoffe, es ist mir gelungen, meine Ergriffenheit und tiefe Erfurcht dem Thema Beckenboden gegenüber zu vermitteln. Nun hoffe ich, dass sich beim Lesen dieser Arbeit die Zusammenhänge offenbaren und die Faszination auch auf den Leser übergehen und sich so diesr osteopathisch-anatomisch-persönliche Spagat zu einem Kreis schliessen kann. „ Wenn du den Menschen verstehst, kannst du beweisen, dass Gottes Werk vollkommen ist.“ Andrew Taylor Still <strong>Diplomarbeit</strong> von Julia Aenishänslin, Abschluss April 2010 Schule für CSO, R. <strong>Merkel</strong> Seite 49