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Am Anfang war auch das sehr schwierig, denn Karsten kann sehr gut kochen. Er hat eine<br />
Menge gelesen, aber egal, denkt Karsten, jetzt bin ich Fensterputzer und esse Dosen-Ravioli.<br />
Im Fernseher sieht Karsten Max Herre, der sich von Weibern umtanzen lässt, eine fette Goldkette<br />
trägt und ein Muskelshirt. Es sieht aus, als hätte sich jemand einen Spaß daraus gemacht,<br />
Usher den Kopf von Max Herre aufzusetzen und Karsten wartet darauf, dass ein Schriftzug<br />
eingeblendet wird, der darauf hinweist, dass alles nur Verarsche ist; aber der kommt nicht.<br />
Dann könnte er heulen. Früher sind Idole jung gestorben, heute sind alle ewig jung.<br />
Nein, Karsten kann es nicht vertreten, ein Kind in eine Welt gesetzt zu haben, in der Max Herre<br />
ein Soloalbum herausbringt, weil keiner mehr mit ihm Musik machen will und Lenny Kravitz als<br />
neuer Jimi Hendrix gefeiert wird, weil er alle seine alten Alben zu einem neuen geremixt hat.<br />
Deswegen musste Karsten gehen, als er erfahren hatte, dass Tamara ein Kind bekommen<br />
würde. Es war ja nicht nur so, dass er sie verlassen hatte. In diesem Moment war es so<br />
gewesen, als hätte er Tamara für immer verloren, als hätte sie sich von ihm losgerissen, um<br />
sich einen Abgrund hinunterzustürzen, in den er ihr nicht einmal folgen konnte. Er hatte den<br />
Gedanken nicht ertragen können, mit anzusehen, wie ihr Körper sich immer mehr deformiert,<br />
von Woche zu Woche, von Tag zu Tag, ihr Bauch sich immer mehr aufbläst, wie sie sich immer<br />
mehr von ihm entfremdet und eintaucht in eine Welt, die nicht seine war und nicht werden<br />
sollte, nicht werden würde. Tamara unter einer Horde fetter Enddreißigerinnen bei der Rückbildung.<br />
Tamara mit Baby-Kotze in den Haaren. Unmöglich. Tamara muss auch wie Tamara aussehen,<br />
damit sie Tamara ist, nicht wie ein ausgeleierter Luftballon, sie muss nach Tamara riechen und<br />
nicht nach Kotze und wenn, dann hat sie nach seiner Kotze zu riechen.<br />
Karsten ist fünfundzwanzig und er kann sich nicht vorstellen, morgens um sechs von einem<br />
schreienden Kind aus seinem Rausch gerissen zu werden, er kann sich nicht vorstellen, dass<br />
die ganze Wohnung nach Kinderpups stinkt, er kann sich nicht vorstellen, dieses Kind in ein<br />
paar Jahren in den Kindergarten zu bringen, er kann sich nicht vorstellen, mit diesem Kind<br />
noch einmal die Pubertät zu durchleben. Er will kein Vater sein, auch kein schlechter und<br />
Tamara muss verstehen, dass er sonntags nie mit seiner Familie zum Grillen gehen können<br />
wird.<br />
Karsten fühlt sich wahnsinnig von Tamara im Stich gelassen. Zugegeben, man kann auch das<br />
Gegenteil behaupten, aber jedes Mal, wenn er kurz davor ist, seine Selbsttäuschung endgültig<br />
zu entlarven, überlegt er es sich wieder anders. Also, fragt sich Karsten, warum hat sie das<br />
gemacht, warum hat sie das Kind bekommen? Tamara würde nicht einmal einen Job als<br />
Babysitter bekommen. Tamara ist viel zu abgedreht, um ein Kind aufzuziehen, findet Karsten,<br />
Tamaras Kind wird ein Junkie.<br />
Manchmal wacht er nachts auf, dann sitzt sie an seinem Bett. Wenn er dreißig Sekunden lang<br />
geschrien hat, verschwindet sie meistens wieder. Dann geht er ins Bad und klatscht sich kaltes<br />
Wasser ins Gesicht. Und jedes Mal fällt ihm der „Lenz“ von Büchner ein. Karsten hat Angst<br />
verrückt zu werden und raucht einen Kopf. Dann schläft er weiter.<br />
Es gab Nächte, da hat Tamara lange gewartet auf Karsten, der nicht nach Hause kam. Heute<br />
weiß sie, dass Karsten ein blöder Wichser ist; heute findet Tamara selbst nicht mehr nach<br />
Hause, geschweige denn zu sich selbst.<br />
Inzwischen sieht Tamara in jedem Mann Karsten. Das ist schlimm und manchmal ungerecht;<br />
aber darauf kann sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Tamara kämpft mit jedem neuen Tag, der<br />
anbricht, sie braucht jetzt keinen Mann, um sich auszutoben. Wenn sie sich jemals wieder mit<br />
einem Mann einlassen sollte, wird er klein, dick und sehr freundlich sein, mit lachenden Augen.<br />
Er wird Tamara lieben, für sie kochen und sie wieder gesund machen. Aber dann wäre da noch<br />
Timon. Timon, mit seinen kleinen blonden Löckchen auf dem Kopf. Timon, der aussieht wie<br />
Familienglück<br />
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