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Aphoristic Writings, Notebook, and Letters to a Friend, by Otto ...

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Also für Zukunft wie für Vergangenheit gibt es keine Freiheit; über sie hat der<br />

Mensch keine Macht.<br />

Darum kann sich der Mensch auch nie verstehen: Denn er ist selbst ein zeitloser<br />

Akt, ein Akt, den er immer wieder vollzieht, und es gibt keinen Moment, wo er diesen<br />

Akt nicht vollzöge, wie dies sein müßte, damit er sich verstünde. [Parsifalmotiv<br />

variiert III. Akt (Den heil'gen Speer, ich bring ihn euch zurück].<br />

Die Ethik läßt ausdrücken: H<strong>and</strong>le vollbewußt, d. h. h<strong>and</strong>le so, daß in jedem<br />

Momente Du als Ganzer seiest, Deine ganze Individualität liege. Diese Individualität<br />

erlebt der Mensch im Laufe seines Lebens nur im Nachein<strong>and</strong>er; darum ist die Zeit<br />

unsittlich und kein lebender Mensch je heilig, vollkommen. H<strong>and</strong>elt der Mensch ein<br />

einziges Mal mit dem stärksten Willen so, daß alle Universalität seines Selbst (und<br />

der Welt; denn er ist ja der Mikrokosmus) in den Augenblick gelegt wird, so hat er die<br />

Zeit überwunden und ist göttlich geworden.<br />

Die gewaltigsten musikalischen Motive der Weltmusik sind solche, wo dieses<br />

Durchbrechen der Zeit in der Zeit, das Brechen aus der Zeit heraus darzustellen<br />

versucht wird, wo auf einen Ton ein solcher Iktus fällt, daß er die übrigen Teile der<br />

Melodie (welche als Ganzes die Zeit vorstellt; einzelne Punkte, zusammengefaßt<br />

durchs Ich) resorbiert und dadurch die Melodie aufhebt. Das Ende des Gralmotives im<br />

„Parsifal“, das Siegfried-motiv sind solche Melodien.<br />

Es gibt jedoch einen Akt, welcher die Zukunft sozusagen in sich resorbiert, allen<br />

künftigen Rückfall ins Unmoralische bereits als Schuld voraus empfindet, nicht<br />

minder als alle unmoralische Vergangenheit, und dadurch über beide hinauswächst:<br />

Eine zeitlose Setzung des Charakters, die Wiedergeburt. Es ist der Akt, durch den das<br />

Genie entsteht.<br />

Sittliches Gebot ist: In jeder H<strong>and</strong>lung soll die ganze Individualität des Menschen<br />

sichtbar werden, jede soll vollkommene Überwindung der Zeit, des Unbewußten, der<br />

Enge des Bewußtseins sein. Meistens tut der Mensch aber nicht, was er will, sondern<br />

was er gewollt hat. Er gibt sich durch seine Entschlüsse immer nur eine gewisse<br />

Direktion, in der er sich dann bis zum nächsten Momente der Besinnung bewegt. Wir<br />

wollen nicht fortwährend, wir sind nur zeitweise, schubweise wollend. So ersparen<br />

wir uns zu wollen: Prinzip der Ökonomie des Wollens. Aber der höhere Mensch<br />

empfindet dies immer als durchaus unsittlich. Gegenwart und Ewigkeit sind verw<strong>and</strong>t:<br />

Zeitlose, allgemeine, logische Urteile haben die Form der Gegenwart (Logik ist<br />

erreichte Ethik): Und so soll auch in jeder Gegenwart alle Ewigkeit liegen. Wir<br />

dürfen uns auch von innen nicht determinieren; auch diese letzte Gefahr, diese letzte<br />

trügerische Schein der Au<strong>to</strong>nomie ist zu meiden.<br />

Wolle! d.h.: Wolle Dich ganz!<br />

Das Richtige im Sozialismus ist, daß jeder Mensch, wie er sich selbst, seine<br />

Eigenart suchen und auch sich zu finden trachten soll, auch sein Eigentum erst zu<br />

erwerben trachten solle; und hier darf er von außen nicht in seinen Möglichkeiten von<br />

vornherein beschränkt sein.<br />

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