atw - International Journal for Nuclear Power | 04.2019
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<strong>atw</strong> Vol. 64 (2019) | Issue 4 ı April<br />
dass das BVerfG von einer Ausnahmestellung<br />
des Atomrechts ausgehe und<br />
dieses Urteil keine „Blaupause“ für<br />
andere Technologien sei. Bei Technologien<br />
wie der Kohleverstromung<br />
oder der nuklearen Brennstoffversorgung<br />
müsse sich das Verfassungsgericht<br />
fragen, ob die Ausstiegsregelung<br />
nicht eigentlich nur als<br />
Symbolpolitik gemeint sei. Die<br />
vom Bundesumweltministerium angestrebte<br />
Schließung der Brennelementfabrikation<br />
und der Urananreicherung<br />
ziele auf eine Schließung<br />
bzw. zumindest eine Nichtbelieferung<br />
von ausländischen KKW. Karpenstein<br />
konstatierte dazu: „Dies ist europarechtlich<br />
kein legitimes Ziel“. Die Angemessenheit<br />
einer Stilllegung müsse,<br />
darin sei er sich mit Schomerus einig,<br />
genau geprüft werden. Zum Beispiel<br />
habe das BVerfG im Falle eines Tagebaubetriebs<br />
eine Beschränkung der<br />
Nutzungsberechtigung auf 4 Jahre als<br />
schwerwiegenden Eingriff betrachtet.<br />
Letzter Redner des 1. Themenblocks<br />
war Prof. Dr. Markus Krajewski,<br />
Universität Erlangen-Nürnberg, mit<br />
dem Thema „Investitionsschutzabkommen<br />
als Grenze zukünftigen<br />
Ordnungsrechts“. Nach Darstellung<br />
der Grundzüge des internationalen<br />
Investitionsschutzrechts und des uneinheitlichen<br />
materiellen Rechts (z.B.<br />
Art. 10 Abs. 1 Energiecharta-Vertrag<br />
im Vergleich zu Art. 8.10 CETA-Abkommen)<br />
sowie der aktuell bestehenden<br />
Unklarheiten bzgl. der Fortentwicklung<br />
des Investitionsschutzrechts<br />
durch die und in der EU merkte<br />
Krajewski zu dem Achmea-Urteil des<br />
EuGH (Rs C-284/16) an, dass nach<br />
diesem Urteil nicht klar sei, ob es nur<br />
für Intra-EU-Investitionsabkommen<br />
gelte oder auch auf andere Abkommen<br />
wie dem Energiecharta-Vertrag<br />
übertragbar sei. Konkret zum anhängigen<br />
Schiedsverfahren von<br />
Vattenfall in Washington über die<br />
Verletzung des Energiecharta-Vertrags<br />
durch die 13. AtG-Novelle wies<br />
Krajewski darauf hin, dass einseitige<br />
Abweichungen der Regierung von<br />
konsensual mit der Industrie vereinbarten<br />
Lösungen investitionsschutzrechtlich<br />
die Frage aufwerfe, ob in<br />
der Vereinbarung eine spezifische<br />
Zusicherung zu sehen sei, deren<br />
Änderung legitime Erwartungen der<br />
Investoren enttäuscht habe. Unter<br />
Hinweis auf Art. 10 Abs. 1 Energiecharta-Vertrag<br />
erinnerte Krajewski<br />
daran, dass eine Abwägung im<br />
Investitionsschutzrecht letztlich über<br />
das „Equity“-Gebot (Gebot der fairen<br />
und gerechten Behandlung) zu treffen<br />
sei.<br />
In der anschließenden lebhaften<br />
Diskussion unterstrich Prof. Dr.<br />
Michael Eichberger, Richter am<br />
BVerfG a.D., der Berichterstatter im<br />
Streitverfahren über die 13. AtG-<br />
Novelle war, die Auffassung von<br />
Burgi, durch das „Ausstiegsgesetz“<br />
von 2002 habe es eine Vorfindlichkeit<br />
der Rechtslage gegeben; ebenso sei<br />
richtig, dass der Inhalt der Eigentumsund<br />
Schrankenbestimmung in Art.<br />
14 GG durch die Vorfindlichkeit<br />
bestimmt werde. Zu der Frage, ob die<br />
geänderte Risikowahrnehmung der<br />
Bevölkerung ein hinreichender tragfähiger<br />
Grund für einen Grundrechtseingriff<br />
sei, stellte Eichberger unter<br />
Zitierung von Satz 3 in Rdn. 308 des<br />
Urteils vom 6.12.2016 fest, das BVerfG<br />
habe hier sehr vorsichtig <strong>for</strong>muliert.<br />
Das Urteil solle kein „Freibrief“ sein<br />
für andere Fälle.<br />
Karsten Möring, MdB und Berichterstatter<br />
der CDU/CSU zur 16. AtG-<br />
Novelle, zeigte sich irritiert über den<br />
Begriff der Hochrisikotechnologie.<br />
Seine Frage, wieweit dieser Begriff,<br />
der auch bei der Brennelementfabrikation<br />
und der Anreicherung eine<br />
Rolle spiele, konkretisiert worden sei,<br />
ließ Eichberger bewusst unbeantwortet.<br />
Er wolle einzelne Teile des<br />
Urteils, also auch den Begriff der<br />
Hochrisikotechnologie nicht rechtfertigen.<br />
Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof,<br />
Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts<br />
a.D. (ab 30.11.2018), hielt es<br />
dagegen für angezeigt, zu dem Begriff<br />
anzumerken, dieser solle den Vertrauensschutz<br />
in seiner geschichtlichen<br />
Entwicklung beschreiben. Burgi ließ<br />
es in seiner Entgegnung dahin gestellt<br />
sein, ob dieser Begriff ein zentraler<br />
Punkt des Urteils sei, jedenfalls brauche<br />
man ihn nicht, um den Kohleausstieg<br />
zu rechtfertigen. In Bezug<br />
auf den Diskussionsbeitrag von Dr.<br />
Manfred Rebentisch, Clif<strong>for</strong>d Chance<br />
LLP, bei der Kohle gehe es nicht um<br />
Gefahrenabwehr, sondern um Vorsorgean<strong>for</strong>derungen,<br />
die unter dem<br />
Verhältnismäßigkeitsgebot stünden,<br />
merkte Prof. Dr. Sabine Schlacke, Universität<br />
Münster, an, dass der Wandel<br />
des Klimas, das durch Art. 20a GG<br />
geschützt sei, ein legitimer Zweck des<br />
Kohleausstiegsgesetzes sei, und wies<br />
auf das vor dem OLG Hamm anhängige<br />
Verfahren des peruanischen<br />
Bauern gegen RWE hin, in dem das<br />
Gericht davon ausgehe, dass der<br />
Mitverursachungsanteil von RWE am<br />
Abschmelzen des Palcaraju- Gletschers<br />
in Peru und an der Gefahr einer Überflutung<br />
des am Gletscher liegenden<br />
Hausgrundstücks des Klägers 0,47 %<br />
betrage.<br />
Den Einwand von Dr. Christian<br />
Müller-Dehn, PreussenElektra GmbH,<br />
bzgl. der Einschätzung von KKW<br />
als Hochrisikotechnologie, es seien<br />
extrem hohe An<strong>for</strong>derungen an die<br />
Betreiber von KKW zwecks Risikominimierung<br />
gestellt worden, so<br />
dass das verbleibende probabilistische<br />
Risiko mit anderen Technologien vergleichbar<br />
sei, ließ Burgi nicht gelten.<br />
Es gebe kein Indiz im Urteil vom<br />
6.12.2016 dafür, dass der Grundrechtsschutz<br />
des Betreibers eines<br />
KKW höher oder zumindest gleichwertig<br />
dem eines Betreibers anderer<br />
Technologien sei.<br />
Kirchhof kommentierte die Diskussion<br />
mit der Feststellung, es handele<br />
sich um eine typisch deutsche Diskussion,<br />
und riet, „unser Ei nicht immer<br />
im Verfassungsrecht zu suchen“.<br />
Der zweite Tag der Veranstaltung<br />
startete mit dem 2. Themenblock<br />
„ Aktuelle Rechtsfragen der nuklearen<br />
Sicherheit“.<br />
Prof. Dr. Martin Beckmann, Baumeister<br />
Rechtsanwälte Partnerschaft<br />
mbH, untersuchte die Kriterien für<br />
eine „Grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung<br />
(UVP)<br />
bei Laufzeitverlängerung“ von nuklearen<br />
Zwischenlagern in Deutschland<br />
und von ausländischen KKW. Er wies<br />
darauf hin, dass Aufbewahrungs genehmigungen<br />
in deutschen Zwischenlagern<br />
auf 40 Jahre befristet seien, so<br />
dass angesichts fehlender Endlagermöglichkeiten<br />
eine Still legung der<br />
Zwischenlager keine Option sei und<br />
daher sehr zeitgerecht über eine Laufzeitverlängerung<br />
(als Verlängerung<br />
der Genehmigungsfrist oder ggf. auch<br />
als Änderung einer Genehmigungsauflage)<br />
entschieden werden müsse.<br />
Bezüglich der Frage der Notwendigkeit,<br />
eine grenzüberschreitende UVP<br />
durchführen zu müssen, erläuterte<br />
Beckmann, dass die für eine grenzüberschreitende<br />
UVP beachtliche<br />
Schwelle der erheblichen Umweltauswirkungen<br />
dem Maßstab der Vorprüfung<br />
bei Neuvorhaben nach § 7<br />
Abs. 1 S. 2 UVPG („erhebliche nachteilige<br />
Umweltauswirkungen“) entspreche.<br />
Eine grenzüberschreitende<br />
UVP bei Laufzeitverlängerung sei nicht<br />
er<strong>for</strong>derlich, wenn das Vorhaben<br />
nach Einschätzung der Behörde keine<br />
erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen<br />
haben könne oder wenn<br />
erhebliche Umweltauswirkungen nicht<br />
grenzüberschreitend seien. Bei ausländischen<br />
KKW, wovon es ca. 120<br />
KKW in den 14 deutschen Nachbarstaaten<br />
gebe, hänge die Er<strong>for</strong>derlichkeit<br />
einer grenzüberschreitenden UVP<br />
u.a. davon ab, ob der Projektbegriff der<br />
ENERGY POLICY, ECONOMY AND LAW 209<br />
Energy Policy, Economy and Law<br />
The 15 th Deutsche Atomrechtssymposium: An Determination of the Curent Situation ı Ulrike Feldmann