Zürcher Mittelschulen feiern - Bildungsdirektion - Kanton Zürich
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Fokus<br />
«Unterstützung ja, Einmischung nein»<br />
Hausaufgaben sollten dabei helfen, Schüler zum selbstständigen<br />
Lernen zu motivieren. Doch Eltern mischten sich bei<br />
den Hausaufgaben zu oft ein und demotivierten die Kinder<br />
mit negativen Rückmeldungen, sagt Ulrich Trautwein vom<br />
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sowohl<br />
sie als auch Lehrpersonen sollten sich deshalb immer fragen:<br />
Welche Wirkung hat meine Unterstützung?<br />
Interview (per E-Mail): Stephan Pfäffli<br />
Herr Trautwein, wie wirkt sich die Vergabe von Hausaufgaben<br />
auf die Motivation und die Fähigkeit zum selbstständigen Lernen<br />
aus?<br />
Wenn man Schüler fragt, wie sie die Hausaufgaben beurteilen,<br />
so erhält man ein bewundernswert differenziertes Bild.<br />
Einerseits nehmen Schüler die Hausaufgaben als eine wichtige<br />
Komponente des Schulunterrichts wahr und sagen, dass sie<br />
lernförderlich seien. Anderseits empfinden sie ihre eigenen<br />
Hausaufgaben oft als Zumutung oder Zeitverschwendung.<br />
Das mag darauf hindeuten, dass bei der Vergabe und Kontrolle<br />
der Hausaufgaben bei vielen Lehrkräften etwas schiefgeht,<br />
insbesondere in Bezug auf die Förderung der Motivation.<br />
Sie haben mit Kollegen der Universität und der PH Freiburg<br />
Daten einer Schweizer Studie ausgewertet, in der Sie auch die<br />
Ziele der Hausaufgaben untersuchten.<br />
Ja, wir haben rund 60 Lehrkräfte im Fach Französisch als<br />
Fremdsprache danach gefragt, welche Ziele sie selbst mit der<br />
Vergabe von Hausaufgaben verknüpfen. Die Lehrkräfte sollten<br />
beispielsweise sagen, wie wichtig ihnen die Förderung<br />
von Leistung, Motivation, Selbstregulation und eine Reihe<br />
weiterer Aspekte bei der Hausaufgabenvergabe ist. Wir fragten<br />
auch danach, ob die Lehrkräfte es begrüssten, wenn die<br />
Eltern bei der Hausaufgabenerledigung mithelfen.<br />
Und wie sehen die Ergebnisse aus?<br />
Erwartungsgemäss bezeichneten fast alle Lehrkräfte die<br />
Leistungsentwicklung als besonders wichtig. Die Förderung<br />
von Motivation und das selbstständige Lernen waren für viele<br />
Lehrkräfte auch wichtig, aber nicht für alle. Richtig spannend<br />
wurde die Studie dadurch, dass wir auch geprüft haben,<br />
welche Lehrkräfte nun besonders erfolgreich waren: Welche<br />
Klassen haben über ein Schuljahr besonders viel hinzugelernt<br />
und in welchen Klassen haben sich die Schüler besonders<br />
bei den Hausaufgaben angestrengt?<br />
Und?<br />
Die günstigeren Ergebnisse zeigten sich im Schnitt in denjenigen<br />
Klassen, in denen die Lehrkräfte die Förderung vonMotivation<br />
und des selbstständigen Lernens sehr ernst nahmen.<br />
Gibt es auch bei den Eltern günstige und weniger günstige<br />
Einstellungen und Verhaltensweisen?<br />
Die meisten Eltern, die die Hausaufgaben-Erledigung begleiten,<br />
zeigen durchaus lernförderliche Verhaltensweisen: Sie<br />
loben, motivieren, unterstützen, wo es notwendig ist. Allerdings<br />
zeigt die Mehrheit auch –manche mehr,manche weniger<br />
–Verhaltensweisen, die problematisch sein dürften.<br />
Zum Beispiel?<br />
Sie konzentrieren sich mehr auf das richtige Ergebnis bei den<br />
Mathematik-Hausaufgaben als auf den richtigen Lösungsweg,<br />
sie mischen sich ein, wenn das Kind auch selbstständig die Lösung<br />
finden würde,und sie demotivieren mit negativen Rückmeldungen.<br />
Irgendwann werde ich einmal untersuchen, wie<br />
viele Kinder bereits Sätze wie «Ich weiss nicht, warum du das<br />
nicht verstehst» oder «Ein Einstein bist du leider nicht» gehört<br />
haben. Insgesamt gilt: Unterstützung kann helfen, Einmischung<br />
dürfte meist mehr schaden als nützen.<br />
Aber Eltern werden doch vernünftigerweise dazu neigen, bei<br />
schlechten Leistungen zu intervenieren.<br />
Die meisten Eltern beobachten natürlich sehr aufmerksam<br />
die Entwicklung ihres Kindes.Wenn sie Leistungsdefizite sehen<br />
–bei manchen Eltern ist das bereits der Fall, wenn das<br />
Kind nur «gute», aber keine «sehr guten» Ergebnisse erzielt –,<br />
sind die Eltern in Sorge und wollen unterstützend eingreifen.<br />
Das ist im Prinzip auch wünschenswert. Aber die Umsetzung<br />
ist häufig das Problem.<br />
Woran erkennen Eltern, dass aus der Hilfe ein Problem wird?<br />
Es gibt einige Warnhinweise: Wenn die Eltern dem Kind den<br />
Stift aus der Hand nehmen und selbst die Lösungen eintragen,<br />
ist meist eine sinnvolle Grenze überschritten. Oder wenn<br />
es häufig Streit bei der Hausaufgabenerledigung gibt. Und<br />
problematisch wird es auch, wenn aus der temporären Unterstützung<br />
eine Dauereinrichtung wird. Genau wie Lehrer sollten<br />
auch Eltern sich immer wieder die Frage stellen: Welche<br />
Effekte hat meine Unterstützung für die Entwicklung von<br />
Leistung, Motivation und Selbstständigkeit?<br />
Sind also Ganztagsangebote mit Hausaufgabenbetreuung die<br />
Lösung?<br />
Dazu gibt es noch nicht genug wissenschaftliche Studien.<br />
Aber eins scheint mir klar zu sein: Auch in der Ganztagsschule<br />
wird es für die Lehrkräfte eine grosse Herausforderung<br />
bleiben, den Schülern das selbstständige und motivierte<br />
Lernen beizubringen. Die Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag<br />
vollbringt sicherlich keine Wunder.<br />
Zur Person<br />
Ulrich Trautwein ist promovierter Psychologe. Seit dem Jahr<br />
2002 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-<br />
Institut für Bildungsforschung. Zuletzt erschien von ihm «Hausaufgaben»<br />
(2008) in: W. Schneider &M.Hasselhorn(Hg.), Handbuch<br />
der Pädagogischen Psychologie. Göttingen: Hogrefe.<br />
14 Schulblatt des <strong>Kanton</strong>s <strong>Zürich</strong> 5/2008