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Werktags - ORF

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Vegas, Baby<br />

Gertraud Klemm<br />

Mit Badeschlapfen und einem kurzen, glänzenden schwarzen Nachthemd über eine feuchte<br />

Herrenhose bekleidet schlenderte ich am Strip in Las Vegas entlang und fiel nicht auf. Ein träger<br />

Strom nordamerikanischer und ausländischer Touristen wälzte sich durch den grellen heißen<br />

Montag Vormittag, die Blicke nach oben gerichtet auf die riesigen Hotels und Casinos, absurde<br />

Nachbildungen europäischen Kulturerbes, kitschige Themenparks und wahnwitzige<br />

Hochschaubahnen, alles scheinbar vom Himmel gefallen mitten in dieser gleißenden,<br />

lebensfeindlichen Wüste Nevadas.<br />

Entgegen meinen Erwartungen war ich glücklich, fühlte mich frisch geschlüpft, hitzig, frei, bereit<br />

mitzuspielen, wobei auch immer. Vor dem riesigen Hotel Bellagio befand sich ein künstlicher<br />

Teich, Informationstafeln kündigten ein viertelstündlich stattfindendes Wasserballett mit<br />

größenwahnsinnig klingenden Dimensionen an. Das Chlorgeruch verströmende türkise Wasser<br />

zog mich in seinen Bann und löste ein schmerzliches aber nicht unangenehmes Ziehen im Magen<br />

aus – ein Gefühl, das nach Heimweh roch, aber nach Fernweh schmeckte. Ich habe immer<br />

Heim- oder Fernweh, manchmal aber beides gleichzeitig. Auf der breiten Steinbalustrade ließ<br />

ich mich nieder und genoss das heiße Gift der Sonne auf meinen Schultern.<br />

Die Menschen strömten weiter, französische Ehepaare mit weißen Schlapphüten, die üblichen<br />

rasch dahinwuselnden Japanerschwärme, dann absurd fett gefressene Amerikaner mit Oberarmen<br />

so dick wie Rümpfe, hängenden Fettwülsten in den Kniekehlen und Frauen mit kolossalen,<br />

atemberaubenden Ärschen. Alle aßen Chips oder Eis und tranken aus Pappbechern oder<br />

Plastikgefäßen in der Form des Eiffelturms. Zwischen den Gehsteigen verlief eine achtspurige<br />

Strasse, auf der in regelmäßigen Abständen überlange Limousinen kreuzten. Eine Ahnung der<br />

Überforderung beschlich mich, aber ich wischte sie beiseite und ließ die Eindrücke auf mich<br />

einprasseln, saugte sie auf wie ein Schwamm, nur um nicht an das denken zu müssen, was sich<br />

am Morgen dieses Tages abgespielt hatte.<br />

Ich weiß nicht, wie lange ich auf der heruntergeklappten Klobrille, eingesperrt im Bad des<br />

Hotelzimmers gesessen und versucht hatte, ruhig nachzudenken.<br />

Die Stille im Hotelzimmer, das Wissen um die Präsenz meines wütenden, schmollenden Freundes<br />

Clemens hinter der verschlossenen Türe versetzte mich in Panik. Unser Streit war von einer<br />

ungeahnten Heftigkeit gewesen und eine Versöhnung bei diesem Stand der Dinge hoffnungslos.<br />

Still ließ ich die Abfolge der Ereignisse sedimentieren, Schicht für Schicht. Ein halbes Jahr<br />

Beziehung. Langeweile. Bedeutungslose Krisen. Substantielle Krisen. Urlaub in Las Vegas.<br />

Schwerer Streit am Tag zwei des Urlaubs. Flucht ins Badezimmer.<br />

Es galt, das Hotelzimmer zu verlassen, möglichst ohne eine weitere fruchtlose Konversation zu<br />

provozieren. Meine Bockigkeit hatte in den Stunden des Eingesperrtseins dem Anlass völlig<br />

unangebrachte Dimensionen angenommen.<br />

In meiner eigenen riesigen Blase aus Trotz und Wut gefangen hatte ich schon als Kind keinen<br />

Ausweg gefunden. Ich wusste aus bitterer Erfahrung, dass nur eines half: Distanz und wirres<br />

Herumrennen, bis dem Monster in mir die Kraft ausging.<br />

Dies war nun schon der zweite Versuch; meine vorherige Flucht war von Clemens vereitelt<br />

worden, der sich angepirscht und so lange vor der Klotüre verharrt hatte, bis ich sie, mich in<br />

Sicherheit wiegend, lautlos aufschloss, fast gleichzeitig aufriss und hinausstürmte, mitten in seinen<br />

vorwurfsvoll dastehenden, massigen Körper hinein. Sein fassungsloser Blick traf meinen, bevor<br />

ich wie eine Krake die feige Flucht nach hinten antrat, die Türe verschloss, mir die Ohren zuhielt<br />

und es mir wieder am Klositz gemütlich machte. Schließlich entdeckte ich Clemens bierbefleckte<br />

Vegas, Baby<br />

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