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Bohinj. Schweigen<br />
Richard Purschwitz<br />
Manchmal kommt es einem so vor, als habe man die Dinge, die man erlebt zu haben sich<br />
gewiss ist, nicht wirklich erlebt, sondern geträumt, ersponnen oder jemandem vorgelogen, und<br />
die Wirklichkeit hat sich an die vermeintliche Wahrheit dieser Dinge gewöhnt. Dann hilft ein<br />
Blick auf Briefe, in Fotoalben, in Mailordner oder auf sonstige Erinnerungsträger, um sich zu<br />
versichern, dass wirklich stattgefunden hat, was man im Rückblick kaum mehr für wahr hält.<br />
So muss ich erneut die Videokassette mit der albernen Aufschrift „Bohinj 2003“ in den Rekorder<br />
drücken, damit ich glauben kann, dass sich jene Juliwoche tatsächlich so ereignet hat, wie es<br />
meine Erinnerung behauptet.<br />
Mit Jozef selbst habe ich die damaligen Ereignisse nicht mehr besprochen; bereits auf der<br />
umständlichen Rückfahrt von Janja, über Belgrad, Budapest und Wien, wo er mich bis vor die<br />
Haustür fuhr, schwiegen wir uns über das aus, was uns auch danach verstummen ließ: kein<br />
Wort mehr über Ejup und Mirjana, Stille zu Srecko, kein Ton zur Tokarev, zur Nacht vom 10.<br />
auf den 11. Juli 2003. Und auch in den spärlichen Mails – zum verabredeten Treffen ist es nicht<br />
mehr gekommen –, die seitdem zwischen Wien und Celje sprangen, sparten wir jene Woche<br />
aus, die sich mir nun, da das Band läuft und in wackeligen Bildern, den See im Hintergrund<br />
und alles immer zu dunkel, Jozef und Berit zufällig auf ihrem Weg zum Wasser zeigen, mit<br />
Nachdruck als Wirklichkeit behauptet.<br />
Eigentlich finde ich es ja albern, Videoaufnahmen vom Urlaub zu machen, und auch damals<br />
folgte ich mehr Kerstins Wunsch. „Nimm doch die Kamera deines Vaters mit, die Erinnerungen<br />
bleiben dann viel lebendiger als nur durch Fotos“, oder so ähnlich argumentierte sie. Im Jahr<br />
zuvor, in Bolivien, waren wir ohne Videokamera unterwegs gewesen. Mir war das recht, sie<br />
maulte im Nachhinein, man hätte eine Chance verpasst. Aber so ist Kerstin: schlau und simpel.<br />
Die Kamera erwies sich jedoch unerwartet als Hilfsmittel, und nun, da ich mir immer wieder<br />
diese ersten Bilder von Jozef und Berit ansehe, Sonntagmittag Hand in Hand, mit Waldbodenballenschritten<br />
zum See staksend, wundere ich mich pausenlos.<br />
Am Abend, ich wusste noch nicht, dass ich ihn zuvor unbeabsichtigt gefilmt hatte, sprachen<br />
wir uns beide fast gleichzeitig an. Jedem war das peinliche Verlassenengesicht des anderen<br />
aufgefallen, die hilflosen Versuche, sich zu betrinken.<br />
Um drei war Kerstin abgereist, sie habe keinen Bock mehr, ich hätte sie schon lange genervt,<br />
der ganze Trip nach Slowenien sei eine Schnapsidee gewesen, morgens Kraxeln, abends<br />
Schnackseln, das funktioniere nicht, wenn die Beziehung schon bröckele, sie wolle Sven wieder<br />
treffen, er habe ihr eine SMS geschickt, außerdem sei der Passat ihr Wagen, ich könne ja mit<br />
dem Zug nach Wien zurück.<br />
„Um vier ist Berit furt“, sagte Jozef in seinem Kärntnerisch, das den slawischen Akzent fast<br />
überdeckte. Per Autostop sei sie über Bled nach Villach, das hatte sie, so Jozef, jedenfalls vor,<br />
dann heim nach Klagenfurt. Ich habe ihn nicht nach Gründen der Trennung befragt, seine<br />
schweigenden, traurigen Augen verboten mir das, ich war zudem selbst torkelnd. Nur was ich<br />
auf dem Videoband sehe, und was mir Jozef auf der Fahrt nach Janja erzählte, weiß ich. Berit:<br />
eine Frau mit Tüchern, in der Frisur, um die Jeans gewickelt, um die Handgelenke. Barfuß,<br />
schwarzes T-Shirt, Nasenpiercing, Narbe an der Stirn. Wie viel Phantasie wird von drei dunklen<br />
Videobandsekunden beflügelt? Ihr Lachen ein Schall, ihr Blick voller Neugier. Es muss eine<br />
lustige Mittagsstunde gewesen sein vor dem nachmittäglichen Streit.<br />
Zwei Verlassene in der Sonntagnacht an der Bar der Campingplatz-Kneipe am Bohiner See<br />
bei Ukanc. Selbst als Klischee zu peinlich. Die schlechte Band mit der bemühten Sängerin gab<br />
Bohinj. Schweigen<br />
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