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nancy gemeinschaft 1

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tern des Politisch-Religiösen bewahren und so die Liebe als Zufluchtsort<br />

oder als Ersatz für die verlorene Gemeinschaft darbieten.<br />

Wie nun aber die Gemeinschaft nicht verloren ist, so gibt es wohl<br />

auch keine «Gesellschaft des Sich-Aufzehrens». Es gibt weder zweierlei<br />

Gesellschaften noch ein mehr oder weniger heiliges Idealbild der<br />

Gesellschaft in der Gemeinschaft. In der Gesellschaft dagegen, in<br />

jeder Gesellschaft und in jedem einzelnen Augenblick, ist die «Gemeinschaft»<br />

tatsächlich nichts anderes als ein Aufzehren des sozialen<br />

Bandes oder Gewebes — aber dies geschieht unmittelbar an diesem<br />

Band und folgt der Mit-Teilung der Endlichkeit der singulären<br />

Seienden. Daher sind die Liebenden weder eine Gellschaft noch die<br />

aus der verschmelzenden Einswerdung entstandene Gemeinschaft.<br />

Wenn die Liebenden etwas Wahres über die Beziehung in sich tragen,<br />

so nicht weil sie sich im Abseits oder jenseits der Gesellschaft<br />

befänden, sondern weil sie — als die Liebenden, die sie sind — in<br />

der Gemeinschaft exponiert sind. Sie sind nicht die Einswerdung, die<br />

der Gesellschaft verschlossen oder verborgen bliebe, sie offenbaren<br />

vielmehr, daß Kommunikation nicht Einswerdung ist.<br />

Betrachtet man Batailles Konzept der Liebenden, das unter diesem<br />

Blickwinkel in einer langen Tradition steht, — vielleicht der gesamten<br />

abendländischen Tradition der Liebesleidenschaft, die zumindest seit<br />

der Romantik aber dem Verfall des Politisch-Religiösen offen entgegengehalten<br />

und gegenübergestellt wird, — so wird deutlich, daß die<br />

Idee der Einswerdung dennoch eine heimlich Obsession blieb. Wohl<br />

ist die Souveränität der Liebenden nichts anderes als die Ekstase des<br />

Augenblicks, sie be-<br />

/82/<br />

wirkt keine Vereinigung, sie ist NICHTS — aber dieses nichts ist<br />

selbst im Moment seines «Sich-Aufzehrens» doch auch wieder eine<br />

Einswerdung.<br />

Bataille jedoch erkannte die Grenze der Liebe – und dies brachte ihn<br />

zumindest zuweilen dazu, ihr, in einer paradoxen Umkehrung, die<br />

souveräne Kraft der Polis gegenüberzustellen:<br />

«Das sterbliche Individuum ist nichts und das Paradox der Liebe<br />

will es, daß es sich auf die Lüge, die das Individuum ist, beschränkt.<br />

Einzig der Staat (die antike Polis) übernimmt zu Recht<br />

für uns den Sinn eines Jenseits des Individuums, er allein verfügt<br />

über jene souveräne Wahrheit, die weder der 'Tod noch der<br />

Irrweg des Privatinteresses verfälschen können.» [VIII, 497.]<br />

Aber schon wenige Zeilen später kam Bataille auch auf die Ohnmacht<br />

des Staates (die – wie er noch ganz nostalgisch folgerte –<br />

dennoch, zumindest heutzutage, fortbesteht) zu sprechen – das<br />

Unvermögen nämlich, «die Totalität der Welt» darzubieten, die man<br />

also letztlich gesehen wohl nur in der Liebe zu erreichen vermag.<br />

Verlorene Totalität hier – die sich in der Lüge vom Individuum erfüllende<br />

Totalität da: Man kann einer solchen Ernüchterung nicht entfliehen.<br />

Man muß etwas anderes denken – nicht etwa einen endlich geglück-<br />

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