nancy gemeinschaft 1
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mußte – so wäre es töricht, lang und breit vom Verlust des «Heiligen»<br />
zu reden, ihn zu beklagen, um damit die Wiederkehr des Heiligen als<br />
Heilmittel für alle Übel unserer Gesellschaft zu preisen (was Bataille<br />
niemals getan hat – darin entsprach er der radikalsten Forderung<br />
Nietzsches – und was auch Benjamin, Heidegger oder Blanchot nie<br />
getan haben, auch wenn es hie und da so erscheinen mag). Was<br />
vom Heiligen verschwunden ist – das heißt letztlich das Heilige insgesamt,<br />
das im «unermeßlichen Scheitern» versunken ist – offenbart<br />
im Gegenteil, daß von nun an die Gemeinschaft selbst die Stelle des<br />
Heiligen einnimmt. Sie ist, wenn man so will, das Heilige: aber das<br />
Heilige, des Heiligen beraubt. Denn das Heilige – das Losgelöste,<br />
das Abgesonderte – erweist sich nicht länger als das, womit wir uns<br />
verzweifelt vereinen wollen; während es sich uns doch gleichzeitig<br />
entzieht; es erweist sich vielmehr, daß das Heilige aus nichts anderem<br />
als der Mit-Teilung der Gemeinschaft besteht. Es gibt weder eine<br />
heilige Entität noch eine heilige Hypostase der Gemeinschaft: aber es<br />
gibt die «Entfesselung der Leidenschaften», die Mit-Teilung der singulären<br />
Seienden und die Kommunikation der Endlichkeit. Wenn die<br />
Endlichkeit ihre Grenze erreicht, geht sie «von» einem «zum» anderen<br />
über: dieser Übergang macht die Mit-Teilung aus.<br />
So gibt es auch keine Entität und keine Hypostase der Gemeinschaft,<br />
da diese Mit-Teilung, dieser Übergang keine Vollendung kennt. Das<br />
Unvollendetbleiben ist sein «Prinzip». – Man muß aber das Unvollendetbleiben<br />
als aktiven Begriff verstehen, der nicht eine Unzulänglichkeit<br />
oder einen Mangel, sondern die Tätigkeit des Mit-Teilens bezeichnet,<br />
sozusagen also die Dynamik des Übergangs, des ununterbrochenen<br />
Entlanggehens an sin-<br />
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gulären Brüchen. Das heißt also wiederum eine entwerkte und entwerkende<br />
Tätigkeit. Es geht nicht darum, eine Gemeinschaft zu bilden,<br />
herzustellen oder einzurichten, auch nicht darum, in ihr eine heilige<br />
Macht zu verehren oder zu fürchten – vielmehr geht es darum,<br />
ihre Mit-Teilung nicht zur Vollendung zu bringen.<br />
Die Gemeinschaft wird uns mit dem Sein und als Sein, lange vor all<br />
unseren Plänen, Vorhaben und Unternehmungen gegeben. Im Grunde<br />
können wir sie überhaupt nicht verlieren. Mag die Gesellschaft<br />
auch noch so wenig <strong>gemeinschaft</strong>lich sein, so muß doch selbst noch<br />
in der sozialen Einöde eine winzige, vielleicht nicht mehr greifbare<br />
Spur von Gemeinschaft vorhanden sein. Es ist uns nicht möglich,<br />
nicht zusammen-zu-erscheinen. Einzig die faschistische Masse tendiert<br />
in extremis dazu, die Gemeinschaft im Delirium einer leibhaftig<br />
gewordenen Einswerdung zu vernichten. Entsprechend ist das Konzentrationslager<br />
– das Vernichtungslager oder das Lager zur vernichtenden<br />
Konzentration – wesensmäßig Wille zur Zerstörung der Gemeinschaft.<br />
Wohl niemals aber, bis ins Lager selbst hinein, hört die<br />
Gemeinschaft ganz auf, diesem Willen Widerstand zu leisten. Sie ist<br />
in gewissem Sinne der Widerstand selbst: das heißt der Widerstand<br />
gegen die Immanenz. Folglich ist die Gemeinschaft die Transzen-<br />
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