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Überhaupt sei es das Beste gewesen, was er in seinem Leben je gegessen hatte. Und<br />
was er noch gemocht hatte, sei der Duft des Tees gewesen, den er im Sommer selbst<br />
gesammelt hatte und den er sich nun am Morgen am Feuer aufbrühte, nachdem er aus<br />
seinem Winterschlafsack der sowjetischen Armee rausgekrochen ist und klamm und kalt<br />
war. Der heiße Tee und ein Schuss Wodka, das hätte ihn wieder auf die Beine gebracht,<br />
wenn die Wintersonne tief über der kasachischen Steppe aufging, ganz langsam, ein richtig<br />
langer Sonnenaufgang, nicht so schnell wie die, die wir jetzt hier im Sommer hätten.<br />
Als er davon sprach, musste ich lächeln. Ich wusste, dass er den Sonnenaufgang am<br />
Morgen genauso wie ich gesehen hatte und ich wollte etwas sagen, davon erzählen, wie<br />
es mir ging. Aber ich tat es nicht. Ich fühlte, dass ich es nicht sagen musste. Ich hatte das<br />
unbestimmte Gefühl, dass Helmut Becker wusste, dass ich den Sonnenaufgang auch<br />
gesehen hatte und dass er wusste, wie ich ihn gesehen hatte. Und ich hatte auf einmal<br />
eine ungefähre Ahnung dessen, was es war, das ich schon immer an ihm gemocht hatte,<br />
ohne es zu wissen.<br />
Und so brachten uns in diesen Tagen die Geschichten von der Jagd mit dem Adler und<br />
den Ritten im kasachischen Winter durch die Mittagspausen und sie brachten mich jedes<br />
Mal durch den ganzen darauf folgenden Nachmittag und durch so manchem weiteren<br />
Arbeitstag in den vier Wochen Ferienjob, weil sie mich an der Pfeffermaschine träumen<br />
ließen und mich weit weg von der Maschine durch die Täler des Thien Shan trugen und<br />
hinaus auf die Steppe.<br />
Ich dachte mir auch, dass ich jetzt besser wusste, warum Helmut Becker selbst immer<br />
weit weg schien, und ich begriff die ganze Entfernung, die trotz der Herzlichkeit oft in<br />
seinen Augen lag. Jetzt erst fielen mir seine breiten Schultern auf, die sich selbst durch<br />
einen dicken Pullover wie ein Gebirge abzeichneten, und die großen Hände und ich<br />
versuchte mir vorzustellen, welcher Kraft und welchen Geschickes es bedarf, einen Adler<br />
auf dem Arm zu halten, der Füchse schlägt, und dabei zu reiten.<br />
Und ich dachte mir auch, wie komisch es sei, dass dies alles in diesem Land hier nun auf<br />
einmal nicht mehr zählte und nichts mehr wert war, genauso wenig, wie es noch zählte,<br />
was er über die Zubereitung von Kaninchen über dem offenen Feuer und über das Sammeln<br />
von Tee-Kräutern wusste. Jetzt lebt er mit seiner Familie in einem Land, in dem die<br />
Menschen aus political–correctness keine Fuchsmäntel tragen und sich kaum vorstellen<br />
können, wie die tiefe Sonne über der kasachischen Steppe im Winter scheint.<br />
Ein anderes Mal erzählte er, wie es war, als sie die ersten Dinge über Deutschland hörten,<br />
dem Land, aus dem seine Vorfahren vor 300 Jahren, dem Ruf Katharinas der Großen<br />
folgend, an die Wolga ausgewandert sind und dann von Stalin als Feinde der Sowjetunion<br />
nach Zentralasien deportiert wurden. Sie hörten Geschichten von allen Dingen, die es in<br />
Deutschland gab und in Kasachstan nicht: funktionierende Zentralheizung, Kabelfernsehen,<br />
Südfrüchte, Milka-Schokolade und einen Mercedes für jeden. Aber deswegen waren die<br />
Beckers nicht ausgewandert, sondern weil in Kasachstan nach der Unabhängigkeit alles<br />
zu wenig wurde und sie sich nicht mehr vorstellen konnten, wie es mal für ihre Kinder<br />
werden würde. Also haben sie ein paar Koffer gepackt, das Haus verkauft und sind<br />
ausgewandert. Und da sie fleißige Menschen waren, die ihre Arbeit gründlich machten,<br />
jede Art von Arbeit, und sich nicht beklagten, hatten sie bald ein wenig Geld, ein Auto,<br />
einen Fernseher und eine Wohnung, in der man den Ofen nicht mehr mit Holz oder<br />
abgeernteten Maiskolben einheizen muss.<br />
Dinge, die man haben kann<br />
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