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Ihre Zielstrebigkeit, eine legale Bewohnerin dieses Landes zu bleiben, hatte sie etwas Wichtiges<br />
vollkommen übersehen lassen. Mikes Wohnung bestand, das Badezimmer nicht mitgerechnet,<br />
aus nur 2 Zimmern. Wohnzimmer und Küche bildeten eine Einheit, das Schlafzimmer war<br />
gerade so groß, dass ein Doppelbett, ein Schrank und ein Nachtkästchen hineinpassten. Wie<br />
zum Teufel hatte sie es übersehen können, die vollkommen verständliche Frage zu stellen?<br />
Ihre Entschlossenheit, nicht aus dem Land geworfen zu werden, hatte sie überschminkt,<br />
obwohl sie wie ein riesiger Makel in Lises Plan zu sehen war. Wo sollte sie schlafen? Auf der<br />
Couch? Jahrelang? Ein zusätzliches Bett hatte nirgendwo Platz.<br />
Das war das erste Zeichen gewesen. Er hätte es von Anfang an wissen müssen, er hätte es<br />
ihr doch verdammt noch mal sagen müssen. Wie konnte er nur einfach annehmen, es wäre<br />
ganz normal, wenn sie dasselbe Bett teilen würden, auch wenn es groß genug war? Jedem<br />
vernünftigen Menschen, der eine Abmachung wie die ihre getroffen hatte, musste dieses<br />
Problem doch sofort ins Auge springen. Es fiel wohl nicht unter die Gewohnheiten von<br />
Wohnungsgenossen, im selben Bett zu schlafen, nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt.<br />
Das tat man doch nicht, außer man erhoffte sich etwas davon. Als sie es gemerkt hatte, waren<br />
ihre Kartons schon im Vorzimmer gestanden und als sie ihn danach fragte, meinte er so ruhig<br />
wie immer, sie müssten wohl beide im Bett schlafen. Er hatte es so gesagt, als ob er ihr eröffnet<br />
hätte, dass sie leider die gleiche Bratpfanne benutzen müssten. Wie konnte er das nur so<br />
gelassen sehen?<br />
Lise öffnete die Tür, drückte auf den kleinen roten Punkt und das Stiegenhaus war erleuchtet.<br />
Sie wohnten im zweiten Stock, es gab keinen Aufzug. Leise drehte sie den Schlüssel in der<br />
Wohnungstür um, betrat ganz langsam den dunklen Raum und achtete darauf, dass die Tür<br />
beim Zumachen nicht quietschte. Sie blieb für eine Sekunde ganz still stehen und lauschte.<br />
Der Kühlschrank surrte, sonst war nichts zu hören. Im Dunkeln stellte sie ihre Tasche ab und<br />
zog ihre Schuhe aus. Sie stellte sie ganz sachte auf den Boden und schlich auf Zehenspitzen<br />
durch das Vorzimmer. Man hätte meinen können, sie wäre eine Einbrecherin und keine<br />
Bewohnerin. Sie machte kein Licht, durchquerte das Wohnzimmer mit der Kochnische aber<br />
ohne Probleme. Langsam ging sie um den Tisch herum und befand sich nun direkt gegenüber<br />
der Tür zum Schlafzimmer. Sie zögerte. Aber nur kurz. Sie legte die Hand auf die Klinke und<br />
drückte sie nieder.<br />
Das zweite Zeichen könnte man als Missverständnis interpretieren. Am Tag, als Mike von seiner<br />
Mutter zurückgekehrt war, war sie gerade im Bad gestanden und hatte sich nach einer Dusche<br />
abgetrocknet. Er war zur Wohnungstür hineingekommen, hatte die Tür zum Badezimmer<br />
geöffnet und war direkt reingegangen. Lise hatte gerade ihr Gesicht getrocknet und das lange<br />
Badetuch war vor ihr bis auf den Boden hinuntergehangen und hatte so jede Sicht versperrt,<br />
aber das war ein glücklicher Zufall gewesen. Sicher, sie hätte die Tür absperren können, aber<br />
wieso war er einfach so hereingekommen? Er hätte sich doch ausrechnen können, dass sie<br />
im Bad war, wenn die Tür nicht offen stand. Und man ging ja wohl nicht einfach ins Bad, wenn<br />
man wusste, dass jemand anderen Geschlechts drin stand. Außer man wollte die Chance<br />
nutzen und einen Blick auf etwas werfen. Gut, er hatte sofort kehrtgemacht und hatte sich<br />
danach sofort entschuldigt, trotzdem aber kam es Lise vor, als ob das kein Einzelfall bleiben<br />
würde.<br />
Sie öffnete die Tür und trat ins Schlafzimmer. Sie lehnte die Türe nur leicht an und ging vor<br />
zum Schrank. Als sie das glatte Holz mit ihrer Hand zu fassen bekam, hielt sie inne und lauschte.<br />
Da, ganz leise, fast nicht wahrnehmbar, hörte sie Mikes Atemzüge. Ruhig und regelmäßig. Der<br />
Schrank hatte eine Schiebetür, die ziemlich schwer war. Lise wusste, dass das Geräusch der<br />
Haftreibung unvermeidlich war, wenn sie sie öffnete. Als sie es tat, erschrak sie fast, so laut<br />
war es. Erschrocken hielt sie inne und wartete auf eine Reaktion. Aber es geschah nichts. Lise<br />
tastete nach ihrem Pyjama, ließ die Schranktür offen und verließ das Zimmer. Sie ging ins Bad<br />
Lises Freitag<br />
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