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nancy gemeinschaft 1

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Für die Gemeinschaft sind sie an deren Grenze, sie sind drinnen und<br />

draußen, sie haben im Extremfall ohne die Gemeinschaft und ohne<br />

die Kommunikation der Schrift keinen Sinn: genau daraus schöpfen<br />

sie ihren sinnlosen Sinn. Umgekehrt bietet ihnen in ihrer Liebe selbst<br />

die Gemeinschaft ihre jeweilige Singularität, ihre Geburt und ihren<br />

Tod dar. Ihre Geburt und ihr Tod entzieht sich ihnen, obschon ihre<br />

Freude diese im Augenblick berührt. Auf dieselbe Weise entzieht sich<br />

ihnen die (eventuelle) Geburt ihres Kindes. Diese Geburt teilt eine<br />

andere Singularität mit, sie stellt kein Werk her. Das Kind mag wohl<br />

das Kind ihrer Liebe sein, es ist nicht ihr Werk, es ist nicht, wie Hegel<br />

meint, «ein Keim der Unsterblichkeit, ein Keim des ewig sich aus<br />

sich Entwickelnden und Zeugenden», das «jegliche Unterscheidung<br />

zwischen den Liebenden aufhebt». Wenn das Kind auf der Welt erscheint,<br />

ist es bereits vor die Schranke getreten. Es vollendet nicht<br />

die Liebe, es teilt sie von neuem mit, es läßt sie von neuem in die<br />

Kommunikation übergehen und bringt sie dazu, sich erneut der Gemeinschaft<br />

auszusetzen 31 .<br />

Dies soll nicht heißen, es gäbe jenseits der Liebenden oder ihnen<br />

übergeordnet ein Gemeinwesen oder einen Staat, der im Besitz ihrer<br />

Wahrheit wäre: Hier gibt es nichts zu besitzen, und was die Kommunikation<br />

schreibt und die Schrift kommuniziert, hat nichts von einer<br />

verfügbar und zu eigen gemachten, übermittelten Wahrheit — auch<br />

wenn es unumstößlich die Wahrheit des Gemeinsam-Seins ist.<br />

Es gibt die Gemeinschaft, deren Mit-Teilung und die Darbietung dieser<br />

Grenze. Die Gemeinschaft ist nicht jenseits der Liebenden, sie<br />

bildet keinen größeren Kreis, der diese einschlösse: Die Gemeinschaft<br />

geht durch sie hindurch wie in einem «Schrift»-Zug, in dem<br />

sich das li-<br />

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terarische Werk mit dem alleralltäglichsten öffentlichen Austausch<br />

von Worten vermengt. Ohne eine solche scharfe Linie, die durch den<br />

Kuß hindurchgeht, ihn mit-teilt, wäre der Kuß selbst so vergeblich wie<br />

die Gemeinschaft verschwunden.<br />

Das Politische darf — versteht man unter diesem Begriff nicht die<br />

Organisation der Gesellschaft, sondern die Anordnung der Gemeinschaft<br />

als solche, deren Bestimmung ihre Mit-Teilung ist — weder zur<br />

Aufhebung noch zum Werk der Liebe oder des Todes werden. Es<br />

31 Hegel wußte dies auch: «Dieses Vereinigte aber ist nur ein Punkt, der<br />

Keim, die Liebenden können ihm nichts zuteilen. (...) Alles, wodurch es<br />

ein mannigfaltiges Sein, ein Dasein haben kann, muß das Neugezeugte<br />

selbst in sich gezogen, (...) haben.» In eben diesem Sinne konnte er<br />

auch schreiben: «Weil die Liebe ein Gefühl des Lebendigen ist, so können<br />

Liebende sich nur insofern unterscheiden, als sie sterblich sind.»<br />

(Hegel, Entwürfe über Religion und Liebe, Theorie Werkausgabe, Bd. I,<br />

Frankfurt, 1971, S. 246 u. 248)<br />

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