Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe
Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe
Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
www.grabbe-contacts.conne.net 71<br />
Sie ruht bei ihrer Dienerschaft, verwandelt,<br />
unerkannt, als hätte sie den Tod gefunden. Lasst<br />
sie schlafen! Wir werden heute <strong>ein</strong> trauriges<br />
Geschäft zu vollziehen haben.<br />
Das kann ich nicht!<br />
Najade<br />
Nereide<br />
Du hast wohl recht – auch mir versagen die<br />
Glieder langsam ihren Dienst.<br />
Oreade<br />
Ist dies hier nicht das Geschäft der Menschen?<br />
Mir ist, als fehlten mir zu den Blüten auch die<br />
Tränen, als söge die Nacht mir letzte Mittel, das<br />
Leben zu verlängern.<br />
Nereide<br />
Was hält uns, Schwestern? Trauer? Wofür? Er ist<br />
dahin! Auch unsere Mutter ist nicht mehr. Chaos<br />
triumphiert. Von Philos k<strong>ein</strong>e Spur – er müsste<br />
längst hier s<strong>ein</strong>! Oder bestattet er eigene<br />
Verwandte? Liegt auch er unter rauchenden<br />
Trümmern begraben? – Alles weicht fernhin von<br />
uns ab!<br />
Najade<br />
Die letzten Blüten! Damit schmück´ ich m<strong>ein</strong>es<br />
Bruders Schlaf. Mehr, Liebster, kann ich für dich<br />
nicht tun. Schlaf´ wohl!<br />
Dryade<br />
Von mir das Laub! Zum Kranz um d<strong>ein</strong>e Stirne<br />
reicht es nicht. Komm, <strong>Phaethon</strong>, mit in unser<br />
Reich! Auch wir wollen nicht zurück. Wir gehen<br />
auf in den großen Atem des neuen Lebens – zu<br />
anderen Zeiten und zu anderen Welten! Komm<br />
doch mit!<br />
Nereide<br />
Es wandeln Ort und Zeiten ihren Sinn – wir<br />
wandeln unerkannt durch sie hindurch, um dich,<br />
geliebtes Herz, auf immer zu bew<strong>ein</strong>en!<br />
Oreade<br />
Lasst uns nun alle Elemente still verlassen – wir<br />
gehen <strong>ein</strong> in das umfassende Vergehen und<br />
Beginnen.<br />
Komm, Echo!<br />
Dryade<br />
Echo<br />
(die Leiche schmückend)<br />
Geduld! Geduld! Ich komme nach! Noch ist mir<br />
Kraft gegeben, m<strong>ein</strong>en Dienst an <strong>Phaethon</strong>s<br />
Tode zu vollenden.<br />
Nereide<br />
(von ferne)<br />
Lebt wohl, Schwestern!<br />
Echo<br />
Lebt wohl, m<strong>ein</strong>e Schwestern!<br />
(zu <strong>Phaethon</strong>)<br />
Nun, Bruder, sind wir wieder ganz all<strong>ein</strong>!<br />
Schön bist du wieder – so, wie gestern nacht, und<br />
d<strong>ein</strong>e Züge ruhen still in Frieden.<br />
Du liebes Haupt!<br />
(Sie bricht in heftiges W<strong>ein</strong>en aus)<br />
Ach weh, ihr starken Glieder!<br />
(Die übrigen Nymphen haben jetzt die Szene<br />
verlassen; Echo all<strong>ein</strong>)<br />
Vierter Auftritt<br />
Echo<br />
(all<strong>ein</strong> mit <strong>Phaethon</strong>)<br />
Zerschlagen war euch das Geschick hinab in<br />
Eridanos´ Bett, doch er hob dich, hob m<strong>ein</strong>en<br />
Bruder, selber schmerzerfüllt, aus s<strong>ein</strong>en Fluten,<br />
sieh – und brachte ihn uns her.<br />
(Sie kniet)<br />
Wie ruhte gestern noch m<strong>ein</strong> trostlos dumpfer<br />
Kopf<br />
an d<strong>ein</strong>er Brust, worin ich stark d<strong>ein</strong> Herz<br />
mir klopfen hörte, als wolltest du mir sagen: Sei<br />
getrost! Ich schlage ja – was kümmert uns die<br />
Welt?<br />
Warum, m<strong>ein</strong> Bruder, warum konnt´ ich dich<br />
nicht<br />
mit der heißen Schwesterliebe halten?<br />
Ja, ja – ich weiß es ja: Dich sog die Sehnsucht<br />
zu Eos, ohne dass du wusstest, dass sie es war<br />
und wo sie wohnte – mit allen Strängen der<br />
Natur hinan zu Helios´ Thron! Und? Fand sie<br />
dich in allem, was sie angerichtet, zur<br />
Entscheidung reif?<br />
Du hättest nie zurück gekonnt!<br />
Was suchtest du, so zwischen Welt und Himmel<br />
ohne Heimat,<br />
bei den Göttern? D<strong>ein</strong>e Sinne spürten jene Kluft<br />
der unglückseligen Verflechtung auf.<br />
N<strong>ein</strong>, ohne Fesseln durftest du ja nicht als<br />
Sterblicher Unsterbliches begehen -–das wusstest<br />
du als<br />
Kind ja schon! So hat dich das, worum du<br />
niemals ringen wolltest, am Ende doch erreicht<br />
und vom<br />
Zenit herabgeworfen.<br />
Du warst m<strong>ein</strong> Bruder – ach, m e i n Bruder!<br />
Und was bleibt jetzt?<br />
Die treuen Schwestern haben dich verlassen,<br />
und Still wächst bald über d<strong>ein</strong>em toten Glück<br />
der Ruhe.<br />
Dem Fels ver<strong>ein</strong>t: So kann ich manches<br />
Erdenalter überdauern, jammern zwar! Doch das<br />
genügt der Zeit,<br />
den faden Kompromiss, an Opfern mehr, als dass<br />
man sich, sofern man menschlich fühlt, an ihrem<br />
unmenschlichen Verlangen stößt,