Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe
Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe
Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
www.grabbe-contacts.conne.net 15<br />
Odä<br />
Wir bitten dich, Klymene, erkenne auch du uns<br />
vorläufig unter diesem Namen wieder, wenn wir<br />
jetzt <strong>ein</strong>en Teil unseres Geheimnisses lüften.<br />
(Sie nehmen den Schleier ab)<br />
Klymene<br />
(erstaunt zurückweichend)<br />
Ich kenne euch: Ihr seid –<br />
Odä<br />
Ich bitte dich: Es bleibt dabei?<br />
Klymene<br />
Gern beuge ich mich eurem Wunsch. Doch wozu<br />
- ?<br />
Psuchos<br />
Es war Odäs Vorschlag. Mehr weiß ich darüber<br />
eigentlich auch nicht. Aber sie hat versprochen,<br />
sich zu gegebener zeit zu enthüllen. Bis dahin<br />
gedulde dich, Klymene!<br />
Odä<br />
So versprach ich´s.<br />
(Sie wendet sich den Mädchen zu)<br />
Du bist – so ehr´ ich dich – die stolze Nereide, in<br />
deren Element sich Helios und Selene<br />
bespiegeln?<br />
Nereide<br />
Nicht stolz! M<strong>ein</strong> Wesen fügt sich der<br />
verliehenen Würde.<br />
Odä<br />
Und du, voll weiter Gedanken und lichter<br />
Erkenntnisse, bist die ernste Oreade?<br />
Oreade<br />
Du sagst mir viel Gutes!<br />
Odä<br />
Dryade, Neckische?<br />
(Sie fasst lächelnd ihr Kinn):<br />
So scherzt du doch nicht immer – wie vorhin?<br />
Dryade<br />
(verlegen)<br />
D<strong>ein</strong> leiser Tadel trifft mich sanft ins Herz. Dir<br />
werd´ ich ehrbar dienen!<br />
Odä<br />
Aus d<strong>ein</strong>en Augen quellen r<strong>ein</strong>e Tränen. Warum,<br />
Najade?<br />
Najade<br />
Du bist k<strong>ein</strong> Mensch, dass du mich so erkennen<br />
darfst!<br />
Odä<br />
Ein leiser Hauch berührte dich -: schon bist du<br />
erschüttert. Du bist nicht für das Leiden<br />
geschaffen! – Und hier? Bist du nicht Echo, die<br />
an des Bruders Brust sich lehnt? Schwermütig<br />
schaust du, Echo? In d<strong>ein</strong>en Augen ziehen<br />
Welten auf und ab! Zehre getrost von der Kraft,<br />
die von den Sterblichen ausgeht, nicht von ihren<br />
Schwächen!<br />
Echo<br />
(sich fassend)<br />
M<strong>ein</strong> Bruder ist mir Welt genug, edle Herrin!<br />
Odä<br />
D<strong>ein</strong> Bruder <strong>Phaethon</strong> – ist es recht?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Ich schütze sie. Wir sind <strong>ein</strong>ander besonders<br />
zugetan.<br />
Odä<br />
(in merkwürdiger Aufmerksamkeit <strong>Phaethon</strong><br />
anschauend)<br />
Als Schwester doch – dem Bruder – nicht wahr?<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Nun, da du mich so offen fragst: M<strong>ein</strong>e<br />
Schwestern haben mich in m<strong>ein</strong>em Urteil über<br />
die Hoheit der Frau sehr gebildet. So ist es mir<br />
bisher schwergefallen, <strong>ein</strong>e Jungfrau zu umwerben.<br />
Odä<br />
Bisher? – Ein stolzes Wort!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(überrascht)<br />
N<strong>ein</strong> – oh – vergib! Ich m<strong>ein</strong>e: So erhaben über<br />
die Herzen der Menschen bin ich nicht.<br />
Vielleicht bin ich aber nicht weit genug<br />
herumgekommen, um auf <strong>ein</strong> solches weibliches<br />
Geschöpf zu stoßen, das so anmutig, so<br />
tugendhaft, so voller Lauterkeit und Liebreiz<br />
<strong>ein</strong>herschreitet – wie – wie – die Morgenröte? –<br />
so jungfräulich und über alle Greuel der<br />
Gesinnungen erhaben.<br />
Odä<br />
Soviel erhoffst du? – Neigst du doch dazu,<br />
Göttliches in Menschen zu erfahren! Lass´ dich<br />
nicht enttäuschen, junger Mann! Die Wesen, die<br />
du findest, sind allesamt dazu geschaffen, an der<br />
Qual des unwiederbringlich Schönen zu leiden.<br />
So saugen sie sich am Augenblick fest und<br />
werten das Vorhaben und Wesen der Götter aus<br />
dem Jetzt, aus dem höchsten Erkennen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So reden auch die Schwestern. Bist du <strong>ein</strong>e<br />
Nymphe wie sie? Doch n<strong>ein</strong> – sie erschauern.<br />
Wer also bist du?