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fremdheit und identität in herta müllers reisende auf einem bein ...

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Hier kommt vor allem die im poetologischen Exkurs schon erwähnten erf<strong>und</strong>enen<br />

Wahrnehmung Irenes zum Ausdruck, was die Theorie von e<strong>in</strong>er „wahren“ Irene, die mit sich<br />

identisch wäre, unterstützen könnte. Jedoch zeigt beispielsweise der von Irene ausgesuchte<br />

Arbeiter, der auch im Traum <strong>auf</strong>taucht, <strong>auf</strong> Schwierigkeiten zu stoßen, als er versucht, die<br />

e<strong>in</strong>e von der anderen Irene zu trennen: „Der Arbeiter sah Irene an. Dann die andere Irene.<br />

Wer von euch beiden ist denn die Attrappe.“ (R 156). Ihm sche<strong>in</strong>t es, die e<strong>in</strong>e der zwei Irenen<br />

muss also falsch se<strong>in</strong> <strong>und</strong> nur e<strong>in</strong>e „täuchend ähnliche Nachbildung“ 84 von der richtigen Irene,<br />

aber er kann nicht entscheiden wer. Die Identitätsverwechselung im Traum zeigt also mehrere<br />

Grade der Verwirrung darzustellen, <strong>und</strong> nicht nur bei der Protagonist<strong>in</strong>, sondern auch beim<br />

mitspielenden Arbeiter im Traum sowie bei dem Leser. E<strong>in</strong>e ähnliche Verwechselung der<br />

Identität f<strong>in</strong>det auch bei der Beschreibung der Figuren Thomas <strong>und</strong> Franz statt: „Irene schaute<br />

Thomas an. Dann Franz. E<strong>in</strong>er hatte das Gesicht des anderen angenommen.“ (R 155). Und<br />

gegen Ende des Traums, als „Thomas oder Franz“ (R 156) Irene nach Hause begleitet, ist ihr<br />

schwer zu unterscheiden, wer von ihnen sie geküsst hat. Wie bei der Identitätssuche Irenes,<br />

die sich im Traum <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zweidimensionalen Irene ausdrückt, zeigt ebenso ihre Suche nach<br />

Liebe bei den zwei <strong>und</strong> für sie am bedeutsamsten Männer ihres Lebens durch e<strong>in</strong>e zweite<br />

Identitätsverwechselung <strong>auf</strong>zutreten, wobei ihre Befürchtung, die beiden Männer verlieren zu<br />

können, zum Ausdruck: „E<strong>in</strong>er von beiden sagten: [...] Du sollst Augen haben nur für mich.<br />

Das macht müde, sagte Irene. Ihr sollt mich beide nicht verlassen. Und e<strong>in</strong>er von den beiden<br />

sagte: Dich nicht. Wenn es se<strong>in</strong> muß, dann die andere Irene.“ (R 156) Irenes eigene Identität,<br />

wie auch die der Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannten, löst sich also am Ende der erzählten Zeit <strong>auf</strong> 85 , was<br />

bezeichnend für diese Erzählung Herta Müllers ist <strong>und</strong> deswegen näher untersucht werden<br />

soll.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Beispiel der Identitätsverwirrung, die <strong>in</strong> der Erzählung zum Ausdruck kommt,<br />

ist der Vergleich, den Franz zwischen Irene <strong>und</strong> der Stadt namens Irene macht. Er schickt<br />

Irene e<strong>in</strong>en Eilbrief, wo er e<strong>in</strong> Zitat aus dem vom italienischen Autor Italo Calv<strong>in</strong>o<br />

geschriebenen Buch Die unsichtbaren Städte 86 anführt:<br />

„Sähe man die Stadt von <strong>in</strong>nen, so wäre sie e<strong>in</strong>e andere. Irene ist der Name für e<strong>in</strong>e Stadt aus der Ferne,<br />

<strong>und</strong> nähert man sich ihr, so wird sie e<strong>in</strong>e andere. E<strong>in</strong>s ist die Stadt für den, der vorbeikommt <strong>und</strong> nicht<br />

84 Die Def<strong>in</strong>ition der Attrappe <strong>in</strong>: Duden – Deutsches Universalwörterbuch 2001.<br />

85 Schulte, Karl: „Reisende <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>em Be<strong>in</strong> – E<strong>in</strong> Mobile“, <strong>in</strong>: Köhnen, Ralph: Der Druck der Erfahrung treibt<br />

die Sprache <strong>in</strong> die Dichtung. Bildlichkeit <strong>in</strong> Texten Herta Müllers, Peter Lang: Frankfurt/ [u.a.] 1997, S. 60.<br />

86 Calv<strong>in</strong>o, Italo: Die unsichtbaren Städte, Carl Hanser Verlag: München 2007, S. 144f.<br />

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