Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe
Phaethon - ein dramatisches Gedicht - Gerhard Grabbe
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Echo<br />
Du musst k<strong>ein</strong> Seher s<strong>ein</strong> – wozu auch? Aber<br />
untrüglich empfindest du für das Lebenswerte.<br />
Ehe m<strong>ein</strong> Bruder mich bitten muss, wird er dich<br />
vorher gern um Rat fragen.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(plötzlich seltsam ernst)<br />
Doch nicht in allem, Echo?<br />
Echo<br />
Was m<strong>ein</strong>st du jetzt? Auch ich scheue vor<br />
diesem Höhepunkt zurück! - - Ich weiß doch<br />
auch nicht, warum!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(sie an sich ziehend)<br />
W<strong>ein</strong>e doch nicht! Dieser Tag ist <strong>ein</strong> Geschenk,<br />
das wir sorgsam in uns wegschließen wollen,<br />
nicht wahr?<br />
Echo<br />
(nickt stumm)<br />
Najade<br />
Was – <strong>ein</strong> Gaukler – <strong>ein</strong> Bettler? Mit<br />
vollgestopften Backen?<br />
Dryade<br />
Lasst sehen, welcher Schelm sich dahinter<br />
verbirgt!<br />
Vierter Auftritt<br />
(Glaukos, von dem halbwüchsigen Philemon<br />
geführt, tritt auf mit langem Stabe und <strong>ein</strong>er<br />
Umhängetasche)<br />
Glaukos<br />
(noch zu Philemon)<br />
Ist es hier? Sind sie es, die wir suchen?<br />
(herbeitretend, zu den Anwesenden)<br />
Heil dem Spender, der uns so empfangen und<br />
bewirten ließ! Als wär´ ich fürstlichen<br />
Geschlechts, erfüllt man mir ungefragt jeden<br />
Wunsch mit größter Zuvorkommenheit. Man<br />
wusch mir die Füße, bot mir <strong>ein</strong> Lager an – nach<br />
so langer Wanderschaft! In Griechenland, das<br />
verkünd´ ich gern, ehrt man den Bettler wie den<br />
Seher mit der gleichen Ehrfurcht, auch den<br />
unbekannten, ruhmlosen!<br />
Klymene<br />
Ehrwürdiger Fremder! Du bist im Hause der<br />
Klymene. Um mich versammelt sind m<strong>ein</strong> Sohn<br />
<strong>Phaethon</strong> und m<strong>ein</strong>e Töchter Nereide, Oreade,<br />
Echo, Najade und Dryade. Hier steht auch<br />
Philos, <strong>Phaethon</strong>s Freund. Sie alle bieten dir<br />
Gesellschaft, ehe sie sich ihren Pflichten wieder<br />
zuwenden. Und du, bist du in der Tat ohne<br />
Namen?<br />
Glaukos<br />
Klymene, <strong>Phaethon</strong>s Mutter! Welch´ <strong>ein</strong><br />
Wohlklang in m<strong>ein</strong>en Ohren! Nun, ich heiße<br />
Glaukos. M<strong>ein</strong> Geschick verhieß mir schon in<br />
der Wiege, nie solle ich das Tageslicht schauen.<br />
Sieh, nun tappe ich ergeben durch´s Leben. An<br />
der Hand <strong>ein</strong>es Knaben erspähe ich des<br />
Menschen Herz und der Welt kurioses Treiben.<br />
Verstehe, dass mich so vieles nur noch heiter<br />
stimmen kann!<br />
Klymene<br />
Spottend oder heiter: Der Weise ist berufen, das<br />
Wichtigste als des Tages Notdurft zu erfassen,<br />
und, je nachdem, was ihm hervorhebenswert<br />
ersch<strong>ein</strong>t, soll er lächeln oder traurig s<strong>ein</strong>.<br />
Glaukos<br />
Obgleich ich graue Haare und k<strong>ein</strong> harmonisches<br />
Äußere an mir habe, bin ich doch k<strong>ein</strong> Esel.<br />
(Er wirft <strong>ein</strong>en soeben abgenagten Knochen<br />
hinter sich durch die Luft)<br />
Sieh, <strong>ein</strong> Garten mit Büschen und Gesträuch? An<br />
solchen Flecken wohnen die Lieblinge der<br />
Götter!<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
(reicht dem Blinden <strong>ein</strong>en Becher W<strong>ein</strong>)<br />
Nimm, Glaukos, trink mit uns auf d<strong>ein</strong> Wohl!<br />
- Wie heißt du, Knabe?<br />
Philemon, Herr!<br />
Philemon<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
So nimm auch du, den das Schicksal an das Los<br />
dieses Menschen gekettet hält!<br />
(Er reicht auch ihm <strong>ein</strong>en Becher)<br />
Glaukos<br />
Mir sagt d<strong>ein</strong>e Stimme, dass du jung bist.<br />
<strong>Phaethon</strong><br />
Des Lebens Frische lebt in mir. Ich prahle nicht<br />
gern mit Vorzügen, die mir zugefallen sind.<br />
Glaukos<br />
Bescheiden bist du, aber auch selbstbewusst.<br />
Recht hast du: Die Jugend ist nichts<br />
Selbstverständliches. Wie rasch ist sie verblüht!<br />
Was bleibt ...<br />
(wischt sich <strong>ein</strong>e Träne ab)<br />
- nur fauler Ekel in Lumpen!<br />
Philos<br />
Nun, Alter, Philos sagt dir: Zähl´ die besten<br />
Stunden nur! Die anderen vergiss, wenn du dich<br />
ausruhen kannst. Und wer von der Vornehmen<br />
Tisch bettelt, findet auch noch <strong>ein</strong> Bett dazu.