nancy gemeinschaft 1
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Die Gemeinschaft wird in Zukunft die Grenze des Menschlichen wie<br />
des Göttlichen ausmachen. Mit Gott oder den Göttern wurde die<br />
Einswerdung, die Kommunion - als Substanz und Handlung, als Akt<br />
der immanenten Substanz, die mitgeteilt wird, - der Gemeinschaft<br />
endgültig entzogen 4 .<br />
Das christliche, das moderne, humanistische Bewußtsein vom Verlust<br />
der Gemeinschaft könnte vielleicht tatsächlich nichts anderes als<br />
die transzendentale Illusion einer Vernunft sein, die die Grenzen der<br />
ihr möglichen Erfahrung überschreitet, was im Grunde die Erfahrung<br />
der entschwundenen Immanenz wäre. Die Gemeinschaft hat nicht<br />
stattgefunden oder anders gesagt, wenn man wohl annehmen darf,<br />
daß die Menschheit gänzlich andere Formen des sozialen Bandes als<br />
die uns bekannten erlebt hat (oder außerhalb der industrialisierten<br />
Welt noch lebt), dann hat die Gemeinschaft nicht so' stattgefunden,<br />
wie wir sie uns vorstellen, wenn wir sie auf diese unter-schiedlichen<br />
Gesellschaftsformen projizieren. Sie fand weder bei den Guayaki-<br />
Indianern noch in irgendeinem Hütten-Zeitalter à la Rousseau statt,<br />
weder im «Geist eines Volkes» . im hegelschen Sinn noch in den<br />
Agapen der Christen. Die Gesellschaft und mit ihr Staat, Industrie<br />
und Kapital tauchten nicht auf, um eine bereits bestehende Gemeinschaft<br />
aufzulösen. Sicherlich wäre es genauer und würde mit jenem<br />
Hin-und-Her der ethnologischen Interpretationen, all diesen Ursprungsphantasien<br />
oder Trugbildern eines verlorenen «Einst» aufräumen;<br />
zu behaupten, daß die Gesellschaft — die «Sozietät», der<br />
trennende Zusammenschluß von Kräften, Bedürfnissen und Zeichen<br />
— an die Stelle von etwas getreten ist, wofür wir weder einen Namen<br />
noch einen Begriff haben; dieses etwas ging aus einer viel weitreichenderen<br />
Kommunikation (aus einer Verbindung zu den Göttern,<br />
dem Kosmos, den Tieren, den Toten, den unbekannten<br />
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Wesen) hervor, als sie im Rahmen des sozialen Bandes möglich wäre,<br />
und beruhte gleichzeitig auf einer noch weitaus radikaleren und<br />
vielfältigeren Gliederung eben dieser Beziehung, was häufig viel gravierendere<br />
Auswirkungen (wie Einsamkeit, Aussonderung, Achtung,<br />
mangelnde Unterstützung) hatte, als wir es von einem Minimum an<br />
Gemeinschaftlichkeit im Rahmen des sozialen Bandes erwarten würden.<br />
Die Gesellschaft ist nicht aus dem Zusammenbruch einer Gemeinschaft<br />
entstanden. Sie entstand beim Verschwinden oder Bewahren<br />
dessen — Stämme oder Reiche —, was vielleicht ebensowenig<br />
mit dem, was wir «Gemeinschaft» nennen, zu tun hat wie mit<br />
dem, was wir als «Gesellschaft» bezeichnen. Die Gemeinschaft ist<br />
also keinesfalls das, was die Gesellschaft zerbrochen oder verloren<br />
hätte, sondern sie ist das, was uns zustößt — als Frage, Erwartung,<br />
Ereignis, Aufforderung —, was uns also von der Gesellschaft ausgehend<br />
zustößt.<br />
4<br />
Vgl. J. L. Nancy, «Des Lieux divins», in Qu'est-ce-que Dieu?, T.E.R .<br />
Mauvezin, 1987.<br />
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