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Akademischer Stellenmarkt - Forschung & Lehre

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Contra<br />

313<br />

Kritik ist ein Definiens für<br />

Wissenschaft. Peer-Review-<br />

Verfahren sind als Formen<br />

der Kritik anzusehen. In<br />

Kontrast zu den Praktiken privater Marktforschungsfirmen,<br />

die z.B. (in Österreich) ministeriell beauftragt<br />

Hörsaaltüren aufreißen und mit einem Blick<br />

die vorhandene Studentenmasse abschätzen,<br />

oder zu den Artefakten evaluativer Szientometrie<br />

(Stichwort: der umstrittene Impact<br />

Faktor des ISI) sind qualitative Bewertungen<br />

geistiger Leistungen unverzichtbar.<br />

Betont sei der Plural: Das Peer-Review-System<br />

als einheitliches Prüfsystem gibt es<br />

nicht. Zu unterschiedlich sind die Betriebssitten<br />

in einzelnen Disziplinen, Organisationen,<br />

Redaktionen. Die vielen Peer-Review-<br />

Varianten haben unterschiedliche Funktionen:<br />

Bei niedrigen Abweisungsraten (20-30<br />

Prozent in der Physik) sollen Gutachter Aufsätze<br />

zum Druck vorschlagen, es dominieren<br />

serielle Verfahren: Ein Gutachter wird<br />

bestimmt, wenn dieser das Manuskript empfiehlt,<br />

wird es gedruckt; lehnt dieser ab, wird<br />

ein weiterer Gutachter beauftragt. Bei hohen<br />

Abweisungsraten (80-90 Prozent in der Psychologie)<br />

sollen Gutachter Argumente für die<br />

Ablehnung von Manuskripten liefern, es werden<br />

parallele Verfahren (mit 2 bis 4 Gutachtern zugleich)<br />

bevorzugt. Bei diskrepanten Beurteilungen wird das Manuskript<br />

oft abgelehnt.<br />

In der Konkurrenz der Journale fungieren künstlich überhöhte<br />

Abweisungsraten (der Mythos: je höher, desto wissenschaftlich<br />

hochwertiger; manche Journale deklarieren<br />

daher sogar Kürzungsforderungen als Abweisung) und der<br />

„Peer-Review“-Stempel nicht selten als Prestigeschmuck.<br />

Vielfach ist unklar, welche Journale extern begutachtet<br />

werden und welche nicht: Der Vergleich offiziöser Kataloge<br />

bringt nur teilweise Schnittmengen. Oft fehlen jedwede<br />

Angaben zum Begutachtungsverfahren. Manche Herausgeber<br />

behaupten, auf Peer-Review-Basis zu editieren, gewähren<br />

aber großzügige Ausnahmen. Etliche Journale setzten<br />

nach Fehlentscheidungen Peer-Review-Verfahren längere<br />

Zeit wieder ab. So oder so wird nur ein Teil der Beiträge<br />

tatsächlich begutachtet, doch alle Beiträge profitieren<br />

von diesem Nimbus (vgl. den US-Passivraucher-Skandal:<br />

Justitiare eines beklagten US-Tabakkonzerns ließen<br />

unter dem Namen von - dafür honorierten - Top-Medizinwissenschaftlern<br />

Letters an Topjournale unterzeichnen, auf<br />

die sie sich dann vor Gericht erfolgreich berufen konnten).<br />

Pro Kunst- & Contra und<br />

Musikhochschulen<br />

Gerhard Fröhlich,<br />

Dr. phil., Assistenz-<br />

Professor, Universität<br />

Linz<br />

<strong>Forschung</strong> & <strong>Lehre</strong><br />

6/2002<br />

Versagt haben Herausgeber wie Gutachter bei unzähligen<br />

Betrugsaffären; manche waren sogar aktiv involviert.<br />

Viel zu selten untersucht und kritisiert: Die Arkanpraxis der<br />

Herausgeber, die mitunter ihr Journal als diktatorischen<br />

Einmannbetrieb führen. In paradigmenschwachen<br />

Fächern entscheidet die Vergabe<br />

an Gutachter bekannter Schulrichtung<br />

über das Schicksal eines Manuskripts. Etliche<br />

Journale schmücken sich mit großen<br />

Gutachterpools, setzen aber nur einen<br />

Bruchteil davon ein: Einige Oligopolisten fertigen<br />

fast alle Gutachten und beherrschen,<br />

da oft für viele Journalen zugleich tätig, ein<br />

ganzes Feld. Herausgebern wie Gutachtern<br />

vorzuwerfen ist, daß sie die zahllosen<br />

(großteils kritischen) einschlägigen Befunde<br />

der Wissenschaftsforschung nicht kennen<br />

bzw. ignorieren; Gutachter werden nicht geschult.<br />

Einige Reformvorschläge: Dreifachblindbegutachtung<br />

(auch den Herausgebern sollte<br />

die Identität der Autoren vorenthalten<br />

werden - das ist durchaus praktikabel, s.<br />

Zeitschrift für Soziologie, und führt dazu, daß<br />

auch Artikel von Stars abgelehnt werden).<br />

Nach absolviertem Prozeß dessen Offenlegung<br />

inkl. formulierter Kritik, damit alle davon<br />

profitieren können; im Internet wäre dafür Platz genug.<br />

Zufallszuteilung der Gutachter unter Ausschöpfung des<br />

gesamten Pools; bei paradigmenschwachen Fächern nach<br />

Paradigmen geschichtet. Autoren sollten mit dem Risiko<br />

rechnen müssen, zufällig ausgewählt Rohdaten und Labor-<br />

Tagebücher vorzuzeigen, Gutachter zufällig metabegutachtet<br />

zu werden. Die kritischen Befunde der Wissenschaftsforschung<br />

zur Kenntnis nehmen, Konsequenzen ziehen, die<br />

Gutachterkompetenzen systematisch fördern (spätestens in<br />

den Graduiertenkollegs), Gutachter angemessen honorieren.<br />

Zu teuer? Das derzeitige System belohnt die hartnäckig (bei<br />

anderen Journalen) immer wieder Einreichenden (je<br />

„schlechter“ ein Aufsatz, umso mehr professionelle Leser<br />

findet er also). Die Autoren und v.a. die Institutionen, die<br />

mit ihren Evaluationsproblemen den Publikationssektor befrachten,<br />

sollen dafür zahlen. Anm.: Eine statistisch aufwendige<br />

schwedische Untersuchung zeigte im übrigen einen massiv<br />

frauenbenachteiligenden Bias der dortigen Peer Review<br />

Praktiken.

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