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verkehren werktags<br />
Tobias Hagleitner<br />
„Menü 1: Gemischter Salat – Tirolerknödel mit Kraut – Himbeercreme“ steht da auf dem Zettel,<br />
der mit seiner pastellrosa Einfärbung die Zunge bereits mit einem visuellen Vorgeschmack auf<br />
das Dessert zu belegen scheint. Die Fettflecken lassen die Tirolerknödel ahnen und dass diese<br />
kulinarische Information nicht zum ersten Mal auf dem Tisch hier liegt, und nicht erst seit<br />
kurzem.<br />
Ich sitze in der Kantine und warte auf meine Mitarbeiter, die bald kommen sollten. Rajab und<br />
die anderen in ihren blauen Arbeitsoveralls. „He Kleine!“, wird es dann wieder heißen, obwohl<br />
ich weder klein noch weiblichen Geschlechts bin. Aber ich verzeihe ihnen die sprachlichen<br />
Verfehlungen, die zum Teil auf grammatikalische Wurschtigkeit, zum Teil auf unabsichtliche<br />
Großer-Bruder-Gefühle zurückzuführen sind.<br />
„He Kleine“ bin ich hier nun seit meiner Einstellung vor drei Monaten. Weil ihnen mein Name<br />
nicht wichtig ist, weil sie mir die einfachsten Tätigkeiten erklären müssen, weil mir beim Lachen<br />
Tränen in die Augen schießen, weil ich im Gymnasium war, weil es mir peinlich ist, wenn ich<br />
etwas falsch mache. Aber ich habe mich daran gewöhnt, es gehört dazu zu meinem neuen<br />
Lebensabschnitt. Zu meinen so angenehm berechenbaren Tagesabläufen, die sich von einem<br />
Wochenende zum anderen erstrecken und sich dann irgendwie wiederholen, von Montag um<br />
acht bis Freitag um zwei, wenn wir noch ein Bier trinken gehen. Auch alle anderen Ereignisse<br />
ordnen sich wohl strukturiert, wie es mir bisher nicht bekannt war, nach Regelmäßigkeiten und<br />
Wiederholungen. So auch die Mittagspausen zwischen zwölf und eins. Wie jetzt. Alles zu<br />
erwarten. Beim Essen werden wir über das Masturbieren reden, über geile Frauen oder eigentlich<br />
Titten, über den Sohn vom Chef und Knieprobleme. Wir werden uns über die Sekretärin<br />
amüsieren, einer wird sie gekonnt nachmachen, wie sie angerührt immer wieder Kritik<br />
vorzubringen versucht und dabei von den Arbeitern jedes Mal wieder mit süffisantem Grinsen<br />
auf verletzende Art nicht ernst genommen wird.<br />
Donnerstag ist Tirolerknödeltag in der Kantine. Die sind hier so gut, dass wir bis jetzt jede<br />
Woche mit dem rostigen Bus herknatterten, alle vier vorne nebeneinander sitzend hinter der<br />
Windschutzscheibe mit einer Memphis im Mund und Regionalradioklängen im Ohr.<br />
Wir sind Arbeiter, das heißt sie sind Arbeiter und „He Kleine“ darf dabei sein. Was sie sind, ist<br />
bei mir nur ein Feeling, ein bezahltes Erlebnis, das ich betrachten und genießen kann: in einem<br />
Kleinbus fahren, in die Kantine gehen, Hunger haben, ehrlich müde sein. Fleißig und ehrlich.<br />
Für mich auf perverse Art romantisch, für sie stinknormal, deshalb bin ich „He Kleine“, weil ich<br />
über so etwas nachdenke, weil ich das perverse Wort „romantisch“ verwende für stinknormale<br />
Arbeit. Deshalb haben sie recht, mich so zu nennen. Ich arbeite auch nur vorübergehend in<br />
der Reinigungsfirma und ich beobachte sie, beobachte nun all die Geschehnisse des<br />
<strong>Werktags</strong>lebens der Arbeiter, meiner Kollegen.<br />
Männer kommen in die Kantine, und zwar richtige Männer, nicht Mensaweicheier. Nein, wir<br />
sind in einer Kantine, wo hart gekocht wird. Zum Beispiel Tirolerknödel mit ordentlich Speck,<br />
die dann mit ordentlichem Hunger gegessen werden. Mit rumpelnden Gesten wird ordentlich<br />
gegessen mit den Kollegen im Takt. Anständig Hunger haben, anständig essen.<br />
Plötzlich denke ich an Playmobilmännchen mit Arbeitsgewändern und stelle mir vor, es sitzen<br />
fünfundzwanzig solcher Männchen da, mit schwarzen, braunen und gelben Haaren, die mit<br />
ihren Trinkbecherhaltehänden synchron Tirolerknödel hinunterrumpeln. Irgendwie wird die<br />
verkehren werktags<br />
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