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nancy gemeinschaft 1

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das darzubieten, worauf der «real existierende» Kommunismus verzichtet<br />

hat, und um dessentwillen man diesen Kommunismus aufgeben<br />

mußte: Jedoch würde sie so der sozialen Gemeinschaft nur noch<br />

die Äußerlichkeit der Dinge, der Produktion und der Ausbeutung lassen.<br />

Trotz Bataille und gleichwohl auch mit ihm müßte man folgenden Gedanken<br />

auszudrücken versuchen: die Liebe bietet nicht die gesamte<br />

Gemeinschaft dar; sie fängt nicht schlicht und einfach deren Wesen<br />

auf oder verwirklicht es — auch wenn dieses Wesen das Unmögliche<br />

selbst wäre (dies wäre noch immer ein christliches und hegelianisches<br />

Modell, auch wenn darin die Liebe nicht mehr zur Objektivität<br />

des Staates aufgehoben wird). Der Kuß ist trotz allem nicht das Wort.<br />

Sicherlich sprechen die Lie-<br />

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benden, aber es ist dies ein Sprechen an der Grenze, es ist ohnmächtig,<br />

exzessiv in seiner exzessiven Armut, ein Sprechen, in dem<br />

sich die Liebe auch schon verfängt: «Die Liebenden sprechen und<br />

das Wirrwarr ihrer Worte dämpft und steigert zugleich das Gefühl,<br />

das sie bewegt. Denn sie verleihen dem eine Dauer, dessen Wahrheit<br />

nur für den Augenblick eines Blitzes da ist.» [V111. 500]. In der<br />

Polis dagegen küßen sich die Menschen nicht. Der religiöse oder<br />

politische Symbolgehalt der Friedenskusses, der brüderlichen Umarmung,<br />

weist wohl auf etwas hin, aber nur auf eine meist grotesk erscheinende<br />

Grenze. (Dennoch scheint die gesellschaftliche — die<br />

kulturelle, politische, etc. — Rede ebenso karg wie die der Liebenden<br />

zu sein... Gerade hier müßte man die Frage der «Literatur» erneut<br />

aufwerfen.)<br />

Die Liebenden sind keine Gesellschaft, sie sind weder deren Negativbild<br />

noch deren Aufhebung — und genau in diesem Abseits zur<br />

Gesellschaft im Allgemeinen denkt sie Bataille: «Ich kann mir vorstellen,<br />

daß der Mensch schon von Urzeiten an offen war für die Möglichkeit<br />

der individuellen Liebe. Ich muß mir nur vorstellen, daß sich<br />

das soziale Band insgeheim gelockert habe.» [V111, 496]. Dennoch<br />

hat er sie auch als Gesellschaft dargestellt, als eine andere Gesellschaft,<br />

die jene unmögliche, einheitstiftende Wahrheit in sich trägt,<br />

nach der jedwede Gesellschaft verzweifelt trachtet: «Die Liebe vereint<br />

die Lieben-den nur um der Verausgabung willen, nur um von<br />

einem Vergnügen zum anderen, von einer Lustbarkeit zur anderen zu<br />

eilen: ihre Gesellschaft ist eine Gesellschaft des Sich-Aufzehrens, im<br />

Gegensatz zum Staat, der eine Erwerbsgesellschaft ist.» [VIII, 140].<br />

Das Wort «Gesellschaft» steht hier nicht — zumindest nicht nur —<br />

als Metapher. Es ist ein später (1951), gleichsam gedämpfter oder<br />

wehmütiger Nachhall des Motivs einer Gesellschaft des Festes, der<br />

Verausgabung, des Sakrifiziums und des<br />

/81/<br />

glanzvollen Ruhms. Es scheint fast, als hüteten die Liebenden dieses<br />

Motiv, als würden sie es in extremis vor dem unermeßlichen Schei-<br />

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