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Werktags - ORF

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Der Glatzkopf stand hinter dem Rezeptionstresen, eine Zeitung vor sich, eine leere Tasse Kaffee<br />

auf dem Tisch an der Seite, reichte mir den Zimmerschlüssel mit einem riesigen Holzbommel<br />

daran und tat, trotz Zeitung und Kaffee, so beschäftigt, als seien nicht etwa vier oder fünf,<br />

sondern vierzig oder fünfzig Personen zu Gast in dem Hotel.<br />

„Dobar dan!“, gab ich freundlich zurück, doch mein Wiener Akzent musste zu durchdringend<br />

gewesen sein. Der Glatzkopf grinste. Wer weiß, vielleicht hatte ihn Jozef auch inzwischen ins<br />

Bild gesetzt.<br />

Die Videoaufnahmen, die ich vom Zimmerfenster im ersten Stock aus auf den Straßenzug und<br />

den entfernt liegenden Marktplatz machte, erschöpften sich bald. Ich spule vor. Die wichtigeren<br />

Aufnahmen, die unglaublichen, kommen später.<br />

Mittwoch<br />

Schneewittchen und die Fruchtzwerge. Der Leberfleck einen guten Zentimeter über der Warze<br />

links. Jozefs Schnarchen. Ich erwachte und war beschämt. Für ihre Brüste kann sie ja nichts<br />

und der Sex mit ihr war stets o.k., sagte ich mir, verstand aber gleichzeitig nicht, warum ich<br />

mir das betonte. Ich zweifelte kurz, ob es diesen Skater-Sven, den sie beim Inlinern am<br />

Regenufer nördlich von Regensburg kennen gelernt haben will, überhaupt gibt, und, wenn ja,<br />

ob ich ihm vielleicht eine aufs Maul hauen soll.<br />

„Denk nicht so viel nach, mein Freund! Steh auf, wir haben zu tun heute!“ Jozefs Laune war<br />

erstaunlich, gestern Nacht hatte er noch fast geheult, als er mir von Berit und ihren Tangokünsten<br />

erzählt hatte. Er warf mit einem Kronenkorken nach mir.<br />

„Trottel!“, rief ich und furzte laut.<br />

Dejan hatte Jozef die Adresse zweier muslimischer Familien bzw. davon, was von ihnen übrig<br />

geblieben war, gegeben. Er hatte ihm aber geraten, eher nach Janja, einige Kilometer südlich<br />

von Bijeljina, zu fahren. Am Ortsrand, eher etwas außerhalb, gebe es einen Hof, ein altes<br />

muslimisches Ehepaar lebe dort zurückgezogen. Der Alte sei zwar etwas verrückt und verstockt,<br />

aber er müsste vieles wissen, was uns interessierte. Er habe wohl Schlimmes erlebt während<br />

des Krieges, aber Genaueres habe Dejan auch nicht in Erfahrung bringen können. Ejup oder<br />

Elup oder so heiße er.<br />

Als wir in Janja nach ihm forschten, begegnete man uns mit einer Mischung aus Scheu und<br />

Mitleid. Selbst Jozef konnte aus den Serben, die wir nach dem Alten befragten, kaum Sinnvolles<br />

herausbekommen. Wenn wir Glück hätten, würde seine Frau mit uns reden, der alte Ejup<br />

Izamovic spreche ja nicht mehr, giftete eine junge, durchaus hübsche, aber verhärmt blickende<br />

und zahnlückige Verkäuferin in einem Tabakladen. Jozef hatte Mühe, den hiesigen Dialekt zu<br />

verstehen, aber er konnte das Wesentliche, die Wegbeschreibung zu dem Hof, erfassen. „Wir<br />

sollten aufpassen, dass er uns nicht mit seinem Stock verprügelt, wie er es schon mit einem<br />

kroatischen Journalisten vor zwei Jahren gemacht hat“, übersetzte Jozef die bissige Verabschiedung<br />

der Verhärmten.<br />

Pausentaste. Wie jedes Mal, wenn ich, um mich zu vergewissern, dass ich nicht phantasiere,<br />

den Videofilm ansehe, so stoppe ich das Band auch jetzt an dieser Stelle. Und wenn ich Ejup<br />

betrachte, seine trotz allem weich gebliebenen Züge, seine flinken Augen in den tiefen Höhlen,<br />

die unzähligen Furchen in seinem Gesicht, die Irrwegen gleichen, hundertmal niedergetrampelt<br />

auf der Suche nach Mirjana, sein Kinn, das von Unbeugsamkeit zeugt, wenn ich seine Hände<br />

sehe, die scheinbar ruhig und wie auf ewig die Lehnen seines Sessels bedecken, wenn ich<br />

diesen Mann sehe, dann kann auch weiterhin nie ein Anflug von Reue in mir aufkommen.<br />

Wieder wirkte Jozefs Fähigkeit, Menschen zu fangen. Mit Irina Izamovic, die uns zunächst<br />

ruhig, aber bestimmt vom Hof verweisen wollte, kam er in ein, wie der Tonfall schnell verriet,<br />

vertrauliches Gespräch. Nachdem Jozef der alten Frau versichert hatte, dass wir keine Reporter<br />

seien und auch nicht vom Gesundheitsamt – das zu betonen riet uns schon die Verhärmte im<br />

Bohinj. Schweigen<br />

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