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Lises Freitag<br />
Matthias Blaickner<br />
Der Tag, an dem Lise zum zweiten Mal geheiratet hatte, war ein Freitag gewesen, ein Werktag<br />
natürlich. Denn die Standesämter waren hierzulande nur an Werktagen geöffnet, ein Umstand,<br />
der Beamten als ganz selbstverständlich erscheinen musste, arbeiteten sie doch 5 lange Tage<br />
hintereinander, plagten sich ab, der Bevölkerung, die ja keine Ahnung hatte, wie der ganze<br />
Staatsapparat am Laufen gehalten wurde, quasi das Geschenk zu machen, sich um die höchste<br />
aller Aufgaben, den Dienst an der Öffentlichkeit, zu kümmern. 5 Tage, oder etwas konkreter<br />
4 1/2 da ja die meisten Ämter am Freitag Nachmittag nicht mehr geöffnet waren, saßen sie<br />
hinter ihren Schreibtischen und sorgten dafür, dass die Welt sich weiter drehte. 2 Tage lang<br />
aber, respektive 2 1/2, wenn man es auf Haarspaltereien anlegte, blieb der Planet stehen. In<br />
dem Land, in dem Lise gerade lebte, war es immerhin ein Drittel der Bevölkerung, für das am<br />
Freitag der Planet, der sonst seine Bewohner mit rund 1670 km/h an der Oberfläche um seine<br />
Achse fegte, plötzlich ächzend zur Ruhe kam und sich erst am Montag Morgen wieder langsam<br />
in Bewegung setzte.<br />
Lise dachte an den Standesbeamten. Der hatte seine Arbeitswoche heute Morgen damit<br />
abgeschlossen, in seinem grauen Anzug mit der beigen Krawatte einem jungen Pärchen die<br />
Standardlitanei vorzutragen, das heißt, ihnen alles Gute zu wünschen, die Wichtigkeit und<br />
Einzigartigkeit der Ehe herauszustreichen und die unterschriebene Heiratsurkunde zu archivieren.<br />
Danach hatte er wahrscheinlich einen gemütlichen Unterhaltungsfreitagabend nach einer braven<br />
Arbeitswoche vor sich. Möglicherweise hatten seine Frau und er beschlossen, einen Cocktail<br />
in einem Lokal zu trinken, das in irgendeiner Zeitschrift unter die Top 20 in der Kategorie<br />
Innenausstattung gewählt worden war. Sie würden sich an einen Tisch setzen und vielleicht<br />
hätten die beiden gerade dieses Lokal ausgewählt, und Lise, die heute Morgen von jenem<br />
Mann noch in die Ehe vereidigt worden war, würde ihnen die Speisekarte bringen. Lise stellte<br />
sich oft vor, wie Leute den Freitag Abend verbrachten. Meistens nahm sie die, die ins „Baja<br />
California“ kamen. Während sie ihnen die Karte reichte oder die Bestellung notierte, stellte sie<br />
sich vor, wie diese heute ihre Arbeit beim Nachhausekommen abgeworfen hatten, so wie<br />
Schulkinder ihre Taschen nach der Schule abwarfen, um unbeschwert ins Wochenende zu<br />
gehen. Wie sie sich zu zweit oder in einer größeren Gruppe zusammengerufen hatten, um den<br />
Abend in vollen Zügen zu genießen, da ja der Samstag mit keinen Verpflichtungen aufwartete.<br />
Nun saßen sie im „Baja California“, dem Lokal, wo Lise von Donnerstag bis Sonntag arbeitete,<br />
und schlürften Margaritas, steckten sich gegenseitig Tortilla Chips mit Guacamole in den Mund<br />
und wippten mit den Füßen zur lateinamerikanischen Musik. Das „Baja California“ war als<br />
junges, stilvolles mexikanisches Restaurant bekannt. Ein Ort, wo die Farben der Wände und<br />
der Dekorationen mit denen des Essens übereinstimmten, ein Ort, wo sich auch ein von Natur<br />
aus schlecht gelaunter Mensch von Anfang an wohl fühlen musste. Ob es wohl irgendwen<br />
wirklich störte, dass, das Essen und die Innenarchitektur ausgenommen, das Lokal überhaupt<br />
nichts mit Mexiko zu tun hatte? Der Besitzer, Neven, kam so wenig aus Lateinamerika wie sein<br />
Koch, der eigentlich Ungar war, aber Enchiladas und Fajitas so gut zubereiten konnte, dass<br />
wahrscheinlich nicht einmal eine mexikanische Auswahl an rundlichen Mamas den Unterschied<br />
merken würde. Neven war sein ganzes Leben Restaurantbesitzer gewesen, auch in seinem<br />
eigenen Land, demselben, woher auch Lise stammte. Er hätte innerhalb von 2 Wochen ein<br />
Sushirestaurant in der russischen Taiga auf die Beine stellen können, wohin dann sämtliche<br />
Holzfäller und Pelzhändler der Region in der Hoffnung auf den Geschmack der großen weiten<br />
Welt gepilgert wären, hätte er dies nur tun wollen. Er hatte ein Gespür für Restaurants, und<br />
dieses Gespür ließ ihn erfolgreich ein Restaurant in einem fremden Land führen, mit Personal<br />
Lises Freitag<br />
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