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nur die Autobusse fahren immer im Kreis. Paul ist auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz. Dort<br />
setzt er sich vor seinen Computer, acht bis fünf Uhr, programmiert einen Code und beginnt<br />
ein Rädchen in einem größeren Rädchen zu sein, das ein Teil von einem Rad ist, das ein großes<br />
Rad dreht, tack und tack. Über seinem Schreibtisch hängt eine leise tickende Uhr.<br />
Wir sehen Paul an und jetzt kommt das, was passiert.<br />
Der Wecker klingelt, es ist kurz vor sieben Uhr und in der Welt, die rund um Paul herum existiert,<br />
geschehen Dinge gleichzeitig und überall, was soll man schon sagen, wir sind hier nicht in<br />
Afghanistan oder Tokio, aber vieles ist möglich und wir wissen nicht, was sonst noch alles<br />
passiert. In der Wüste Gobi verdurstet in diesem Augenblick ein chinesisches Pferd, in Panama<br />
fällt ein Tautropfen von einem Blumenblatt, das sich in die Sonne dreht, hier oder dort, irgendwo<br />
im selben Augenblick auf dem großen Ozean schwimmt ein kleines Boot, darin stechen sich<br />
zwei Feinde gegenseitig Messer ins Herz und fallen sich sterbend um den Hals, hier oder dort,<br />
irgendwo im selben Augenblick weint ein allein gelassenes Kind und ein alter, fast schon<br />
erblindeter Mann am anderen Ende der Welt hört ein leises Geräusch. Er setzt sich seine Brille<br />
auf und sieht, wie die Welt vor seinen Augen verschwimmt.<br />
Paul öffnet die Augen und betrachtet die Welt.<br />
Es ist ein Tag wie andere auch, acht bis fünf, die Uhr tickt leise, er sitzt an seinem Arbeitsplatz<br />
programmiert einen Code, alles hier, alles überall und die Welt, in der wir Paul sehen, ist nur<br />
ein Teil von einem Rad, das ein großes Rad dreht. Vor seinem Computer sitzend kann Paul<br />
uns nicht sehen, aber er weiß, dass es uns gibt. Erst später, gegen fünf Uhr, erst wenn er<br />
aufsteht, wenn er wieder in den Bus steigt und der Abend beginnt, werden wir uns treffen, erst<br />
wenn er in das nächstgelegene Lokal geht, um etwas zu trinken, ein Bier vielleicht, um etwas<br />
rauchen, ein, zwei Zigaretten vielleicht. Jetzt ist es fast schon so weit. Wir warten nur noch<br />
auf ihn.<br />
Paul weiß, dass es uns gibt.<br />
Später in dem Lokal setzt er sich an einen der hinteren Tische. Noch ist nichts passiert. Wir<br />
sind seine Freunde, wir gehören zu Paul, aber noch sieht er uns nicht. Er blickt durch das<br />
Lokal und sieht einige Tischgruppen und eine Theke, hinter der eine Barfrau und ein langhaariger<br />
Barkeeper stehen, einige Gäste, fünf oder sechs, die herumsitzen und etwas tun. Leise Musik<br />
rinnt aus den Musikboxen über die Wände, tropft auf den Fußboden, füllt dessen Ritzen,<br />
verschwimmt. Er spürt die Müdigkeit, tack und tack, aber alles kann sich ändern, von einem<br />
Tag, einem Moment auf den anderen, jeden Tag, jeden Moment. Wir wissen, bald ist es soweit.<br />
Paul bläst den Rauch seiner Zigarette langsam zwischen den Lippen hervor. Er legt den Kopf<br />
in den Nacken und sieht zu wie der Zigarettenrauch höher steigt. Er macht die Augen einen<br />
Moment zu und man kann sich vorstellen, was sonst noch alles passiert. Ein kanadischer<br />
Braunbär kratzt sich hinter dem Ohr, irgendwo, hier oder dort, ein Flusskrokodil öffnet gelangweilt<br />
das Maul, irgendwo hoch in den Bergen fällt ein einzelner Regentropfen steil aus dem Himmel<br />
herab und zwinkert ein kreisender Adler seiner Beute von weitem schon zu. Dann geht alles<br />
sehr schnell. Plötzlich steht die Barfrau vor Paul an seinem Tisch.<br />
„Willst du bestellen?“<br />
Wörter und Stimmen, greifen, die Barfrau, vermischen, die Bar, Gedanken, sieht er, ist es,<br />
sehen wir, alles wie, zwischen uns, und Gestrüpp. Paul sieht sie an. Wir spüren, dass in seiner<br />
Welt etwas passiert.<br />
„Paul?“<br />
Etwas.<br />
„Paul?“<br />
Passiert.<br />
„Hörst du uns zu?“<br />
Stimmen und Wörter greifen ineinander, vermischen Gedanken, sieht er die Barfrau, sehen wir<br />
Etwas von Paul<br />
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