Akademischer Stellenmarkt - Forschung & Lehre
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KARL-HEINZ HILLMANN<br />
309<br />
Hochschulpolitik<br />
Kunst- und<br />
Musikhochschulen<br />
aktuell<br />
Zukunftsfähige Gesellschaft<br />
Notwendigkeit, Konturen und Realisierungschancen<br />
Die gegenwärtige Umwelt- und Überlebenskrise<br />
kann nur durch die Herausbildung einer ökologisch<br />
angepaßten, nachhaltigen und somit zukunftsfähigen<br />
Gesellschaft überwunden werden. Wie könnte<br />
eine solche Überlebensgesellschaft aussehen? Läßt sie<br />
sich verwirklichen?<br />
Von der Umwelt- zur Überlebenskrise<br />
Das gegenwärtige Zeitalter bildet die geschichtlich einmalige<br />
Epoche, in der sich entscheiden wird, ob die Menschheit<br />
noch eine Zukunft zu erwarten hat. Die Kombination von<br />
naturwissenschaftlicher Wissensexpansion, technischem Fortschritt,<br />
wirtschaftlichem Wachstum, Bevölkerungsexplosion<br />
und Anspruchsdynamik hat eine Umweltkrise entstehen lassen,<br />
die durch zunehmend zerstörerisch wirkende Belastungen<br />
der Natur allgemein und von Ökosystemen speziell gekennzeichnet<br />
ist. Die Umweltkrise – zugleich Ausdruck unbeabsichtigter<br />
Folgen gesteigerter Handlungs- und Eingriffsmöglichkeiten<br />
von Angehörigen dynamischer Gesellschaften – hat<br />
sich mit großenteils neuartigen Belastungen und Zerstörungen<br />
sowie mit weltweiter Ausbreitung so stark zugespitzt, daß<br />
die Überlebenschancen der Menschheit und vieler anderer<br />
Arten des Lebens auf der Erde immer mehr gefährdet sind.<br />
Angesichts dieser Bedrohungssituation ist die Umweltkrise<br />
sogar zu einer umfassenden Überlebenskrise ausgeufert. Dementsprechend<br />
ist der Mensch nicht nur Gestalter, sondern<br />
nunmehr ungewollt auch zum Zerstörer der Überlebensmöglichkeiten<br />
geworden. Mit der Gewinnung und Ausweitung<br />
von Wissen über diese ökologisch schädlichen Folgen,<br />
insbesondere der wachstumsorientierten Wirtschafts- und<br />
Konsumweise, verliert der Mensch seine Unschuld, wird seine<br />
Fähigkeit zu einer Umstellung auf ökologisch verantwortliches,<br />
umweltgerechtes und zukunftssicherndes Handeln herausgefordert.<br />
Die Überlebenskrise betrifft unterschiedliche Ebenen<br />
der Erde und des Lebens: auf der Makroebene die Umweltmedien<br />
Boden, Wasser und Luft, das Klima und die Ozonschicht<br />
der Troposphäre, große Ökosysteme wie die Meere<br />
und tropischen Regenwälder; auf der Mikroebene die gegenwärtig<br />
explosionsartig voranschreitende toxische Belastung<br />
bzw. chronische Vergiftung des Menschen und anderer Arten<br />
des Lebens durch die globale Ausbreitung einer weiterhin<br />
wachsenden Fülle von Chemikalien, die kaum noch kontrol-<br />
<strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong><br />
6/2002<br />
Karl-Heinz Hillmann,<br />
Dr. rer. pol. und Dr. phil. habil.,<br />
apl. Professor für Soziologie,<br />
Julius-Maximilians-Universität<br />
Würzburg<br />
lier- und beherrschbar sind. Folgen dieser Belastung sind Umweltkrankheiten,<br />
genetische Schäden, die Gefährdung der<br />
Fertilität, Fehlgeburten, steigende und auf Finanzierungsgrenzen<br />
stoßende Gesundheitskosten.<br />
Soziologisch relevante Folgen und Fernwirkungen der<br />
Überlebenskrise sind die Zerstörung von Lebensräumen, dadurch<br />
bedingte Migration (Umweltflüchtlinge), ethnische Konflikte,<br />
die Beeinträchtigung des Lebensgefühls und der<br />
Zukunftserwartungen durch eine Flut von Informationen über<br />
Umweltgefahren und -zerstörungen, die In-Frage-Stellung des<br />
Systems moderner Gesellschaft, die Ausbreitung von Pessimismus,<br />
Resignation und Endzeitstimmung, abnehmendes<br />
Interesse an eigenen Nachkommen, die angesichts bedrohter<br />
Überlebensmöglichkeiten nicht mehr verantwortbar seien.<br />
Gesellschaft wird damit tendenziell zu einem Auslaufmodell,<br />
zu einer Endzeit- und Untergangsgesellschaft.<br />
Die bisherigen Bemühungen um eine Bewältigung der<br />
Überlebenskrise haben sich insgesamt als unzureichend erwiesen.<br />
Gründe für dieses Defizit sind u.a.:<br />
1. Viele Gefahrenentwicklungen vollziehen sich jenseits<br />
der naturgegebenen Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen.<br />
2. Viele Schädigungen entfalten sich zunächst latent<br />
und erweisen sich erst (später) bei ihrer Manifestation womöglich<br />
als irreparabel.<br />
3. Das Dominantwerden anderer Probleme, z. B. Wirtschaftskrise,<br />
Arbeitslosigkeit, Verteilungskämpfe, soziale Ungerechtigkeit,<br />
Werteverfall, Orientierungskrise, Egoismus, Kriminalität,<br />
ethnische Konflikte, gesellschaftliche Desintegration,<br />
Extremismus, Fanatismus, Terrorismus, Gewalt und Kriege.<br />
Diese gesellschaftlichen Probleme und Krisen gefährden<br />
zwar nicht – von einem globalen Atomkrieg abgesehen – die<br />
Zukunft der Menschheit, absorbieren aber immer mehr Auf-