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Werktags - ORF

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Also denkt er nach über Frauen, Autos und den Finanzmarkt, aber der interessiert ihn nicht.<br />

Er kann ihnen nichts abgewinnen, den Säulendiagrammen, den purzelnden und steigenden<br />

Aktienkursen. Urlaub. Urlaub findet Herr P. auch nicht sonderlich verlockend, da bekommt er<br />

nur schmerzhafte Verstopfung, alles ist ihm fremd und meistens versteht man kein Wort. Sport:<br />

Sport bleibt besser unerwähnt. Das Thema Sport endet in einer leidvollen, aber kurzen<br />

Auseinandersetzung zwischen seinem schwachen Geist und seinem noch schwächeren Fleisch.<br />

Autos: Autos imponieren Frauen. Was finden sie daran und warum hat dann er nicht mindestens<br />

so viele Frauen wie Autos?<br />

Herr P. hat niemals schmutzige Phantasien von Frauen und deshalb hat er nicht sonderlich<br />

viel übrig für Autos.<br />

Herr P. ist ein sehr ängstlicher kleiner Mann, der noch nie in einem Puff war. Es ist auch fraglich,<br />

ob das etwas ändern würde.<br />

Frauen sind für ihn engelsgleich, so schön, so zerbrechlich und mindestens genauso weit<br />

entfernt. Herr P. träumt nicht von nymphomanischen Orgien, er wünscht sich, mütterlich an<br />

einen warmen Busen gedrückt werden, er möchte Blumen verschenken und am Nachmittag<br />

spazieren gehen, zusammen essen gehen oder ins Kino, Karten spielen, ihre Hand halten,<br />

ihren Duft einatmen, die Luft einatmen, die sie ausgeatmet hat. Aber er kann sie nicht finden,<br />

er kann sie nicht einmal suchen.<br />

Draußen kann Herr P. die Maisonne sehen, die warm auf die kleinen Menschen, die dort unten<br />

die Kreuzungen überqueren, herunterscheint. Bei ihm herrschen konstante 21 Grad, sommers<br />

wie winters.<br />

Unten auf der Straße bleibt tatsächlich eine junge Frau stehen. Sie sieht nach oben und winkt.<br />

Herr P. ist sich ganz sicher, sie sieht nach oben, sieht ihn an und winkt. Unwillkürlich winkt Herr<br />

P. zurück. Aber da ist ja die verspiegelte Fensterscheibe; sie kann ihn also gar nicht sehen,<br />

bemerkt Herr P. und eigentlich ist er froh. Wenn sie ihn so sehen würde, wie er so dasitzt, klein<br />

und untersetzt, ein bisschen dicklich, darüber kann auch der dunkle Anzug nicht hinwegtäuschen,<br />

mit Schweißfüßen in den Prada-Schnürstiefeln. Das wäre ihm sehr peinlich und ihr wahrscheinlich<br />

noch mehr.<br />

Die junge Frau geht weiter und Herr P. öffnet den Privat-Safe seines Designer-Schreibtisches.<br />

Da drin bewahrt er Pralinen von Mama auf, schön in glänzendes Goldpapier eingewickelt.<br />

Gerade will er eine davon zwischen den schmalen Lippen verschwinden lassen, da denkt er<br />

wieder an die junge Frau und wurstelt das Toffee beschämt mit den ungeschickten Fingern<br />

wieder in das Papier ein.<br />

Während er den Safe sorgfältig wieder verschließt, fährt der Kran einer Fensterputzkolonne<br />

vom darunter liegenden Stockwerk zu ihm herauf. In dem Käfig steht ein junger Mann, ausgerüstet<br />

mit einem langstieligen Putzschwamm und einem Scheibenabzieher mit Gummilamellen.<br />

Er trägt eine rote Latzhose.<br />

Es ist Karsten, der dringend Geld für Gras und Schallplatten braucht, um Tamara zu vergessen.<br />

Deswegen hat er einen Job als Fensterputzer angenommen.<br />

Da steht er, die Haare hängen ihm ins Gesicht, er hat Sonnenbrand und keinen Bock. Karsten fühlt<br />

sich viel zu intellektuell für diese Scheiße. Er klatscht den Schwamm gegen Herrn P.s Scheibe, weil<br />

er ja keine Ahnung hat, dass Herr P. da drinnen sitzt und ihm mit offenem Mund zusieht.<br />

Der aber starrt ihn wie gebannt an. Ausgerechnet in diesem Moment bohrt Karsten ausgiebig<br />

in der Nase. Fette Geldsäcke, Finanz-Arschgesichter, denkt er, schmiert den Popel an die<br />

Scheibe und wischt sorgsam darum herum.<br />

Proleten-Gesindel, denkt da Herr P. und haut empört mit der fleischigen Hand auf den Tisch.<br />

Da guckt Karstens Chef nach oben, was Karsten da so treibt und der wischt den Popel besser<br />

schnell wieder weg.<br />

Familienglück<br />

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