25.10.2012 Aufrufe

Werktags - ORF

Werktags - ORF

Werktags - ORF

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

mit der Aufschrift Buderus-Vollschluck. Ohne erkennbaren Grund kam diese seltsame Aufschrift<br />

der Schwangeren auch Jahre später immer wieder in den Sinn.<br />

Während die Siebzehnjährige ihren Sohn gebar, ging England im Weltmeisterschaftsfinale<br />

gegen Deutschland in der Verlängerung mit drei zu zwei in Führung, durch ein, wie ihr Vater<br />

immer wieder betonte, geschenktes Tor, durch das die bis dahin besseren Deutschen letztendlich<br />

um den Sieg betrogen wurden. Acht Jahre später wird der Vater gemeinsam mit seinem<br />

Enkelkind im neuen Farbfernseher das Weltmeisterschaftsendspiel zwischen Deutschland und<br />

Holland in München sehen, wobei sein achtjähriges Enkelkind nägelkauend auf dem Schoß<br />

der kinderlosen Kriegswitwe, die es Oma nennt, sitzen wird.<br />

Als die einundzwanzigjährige Tochter ein zweites Mal schwanger wurde, lebte sie mit dem um<br />

zwei Jahre älteren Tischlermeister und ihrem vierjährigen Sohn in der ehemaligen Wohnung<br />

des Vaters, in deren Schlafzimmer sich ihre Mutter vor fast zwanzig Jahren am Lusterhaken<br />

erhängte. Nebenan wohnte ihr Vater mit seiner Frau, der um fünf Jahre älteren Kriegswitwe,<br />

die er vor zwanzig Jahren jeden Morgen um sechs Uhr von Montag bis Freitag im Schlafzimmer<br />

dieser Wohnung bestieg. Der Tischlermeister, der vor kurzem eine eigene Tischlerei eröffnet<br />

hatte, war erleichtert als seine Frau im vierten Monat eine Fehlgeburt hatte. Er betrank sich<br />

daraufhin mit Freunden in einer Tanzbar und kam erst am übernächsten Morgen wieder nach<br />

Hause.<br />

Als Mitte der siebziger Jahre das alte Mietshaus abgerissen werden sollte, bekamen die<br />

dreiundzwanzigjährige Mutter und ihr Mann, der mittlerweile seinen Tischlerberuf aufgegeben<br />

hatte und als Versicherungsvertreter arbeitete, vom zuständigen Wohnungsamt eine Gemeindewohnung<br />

im zehnten Bezirk zugeteilt. Das geschah ein Jahr, bevor sie sich scheiden ließen<br />

und der Sohn der beiden, nachdem er einige Monate allein mit seiner Mutter gelebt hatte, zu<br />

den Großeltern gebracht wurde, die ebenfalls eine Gemeindewohnung im zehnten Bezirk<br />

bezogen hatten. Sein Großvater, der nun einen roten VW Golf fuhr und Zigaretten der Marke<br />

Smart rauchte, stand jeden Werktag um halb sechs Uhr morgens auf und verließ um viertel<br />

sieben die Wohnung, während der zehnjährige Knabe mit der kinderlosen Kriegswitwe im Bett<br />

blieb, bis sie ihn um dreiviertel sieben weckte, um zur Schule zu gehen. Jeden ersten Werktag<br />

im Monat ging der Knabe mit dem Zinsbuch in der Hand, in das ein blauer Tausendschillingschein<br />

eingelegt war, zum Hausmeister, der im Erdgeschoss der Nachbarstiege wohnte und immer<br />

am ersten Werktag im Monat die Miete einkassierte.<br />

Bis zu seinem elften Lebensjahr schlief der Knabe in der Spalte zwischen den beiden Matratzen<br />

des Ehebettes seiner Großeltern und war darauf bedacht, weder seinen Großvater noch die<br />

kinderlose Kriegswitwe zu berühren. Als er elf Jahre alt war, begann er jeden Morgen um sechs,<br />

nachdem sein Großvater aufgestanden war, um in die Arbeit zu gehen, unter der Bettdecke<br />

zu onanieren. Während er in kurzen, regelmäßigen Abständen sein pralles Glied auf seine<br />

gespannte Bauchdecke fallen ließ und er den dabei entstandenen rhythmischen Geräuschen<br />

lauschte, schlief neben ihm die nun bereits über sechzigjährige kinderlose Kriegswitwe, die<br />

sein Großvater vor mehr als fünfundzwanzig Jahren jeden Werktag um diese Zeit gevögelt<br />

hatte. Zwei Wochen nachdem er mit dem Trommelspiel unter der Bettdecke begonnen hatte,<br />

kauften seine Großeltern in einem Einrichtungshaus am Stadtrand ein ausziehbares Sofa, das<br />

sie im Wohnzimmer vor dem Farbfernseher aufstellten.<br />

Einige Wochen vor seinem zwölften Geburtstag saß der Knabe gemeinsam mit seinem Großvater<br />

auf dem neuen Sofa im Wohnzimmer und schaute sich im Fernsehen das Weltmeisterschaftsspiel<br />

zwischen Österreich und Deutschland in Cordoba an. Gemeinsam bejubelten sie das Siegestor<br />

der Österreicher.<br />

Der Zwölfjährige wird bis zu seinem neunzehnten Lebensjahr auf dem ausziehbaren Sofa vor<br />

dem Fernseher schlafen, während sein Großvater, der beim Schlafen nur mit einer schlabberigen,<br />

weißen Unterhose, die von ihm manchmal als Untergatte bezeichnet wird, bekleidet ist, neben<br />

Immer werktags<br />

48

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!