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und war von ihren Schwiegereltern initiiert worden. Ein Mal war es ein mehrtägiger Ausflug,<br />
ein anderes Mal war Milan bei Tanten oder Onkels und konnte deshalb nicht erreicht werden.<br />
Lise wusste nicht, ob es Zufall war oder ob sie gezielt ihre Distanzierung von ihm erreichen<br />
wollten. Manchmal war sie wütend darüber, und manchmal krümmte sie sich in einer Ecke<br />
zusammen, vor Scham und Sehnsucht. Sie wusste nicht mehr, wie oft sie den Plan gefasst<br />
hatte, sich mit dem bisschen Geld, das sie hatte, bis nach Hause durchzuschlagen, egal, was<br />
danach sein würde, Hauptsache, sie könnte ihr Kind wieder sehen. Jedes Mal hatte sie ihn<br />
wieder fallen lassen, jedes Mal hatte die Überzeugung gewonnen, sie müsse erst hier alles ins<br />
Reine bekommen, beenden wofür sie hergekommen war, damit sie mit wehenden Fahnen<br />
heimkehren könnte.<br />
Erst ein Jahr nach ihrer Rückkehr in dieses Land hatte sie die Zeit und Lust gefunden, bei<br />
ihrem alten Arbeitsplatz, dem Buchladen, vorbeizuschauen. Dort hatte sie auch Mike wieder<br />
getroffen, der immer noch ein paar Mal im Monat vorbeischaute, um den Angestellten zu<br />
erklären, wo auf der Tastatur die Löschtaste zu finden sei. Zum ersten Mal machten sie sich<br />
etwas für den Abend aus und gingen zusammen ins Kino. Lise maß dem genauso wenig<br />
Bedeutung bei, wie sie es damals getan hätte und auch bei Mike war nicht die geringste<br />
Absicht zu erkennen. Genauer gesagt, hatten sie sich nicht öfter als zweimal gesehen, als<br />
plötzlich Drago mit der Bombe vor der Tür stand: Er wollte sich scheiden lassen.<br />
Sie hatte ihren Exmann so gut wie gar nicht gesehen, seit sie getrennte Wohnungen hatten.<br />
Beide hatten darin übereingestimmt, dass sie bis auf weiteres verheiratet blieben, um Lise die<br />
Aufenthaltsgenehmigung zu sichern. Nun plötzlich forderte Drago mit solchem Nachdruck das<br />
offizielle Ende ihrer Ehe, dass Lise schon dachte, er war kurz davor, sich wieder zu verheiraten.<br />
Doch das war nicht der Fall, er verneinte ihre Frage und sie zweifelte nicht an seinen Worten.<br />
Er wollte weiter. Er hatte ein Angebot bekommen. In einem noch reicheren Land. Dort sollte<br />
er der Fitnesskoordinator einer Jugendmannschaft eines bekannten Fußballvereins werden.<br />
Seine Heimat war abgehakt, das Land, in das er ursprünglich emigriert war, zusammen mit<br />
seiner jungen Frau, war ebenfalls abgehakt. Lise dachte natürlich auch an die Möglichkeit, die<br />
Unterschrift einfach zu verweigern. Aber es wäre nicht Drago gewesen, hätte er für diesen Fall<br />
nicht schon vorgesorgt. Ein Nichtfolgeleisten ihrerseits wäre der automatische Abbruch des<br />
Kontaktes zu Milan. Wenn sie jetzt nicht ihren Namen auf das Papier setzte, würde seine Familie<br />
beim Klang ihrer Stimme sofort den Hörer auflegen.<br />
Lise unterschrieb mit steinerner Miene. Sie wusste jetzt, dass im Kampf um den gemeinsamen<br />
Sohn jedes Mittel angewandt werden durfte. Tief drinnen schwor sie sich, einen Plan<br />
auszuarbeiten. Sie musste in die Heimat zurückkehren, bevor ihr Exehemann es tat. Bevor er<br />
auf die Idee kam, die Familie solle ihm seinen Sohn bringen. Bevor er die Möglichkeit hatte,<br />
sich dort ein neues Nest aufzubauen und Ansprüche auf seinen Nachwuchs zu stellen. Bevor<br />
das alles geschehen konnte, musste sie schon wieder unten sein, mit einem Diplom in der<br />
Tasche und einer Arbeit in Aussicht, um Milan an sich zu binden, damit niemand jemals eine<br />
Rechtfertigung haben würde, ihn ihr wieder wegzunehmen. Doch dazu musste sie ihr Studium<br />
hier abschließen. Das wiederum verlangte eine gültige Aufenthaltserlaubnis.<br />
Lise fand sich an einem Punkt wieder, an den sie nie gedacht hatte zu gelangen. Sie schob<br />
ihre Schüchternheit und ihre Behutsamkeit einfach beiseite und beschloss, alles zu tun, um<br />
nicht eine von den abgeschobenen Ausländerinnen zu werden. Die Option einer erneuten<br />
Heirat erschien sofort in ihren Gedanken, doch wusste sie nicht, wie genau sie das anstellen<br />
könnte. Wie konnte man einen Einheimischen finden, der einer Zweckhochzeit einfach so<br />
zustimmen würde? Würde er nicht etwas als Gegenleistung verlangen? Irgendeinen Nutzen<br />
musste ja auch ihr zukünftiger Ehemann haben, so aus Spaß heraus versprach man ja nicht<br />
einfach jemandem die ewige Treue, vor allem, wenn das Auge des Staates dies verfolgte.<br />
Lises Freitag<br />
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