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BAHN EXTRA ICE: Superzug mit Schattenseiten (Vorschau)

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<strong>ICE</strong>-Erfahrungen<br />

In ihren Premiumzügen hat die DB so genannte Ruhezonen eingerichtet.<br />

Aber wie ruhig sind diese, wenn der Zug überfüllt ist – und sich einige<br />

Reisende nicht an die Vorgaben halten?<br />

DB/Volker Emersleben<br />

Wenn für den Wochenendverkehr nur eine <strong>ICE</strong>-3-Garnitur zum Einsatz<br />

kommt, wird die Reise auch schon mal zur „Party im Gang“. Bei Preisen<br />

wie 98 Euro für die normale Fahrkarte München – Frankfurt ein<br />

fragwürdiger Spaß<br />

Max Esser<br />

So entspannt stellt die Werbung die <strong>ICE</strong>-Fahrt dar. Im Prinzip stimmt<br />

das sogar, vorausgesetzt, man erwischt einen intakten Zug und reist<br />

außerhalb der (Wochenend-)Rushhour<br />

Slg. Max Esser<br />

Jetzt kommen auch die kleinen Wehwehchen zum Tragen, die der<br />

<strong>Superzug</strong> am Mittag noch souverän überspielte. Konstruktive Missstände<br />

wie der blauäugig kalkulierte Gepäckstauraum in der 2. Klasse<br />

zum Beispiel. Jedem Reisenden auf den Großraum-Zweiersitzen bleibt<br />

Platz für einen <strong>mit</strong>tleren Koffer in der Ablage über den Sitzen, eine<br />

Tasche unterm Sitz und notfalls eine weitere Tasche auf dem Schoß.<br />

Schon bei den Vierergruppen am Tisch geht diese optimistische Rechnung<br />

nicht mehr auf. Die Gepäckstation in der Wagen<strong>mit</strong>te wie der<br />

zusätzliche Stauraum im Eingangsbereich bieten nur wenig Reserven.<br />

Sind sie ausgeschöpft, folgt das freitagnach<strong>mit</strong>tägliche Gepäck-Tetris.<br />

Die Elemente wie im Computerspiel aufschichten, umschichten, irgendwie<br />

verteilen. Wie das wohl die Leute in der Werbung lösen?<br />

Der Zug der zweiten Chance<br />

Immerhin, der <strong>ICE</strong> sorgt für alle. Auch für mich, wenn ich keine Reservierung<br />

habe und – <strong>ICE</strong>-3-Garnituren sind Mangelware – zur Frei-<br />

tagsnach<strong>mit</strong>tagsstunde in einem einzelnen Achtteiler <strong>mit</strong> zahlreichen<br />

weiteren Menschen den Weg nach Norden antrete. Platzsuche wie<br />

Gepäcksortieren spare ich mir, es gibt ja die Zuflucht am Bullauge.<br />

Genauer, im Vorraum an der Außentür, bei Toiletten und Abfalleimern.<br />

Das ist nicht das Schlechteste. Ich brauche mich nur aufzurichten, um<br />

hinaus zu schauen, und sollte der Platz knapper werden – andere kommen<br />

auf die gleiche Idee –, kann ich mich in Yoga üben. In der Ruhe<br />

liegt die Kraft. Nicht zu vergessen, der <strong>ICE</strong> ist der Zug der zweiten<br />

Chance: Mit etwas Glück steigen beim nächsten Halt in Nürnberg viele<br />

München-Pendler aus und wenige Wochenendreisende ein. Womöglich<br />

ergattere ich dann einen „richtigen“ Platz.<br />

Im gut gefüllten Großraumwagen muss das jedoch nicht unbedingt<br />

eine Wonne sein. Kurze Zeit nach der Abfahrt, wenn vor den Fenstern<br />

wieder Felder und Dörfer vorüber ziehen, entdeckt so mancher<br />

sein Herz für die, die irgendwo in der Welt sitzen und noch nicht das<br />

Neueste kennen. Handytalk steht an und fast scheint es, als<br />

spornten die dicht belegten Sitzreihen <strong>mit</strong> ihrem<br />

Publikum die Mobiltelefonierer noch an. Nicht, dass der<br />

<strong>ICE</strong> an dieser Unart Schuld trägt. Aber die Großraumanordnung<br />

fördert sie und lässt alle teilhaben, obwohl sie gar<br />

nicht wollen. Da weiß ich binnen einer Viertelstunde, dass<br />

die sprunghafte Lise auch <strong>mit</strong> Karli Schluss gemacht hat,<br />

der lässige Henry am Samstag die Desperados für den Junggesellenabschied<br />

organisiert und der transusige Herr Müller<br />

bis Montag um elf die Powerpoint-Präsentation hinzukriegen<br />

hat. Um halb zwölf stehen die Kunden aus<br />

Übersee auf der Matte, da muss der Beamer glühen. Im<br />

Fernsehen wirbt die DB da<strong>mit</strong>, dass sich im <strong>ICE</strong> Menschen<br />

kennen lernen. Wie wahr, wie wahr.<br />

Eile <strong>mit</strong> Weile<br />

Mit einer anderen Werbebotschaft hat das DB-Spitzenerzeugnis<br />

noch sehr viel mehr Mühe. Hochgeschwindigkeit und Pünktlichkeit<br />

sind hehre Ziele, aber im Bahnalltag zwischen München und<br />

Frankfurt bisweilen schwer zu erreichen. Mal bremst eine Gleisbaustelle<br />

in Mittelfranken den weißen Sprinter auf Ochsenkarrentempo herunter,<br />

mal macht ein vorausfahrender Zug das Gleis im Bahnhof nur zögerlich<br />

frei. Das sind die Momente, in denen ich <strong>mit</strong> dem Personal<br />

„meines“ <strong>ICE</strong> besonders <strong>mit</strong>fühle. Bleibt den Zugbegleitern doch die<br />

undankbare Aufgabe, über Lautsprecher die schlechte Nachricht zu<br />

überbringen: „... haben wir zurzeit eine Verspätung von 15 Minuten.<br />

Wegen Ihrer Anschlüsse werde ich Sie rechtzeitig informieren ...“ Das<br />

Problem: Der <strong>ICE</strong> ist die Nummer eins im DB-Angebot, weit, weit<br />

vorne und unumstritten. Nur heißt das beileibe nicht, dass Regionalbahnen<br />

auch auf die <strong>ICE</strong>-Reisenden warten. Den Zugpersonalen fällt<br />

der Job des Fahrgast-Tetris zu. Im Interesse der Kunden die Verbindungen<br />

absprechen, umschichten, irgendwie verteilen.<br />

So gestalten sich die <strong>ICE</strong>-Fahrten ins Wochenende sehr verschieden.<br />

Zwischen Vergnügen und Frustration liegt oft nur ein schmaler Grat.<br />

Wenigstens ist die Reise <strong>mit</strong> dem Premiumprodukt InterCityExpress<br />

eine gute Schule. Ich erlebe die Höhen und Tiefen des Schienenverkehrs<br />

und ich lerne, darauf flexibel zu reagieren. Was, bitte, soll mir <strong>mit</strong><br />

diesem Erfahrungsschatz noch passieren?<br />

Max Esser<br />

<strong>BAHN</strong> <strong>EXTRA</strong> 4/2013<br />

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