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fremdheit und identität in herta müllers reisende auf einem bein ...

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Er hätte Irene aus se<strong>in</strong>em Herzen gerissen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e denkbare Liebe <strong>auf</strong> Eis gelegt. Dazu hätte<br />

er durch die Niederlegung der Blätter, das Ende ihres Verhältnisses unterstrichen, wobei, so<br />

könnte man diese Szene auslegen, die toten Blätter ihre letzte Ruhestätte bekämen <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>fach aus dem Fenster fliegen könnten.<br />

Weiterh<strong>in</strong> sagt Franz, e<strong>in</strong>e fehlende Straße unterm Fenster mache ihn nervös (R 57), was <strong>auf</strong><br />

se<strong>in</strong>e Beklemmung deutet. Als sei er <strong>in</strong> Irenes Wohnung e<strong>in</strong>gesperrt, als könne er nicht ohne<br />

Anstrengung sofort wegziehen, was bei ihm e<strong>in</strong>e Unruhe verursacht. Wegen der fehlenden<br />

Straße gibt es im Hof „ke<strong>in</strong>e Ruhe (...), es ist bloß Stille“ (R 58), was noch e<strong>in</strong> Zeichen des<br />

Stillstandes zwischen Franz <strong>und</strong> Irene ist. E<strong>in</strong>e Stille, die Franz „nicht erträgt“ (R 58), <strong>und</strong> die<br />

immer zwischen den beiden steht. Darüberh<strong>in</strong>aas wird Irene das Gefühl nicht los, dass Franz<br />

nie wiederkehren werde (R 58). Dies zeigt sich auch später im Buch korrekt zu se<strong>in</strong>. Denn<br />

Franz kommt nie mehr zurück. Irene wird ihn noch zweimal <strong>in</strong> Marburg besuchen <strong>und</strong> ihm<br />

mehrere Karten schicken, doch ohne Erfolg <strong>und</strong> unfruchtbar <strong>in</strong> Bezug <strong>auf</strong> ihr Verhältnis. Auf<br />

e<strong>in</strong>er Karte schreibt sie: „[ich merk], wie ich dich immer mehr aus den Augen verlier (R 62)“,<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e andere Karte, die sie ihm später geschrieben hat, lautete: „Franz, wenn ich mich <strong>auf</strong><br />

dich beziehe, ist alles schon erf<strong>und</strong>en. Ich könnte me<strong>in</strong> Leben dar<strong>auf</strong> e<strong>in</strong>stellen, daß es ganz<br />

erf<strong>und</strong>en ist.“ (R 126). Dies deutet e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung an, dass sie sich h<strong>in</strong>ter ihrer erf<strong>und</strong>enen<br />

Wahrnehmung 90 versteckt hat, um die Illusion zu bewahren, dass e<strong>in</strong> Verhältnis zwischen ihr<br />

<strong>und</strong> Franz möglich wäre. An dieser Stelle der Erzählung muss sie aber e<strong>in</strong>gestehen, dass ihre<br />

Hoffnung eher e<strong>in</strong>e Täuschung gewesen ist.<br />

Irenes widerstrebende Ahnung, dass sie Franz verliert, wird <strong>auf</strong> ihrer Reisen nach Marburg<br />

verstärkt, als der Abstand zwischen Irene <strong>und</strong> Franz sich noch deutlicher zeigt. Schon im Zug<br />

wird ihre Angst vor e<strong>in</strong>er Niederlage sichtbar, wenn sie an e<strong>in</strong>en Warnungsschild aus dem<br />

anderen Land denkt, wor<strong>auf</strong> „Gefahr <strong>in</strong>s Leere zu stürzen“ (R 84) geschrieben war. Ihre<br />

Wahl, Franz wieder zu besuchen, weiß sie, werde möglicherweise negative Folgen nach sich<br />

ziehen, was sie noch ängstlicher macht: „Das Gesicht von Franz war von der Angst (...) nicht<br />

zu unterscheiden. (...) Irene wußte, daß sie Franz halb gegen se<strong>in</strong>en Willen besuchte.“ (R 84f).<br />

Obwohl Irene so gern <strong>auf</strong> e<strong>in</strong>en glücklichen Durchbruch hoffen <strong>und</strong> sich e<strong>in</strong>e Zukunft mit<br />

Franz wünscht, sieht die Realität nicht so aus: „Irene wußte nicht, ob Franz wußte, wo er war.<br />

Doch sie merkte, daß Franz <strong>und</strong> sie da nicht h<strong>in</strong>gehörten.“ (R 88). Diese unerfüllte Hoffnung<br />

90 Zur erf<strong>und</strong>enen Wahrnehmung, siehe Kap. 3.2.<br />

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