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nancy gemeinschaft 1

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Äußerlichkeit.<br />

Das eigentliche Bewußtsein vom Verlust der Gemeinschaft ist jedoch<br />

christlichen Ursprungs: Die Gemeinschaft, der Rousseau, Schlegel,<br />

Hegel, später Bakunin, Marx, Wagner oder Mallarmé nachtrauerten<br />

oder die sie herbeisehnten, wird als Einswerdung gedacht, und diese<br />

Kommunion vollzieht h in ihrem Ursprung wie in ihrem Ende im mystischen<br />

Leib Christi. Die Gemeinschaft könnte also durchaus sowohl<br />

der älteste Mythos des Abendlandes als auch der durch und durch<br />

moderne Gedanke der Teilhabe des Menschen am göttlichen Leben<br />

sein: Es ist dies die Vorstellung vom Menschen, der in die reine Immanenz<br />

eindringt. (Die christliche Religion kennt nur zwei einander<br />

gegensätzliche Dimensionen: die des deus absconditus — in der das<br />

abendländische Göttliche unaufhörlich verschwindet — und die des<br />

Menschengottes, des deus communis, als Bruder aller Menschen,<br />

dessen Erfindung zunächst aus der Idee einer familiären Immanenz,<br />

die der Menschheit eigen wäre , und später aus der Idee der Geschichte<br />

als Immanenz des Heilsgeschehens entsprungen ist.<br />

/29/<br />

Es könnte also durchaus sein, daß das Denken der Gemeinschaft<br />

oder die Sehnsucht nach ihr erst eine späte Erfindung ist, ein Versuch<br />

also, auf die bittere Wirklichkeit der Erfahrung der Moderne zu<br />

antworten — auf jene Erfahrung nämlich, daß die Gottheit sich unaufhörlich<br />

aus der Immanenz zurückzog, daß. der Gott-Bruder im<br />

Grunde selbst der deus absconditus war (was Hölderlin erkannt hatte),<br />

und daß das göttliche Wesen der Gemeinschaft — oder die Gemeinschaft<br />

als Existenz des göttlichen Wesens — das eigentlich Unmögliche<br />

darstellte. Man hat dies auch den Tod Gottes genannt: Dieser<br />

Ausdruck ist jedoch noch ganz durchdrungen von der Möglichkeit,<br />

wenn nicht sogar der Notwendigkeit einer Auferstehung, die sowohl<br />

den Menschen als auch Gott einer gemeinsamen Immanenz zurückgibt.<br />

(Nicht nur Hegel, sondern bis zu einem gewissen Grad auch<br />

Nietzsche belegt dies.) Vom "Tod Gottes" zu reden, bedeutet in gewisser<br />

Weise auch zu verkennen, daß das "Göttliche" nur ist , was es<br />

ist (wenn es «ist»), sofern es der Immanenz entzogen ist oder sich<br />

aus ihr zurückgezogen hat - mitten in der Immanenz, wenn man so<br />

will, ihr entzogen ist. Mehr noch, genau genommen bedeutet dies<br />

folgendes: Nicht etwa weil es «Göttliches» gäbe, wäre dessen Anteil<br />

der Immanenz entzogen; ganz im Gegenteil, es kann so etwas wie<br />

das «Göttliche» nur insofern geben, als die Immanenz selbst hier und<br />

da (aber kann man das denn lokalisieren? Ist es nicht vielmehr das,<br />

was Ort und Raum schafft?) der Immanenz entzogen wird. (Und vielleicht<br />

sollte man letztendlich nicht mehr von «göttlich» sprechen. Vielleicht<br />

sollte man begreifen, daß Gemeinschaft, Tod, Liebe, Freiheit,<br />

Singularität Namen für das «Göttliche» sind, weil sie einerseits an<br />

seine Stelle treten — ohne es aufzuheben oder wiederzubeleben —<br />

und weil andererseits diese Substitution nichts Anthropomorphes<br />

oder Anthropozentrisches hat und einem Mensch-Werden des «Göttlichen»<br />

keinerlei Gelegenheit bietet.<br />

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