In deinem Licht sehen wir das Licht - Dritte Europäische ...
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32<br />
und Ängste eines einsamen Menschen reicht. Gott<br />
handelt an Jakob. Gott formt den Jakob. Später<br />
werden sie sogar miteinander kämpfen, und Gott<br />
<strong>wir</strong>d Jakob einen neuen Namen geben. Israel – der<br />
Gottesstreiter (Genesis 32). Soweit zunächst Jakobs<br />
Situation, in der er diesen Traum von Gott geschenkt<br />
bekommt.<br />
Heute will ich einen weiteren gewagten Schritt gehen<br />
und Jakob mitnehmen in den Weg unserer Kirche<br />
oder besser gesagt in den Weg unserer Kirchen.<br />
Denn liebe Gemeinde, während <strong>wir</strong> hier<br />
Gottesdienst feiern, versammeln sich in Sibiu/Hermannstadt,<br />
in Rumänien, ca. 2500 Delegierte aus<br />
fast allen Kirchen ganz Europas. Für viele Menschen<br />
<strong>wir</strong>kt es so, als ob die Ökumene zurzeit<br />
durch ein orientierungsloses finsteres Tal wandere.<br />
Die Ökumene hat sicherlich hinab steigen müssen<br />
von den Gipfeln der früheren und viel versprechenden<br />
Erfolge in den sechziger und siebziger Jahren<br />
des letzten Jahrhunderts, nach dem Aufbruch der<br />
ökumenischen Bewegung und der Öffnung nach<br />
dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der Kirche<br />
Roms. Das war besonders wichtig für Deutschland,<br />
wo die beiden großen Kirchen eine 450 Jahre lange<br />
Geschichte mit- und auch gegeneinander haben.<br />
Ja, auch noch die Erste <strong>Europäische</strong> Ökumenische<br />
Versammlung 1989 in Basel lebte im Schwung einer<br />
sich anbahnenden Veränderung: den Fall des<br />
Eisernen Vorhanges, der Europa teilte.<br />
Diese verheißungsvolle Situation gehört nun der<br />
Vergangenheit an. Die ökumenischen Empfindlichkeiten<br />
nehmen bisweilen Züge an, die für die jeweils<br />
andere Seite nicht nachvollziehbar sind. Die<br />
Herzlichkeit früherer Begegnungen ist leider mitunter<br />
einer etwas unterkühlten Protokollökumene<br />
gewichen. Und, liebe Gemeinde, da sind nicht immer<br />
nur „die Anderen“ schuld. Aber ganz abge<strong>sehen</strong><br />
davon, möchte ich die Schuldfrage hier nicht<br />
gestellt haben wollen. Schuld liegt allein schon<br />
darin, <strong>das</strong>s es überhaupt eine ökumenische Verweigerung<br />
gibt. Die Brüderlichkeit zwischen Esau<br />
und Jakob war auch dem Misstrauen gewichen.<br />
Das daraus folgende Wandern, Umherirren und die<br />
Einsamkeit des Jakob sprechen für sich. Dieses<br />
ganze Geschehen aber erlaubt gerade der heutigen<br />
ökumenischen Situation hoffnungsvolle Perspektiven.<br />
Der Weg Gottes mit Jakob eröffnet auch jetzt,<br />
für heute – für uns – neue Räume.<br />
Denn zwei Dinge lassen es zu, <strong>das</strong>s in dieser Situation<br />
die Hoffnung auf die Einheit der Kirche Gottes<br />
in den Herzen der Christinnen und Christen nicht<br />
erlöschen muss. Das Erste ergibt sich aus dem, was<br />
bisher gesagt wurde. Die Talsohle scheint wohl erreicht<br />
zu sein. Nun, ich weiß nicht, ob Gott die Ökumene<br />
und die Kirchen noch tiefer führen <strong>wir</strong>d.<br />
Doch ist auch klar, <strong>das</strong>s Er <strong>das</strong>, was er begonnen<br />
hat, auch zu Ende bringen <strong>wir</strong>d, bis an den Tag, an<br />
dem Christus wieder kommt (Phil 1,6). Das heißt,<br />
<strong>das</strong>s <strong>das</strong> nächste Stadium darauf wartet, von jungen<br />
aber auch erfahrenen Ökumenikerinnen und<br />
Ökumenikern, von Pfarrerinnen und Pfarrern,<br />
Theologinnen und Theologen, Priesterinnen und<br />
Priestern und Bischöfinnen und Bischöfen erklommen<br />
zu werden. Auf diesen Weg kann aber nur<br />
Christus führen. Werden <strong>wir</strong> es schaffen, die Gelegenheit<br />
zu nutzen? Können <strong>wir</strong> als Kirchen und als<br />
Ökumene in Deutschland unseren eigenen Trend<br />
schaffen? Ich glaube, <strong>das</strong>s <strong>wir</strong> die Chance haben,<br />
zu zeigen, <strong>das</strong>s eine <strong>In</strong>stitution ihrer Furcht ins<br />
Auge <strong>sehen</strong> kann und sich dazu stellt, <strong>das</strong>s sie im<br />
Tal ist. Ja, <strong>das</strong>s sie den Schritt hinunter ins Tal<br />
wagt.<br />
Jakob erlebte, <strong>das</strong>s er nicht aus seinem Betrug oder<br />
seiner Gerissenheit heraus leben konnte. Er musste<br />
begreifen, <strong>das</strong>s er allein aus Gottes Reden und Dienen<br />
Kraft und Zuversicht schöpfen kann. Es war in<br />
Bet El unwichtig, wie sehr er sich als gerissener<br />
Stratege und Taktiker erwiesen hatte. Sein Profil,<br />
der neue Erstgeborene zu sein, spielte jetzt keine<br />
Rolle mehr. Vor Gott zählt <strong>das</strong> nicht! Gott spricht<br />
zu ihm dort, wo er am schwächsten ist: im Schlaf,<br />
träumend. „Wenn der Herr die Gefangen heimführen<br />
<strong>wir</strong>d – wie die Träumenden werden <strong>wir</strong> sein“<br />
(Psalm 126,1). Eigentlich ist er gerade jetzt recht<br />
hilflos.<br />
Dort unten, ohne alle gewohnten Sicherheiten,<br />
ohne die technischen Auguren und ohne <strong>das</strong> unbeholfene<br />
Profilieren gegen seinen Bruder und vor<br />
Gott, hat er auf den zu warten, der ihm zuflüstert,<br />
was Gott auch uns mit der Jahreslosung zusagt:<br />
„Siehe, ich will Neues schaffen, schon wächst es<br />
auf! Erkennt Ihr’s denn nicht?“ (Jes 43,19). Das<br />
mag vielleicht etwas poetisch klingen, aber es<br />
nimmt erst einmal den Zwang, ja die Last ab. Das<br />
alles geht nämlich nur, wenn <strong>wir</strong> still werden. Nur<br />
wenn <strong>wir</strong> unsere Arbeit beiseite legen und einfach<br />
zuhören. Wenn <strong>wir</strong> mal für einen Moment unseren<br />
Mund halten, eine Art geistlichen Atemstillstand<br />
wagen und warten. Nur diejenigen, die mutig genug<br />
sind und aufhören, die alten Schritte zu tanzen,<br />
werden die neuen Schritte entdecken. Es <strong>wir</strong>d<br />
nur denen dämmern, die bereit sind, eine Pause<br />
einzulegen, still zu sein. Sich den Himmel anzu<strong>sehen</strong><br />
und den Stein unter den Kopf zu rollen. Auch<br />
wenn der Himmel unerreichbar scheint. Es werden<br />
nur die begreifen, die sich getrauen, ihre Erschöpfung<br />
wahrzunehmen und vor Gott still zu werden.<br />
Auch <strong>wir</strong> haben unsere Brüder betrogen, wie es Jakob<br />
getan hat. <strong>In</strong> der Ökumene läuft es mitunter<br />
nicht anders, als in den Vätergeschichten. Daran<br />
ändert zunächst auch eine <strong>Europäische</strong> Ökumenische<br />
Versammlung noch nichts. Und trotzdem: Es<br />
ist wahrlich ein Segen, <strong>das</strong>s sie stattfindet. Dass<br />
Menschen sich versammeln, auf Gottes Wort hören,<br />
beten, den Blick in den Himmel wagen. Es ist<br />
sehr wichtig, uns dies heute bewusst zu machen,<br />
<strong>das</strong>s zur gleichen Stunde, in der <strong>wir</strong> hier versammelt<br />
sind, in Sibiu Menschen aus ganz Europa auch<br />
Gottesdienst feiern. Es geht um sehr viel mehr als<br />
um eine Versammlung. Es geht darum, <strong>wir</strong>klich<br />
stille zu werden vor Gott, <strong>das</strong> kann heißen: hinab<br />
steigen. Mag sein, <strong>das</strong>s die Medien dann nicht viel<br />
zu berichten haben, weil <strong>wir</strong> es wagten, für einen<br />
Moment lang still zu halten. Jakobs Weg zeigt,<br />
<strong>das</strong>s er auf dem Weg durch die Wüste Gott neu<br />
begegnet, dem Gott, der größer ist als er selbst,<br />
dem Beginner und Vollender des Glaubens (Hebräer<br />
12,1).<br />
Das ist <strong>das</strong> erste Hoffnungszeichen – <strong>das</strong>s es mit<br />
diesem Gott nicht zu Ende ist, auch wenn Jakob,<br />
auch wenn <strong>wir</strong> am Ende sind. Das Zweite, was die<br />
Zuversicht für die Ökumene nicht erlöschen lassen<br />
<strong>wir</strong>d, schöpft aus dem Wort Gottes. Es <strong>wir</strong>d durch<br />
den Traum Jakobs selbst deutlich. Die Leiter aus<br />
seinem finstern Tal steht bereit. Er müsste nur<br />
hochsteigen, sich etwas anstrengen. Aber! Er darf<br />
liegen bleiben. Denn für fromme Anstrengungen ist<br />
er zu erschöpft, zu gehetzt, zu verfolgt. Engel kommen<br />
und dienen ihm. Gott selbst handelt. Gott<br />
spricht zu Jakob. Und <strong>das</strong> lassen Sie sich, lass ich<br />
mir und können sich auch die Kirchen und die Ökumene<br />
gesagt sein lassen: „Ich bin mit dir, ich behüte<br />
dich, wohin du auch gehst, und bringe dich<br />
zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht,<br />
bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe“<br />
(Vers 15).<br />
Wer kennt diese Geschichte nicht aus dem Kindergottesdienst<br />
oder aus der Schule? Die Bilder dieser<br />
Erzählung sind wahrscheinlich Ihnen allen aus den<br />
eigenen Schulheften, bunt gemalt mit Wachsmalkreide<br />
und Holzstiften vor Augen. Vermutlich ist sie<br />
deshalb eine der bekanntesten Episoden aus dem<br />
Alten Testament, weil es nicht darum geht, immer<br />
Oberwasser zu haben. Sondern <strong>das</strong>s Gott eben andere<br />
Wege geht. Und der Weg Gottes mit Jakob<br />
malt uns vor, <strong>das</strong>s <strong>wir</strong> später nicht daran gemessen<br />
werden, ob <strong>wir</strong> gerissen oder scharfsinnig genug<br />
gewesen sind, sondern ob <strong>wir</strong> uns <strong>das</strong> Sprechen<br />
Gottes zugemutet haben. Und <strong>das</strong> auch in Situationen,<br />
in denen es schwierig ist und in denen man<br />
fast ausschließlich auf Ihn, auf Gott angewiesen<br />
war und ist.<br />
Liebe Gemeinde, ich bin ehrlich gesagt versucht,<br />
mir die Worte des Predigers Martin Luther King<br />
zueigen zu machen und laut zu rufen – „I have a<br />
dream!“ Ich träume von einer Kirche, in denen<br />
Gott den Menschen dient. Ich träume von einer Kirche,<br />
die die eine ist. Die die einfältige ist. <strong>In</strong> der<br />
Gott gegenwärtig handelt. Und ich will mir und<br />
allen, Pfarrerinnen und Pfarrern, allen Ökumenikerinnen<br />
und Ökumenikern und auch allen Bischöfen