BAHN EXTRA ICE: Superzug mit Schattenseiten (Vorschau)
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Problemfall Velaro D<br />
Zur Bilanzpressekonferenz am 29. März 2012 in Berlin hatte DB-Vorstandsvorsitzender<br />
Dr. Rüdiger Grube ein Modell des Velaro D dabei.<br />
Ob das Fahrzeug, dessen Original Ende 2012 zum Einsatz kommen<br />
sollte, heute noch als Hoffnungsträger taugt? DB/Pablo Castagnola<br />
Ende 2008 stellten der damalige DB-Chef Hartmut Mehdorn und Peter<br />
Löscher von Siemens feierlich die Order für den Velaro D der Öffentlichkeit<br />
vor. Viereinhalb Jahre später stockt das Projekt, ist die Stimmung<br />
zwischen DB und Siemens merklich abgekühlt<br />
Volker Emersleben<br />
Welcher Zug wofür?<br />
Zudem hat Siemens die aus 16 + 1 Zügen bestehende<br />
Serie der Velaro-D-Produktion bereits<br />
Ende 2012 im Werk Krefeld fertig gestellt<br />
– aber wohl nicht alle für die DB AG. Im März<br />
2013 erhielt Siemens einen Auftrag der türkischen<br />
Eisenbahngesellschaft TCDD. Er umfasst<br />
die Lieferung von sechs Velaro-Zügen zuzüglich<br />
einer siebten Zugeinheit für Testzwecke<br />
und nach unbestätigten Informationen bis zu<br />
100 in der Türkei zu produzierenden Lizenzbauten.<br />
Um die türkische Testgarnitur kurzfristig<br />
ausliefern zu können, wurde nach ebenon<br />
auf der Linie Frankfurt (Main) – Paris anstelle<br />
der 406 fahren, welche die DB auf innerdeutsche<br />
Verbindungen und die Strecke Frankfurt<br />
(Main) – Amsterdam verlegen wollte.<br />
Tatsächlich unternahmen erste 407 im Jahr<br />
2011 Probefahrten, unter anderem auf der<br />
Neubaustrecke Hannover – Würzburg und<br />
zwischen Bamberg und Lichtenfels. Doch<br />
zum Planeinsatz Ende 2011 kam es nicht,<br />
denn der neue Triebzug stand nicht wie gefordert<br />
zur Verfügung. Primärer Grund für die<br />
Verzögerung sind laut Siemens Probleme <strong>mit</strong><br />
der Zulassung der bordseitigen Signaltechnik<br />
für Frankreich. Siemens bezieht diese Ausrüstung<br />
von Ansaldo STS.<br />
Es wurde dann einvernehmlich vereinbart,<br />
statt für Frankreich vorrangig eine Zulassung<br />
für Deutschland im Doppeltraktionsbetrieb<br />
anzustreben – was sich auch bald fürs Erste<br />
zerschlug. Am 1. Juni 2012 erteilte das Eisenbahn-Bundesamt<br />
(EBA) Siemens die Zulassung<br />
für den Betrieb des Velaro D in Einfachtraktion,<br />
allerdings <strong>mit</strong> Auflagen. Diese<br />
sollten bis 31. Mai 2013 abgearbeitet sein. Siemens<br />
selbst stellte bei Doppeltraktions-Testfahrten<br />
im Jahr 2012 Mängel fest und hat darum<br />
für diese Variante bisher beim EBA noch<br />
keine Zulassung beantragt.<br />
Das war nicht der einzige Rückschlag. Die<br />
DB brach am 31. Oktober 2012 einen ersten<br />
Übernahmeversuch ab, da die vorgestellten<br />
407er bei weitem nicht dem vertraglich vereinbarten<br />
Zustand entsprachen. Die Funktionssicherheit<br />
für den Einsatz im Betrieb konnte<br />
nicht festgestellt werden. Vielmehr zeigten<br />
die Züge Probleme grundlegender Natur, zum<br />
Beispiel bei der Tür- und Bremssteuerung, der<br />
Linienzugbeeinflussung, der Fahrgastinformation<br />
und der Bildung von Doppeltraktionen.<br />
Laut geänderter Terminplanung der Siemens<br />
AG sollte die DB Ende 2012 sechs Züge des 407<br />
erhalten – im April 2012 hatte der Hersteller<br />
noch acht bis zehn Züge zugesagt. Das schien angesichts<br />
der misslungenen Präsentation am<br />
31. Oktober schon fraglich und am 20. November<br />
2012 gab Siemens dann eine nochmalige Verschiebung<br />
für die Züge überhaupt bekannt. Bis<br />
heute hat die Firma keinen neuen verbindlichen<br />
Liefer- und Zulassungsplan genannt.<br />
Zusätzlich sorgt der 407 für Zwist zwischen<br />
den Herstellern. Siemens nennt als ein Problem<br />
des Zuges das verzögerte Bremsverhalten<br />
und verweist dabei gern auf den Zulieferer<br />
Knorr. Dieser gibt an, bereits eine geänderte<br />
Software geliefert zu haben, und sieht seine<br />
vertraglichen Pflichten als erfüllt an. Insider<br />
teilen aber <strong>mit</strong>, dass Knorr die Software lieferte,<br />
bevor Siemens die Ergebnisse aus den<br />
Abstimmungen Ende Januar 2013 in einer<br />
neuen Anforderung an Knorr formulierte. Allgemein<br />
sind die Angaben zu den Bremsproblemen<br />
unterschiedlich, was die Situation für<br />
Außenstehende noch verworrener macht. So<br />
gab es Hinweise auf ein verzögertes Bremsverhalten<br />
und verzögerte Datenübertragungen<br />
im Doppeltraktionsbetrieb – der Aufschub soll<br />
bis zu einer Sekunde betragen. Andere Berichte<br />
weisen auf eine verzögerte Probebremsung<br />
nach Fahrtrichtungswechsel hin oder gar<br />
auf Verzögerungen bei Schnellbremsungen.<br />
Insider berichten noch, der Zug habe im automatisierten<br />
Prellbockbetrieb zu früh abgebremst;<br />
im Frankfurter Hauptbahnhof sei er<br />
erst nach erneutem Anfahren in voller Länge<br />
aus dem Gleisvorfeld und an den Bahnsteig<br />
gekommen. Irgendwie haben wohl alle Angaben<br />
eine Berechtigung, sind aber nicht<br />
durchgängig ein Zulassungshinderungsgrund.<br />
Die aktuelle Lage<br />
Nach Abstimmung von DB AG, Siemens und<br />
dem EBA Ende Januar 2013 besteht über die<br />
Nacharbeiten und über die einschlägigen Normen<br />
inzwischen Einigkeit. Auch die notwendigen<br />
Nachweisverfahren sind <strong>mit</strong> dem Hersteller<br />
abgestimmt. Die Zusammenarbeit <strong>mit</strong><br />
Siemens wird seitens des EBA als gut und konstruktiv<br />
bezeichnet. Dass der Hersteller zwischenzeitlich<br />
Lieferverzögerungen auf 2.900<br />
vom EBA veranlasste Änderungen zurückführen<br />
wollte, dürfte wohl nur ein Ablenkungsmanöver<br />
gewesen sein.<br />
Die DB AG braucht dringend Verstärkung im Fernverkehr<br />
– und Alternativen zum 407 gibt es nicht<br />
Von Harmonie zu sprechen, wäre aber<br />
falsch. Zwischen der DB und Siemens gab es<br />
in jüngster Zeit wiederholt Spannungen. Ein<br />
Beispiel dafür ist die Frage nach dem „Tunnelpaket“,<br />
das den Betrieb unter dem Ärmelkanal<br />
und bis London ermöglicht. Hier heißt<br />
es zum einen, die DB AG habe bei Siemens ein<br />
Angebot für die Umrüstung der 407 erfragt<br />
und keines erhalten, während Siemens abstreitet,<br />
überhaupt eine Anfrage bekommen zu<br />
haben. Widersprüchliche Angaben wie diese,<br />
ergänzt durch eine defensive Informationspolitik<br />
nach außen, erschweren eine Einschätzung<br />
der Lage. Sie zeigen aber, wie verfahren<br />
die Situation ist. Zumindest eines lässt sich<br />
festhalten: Aktuell gibt es keinen Antrag auf<br />
eine Zulassung des 407 im Ausland. Berichte<br />
über Beantragungen und Zulassungen für den<br />
Tunnelbetrieb nach London betreffen ausschließlich<br />
den 406 und den Eurostar.<br />
Das macht es für die DB nicht einfacher.<br />
Sie benötigt dringend eine Verstärkung für die<br />
Fernverkehrsflotte, Alternativen zum 407 gibt<br />
es keine. Andere Hochgeschwindigkeitszüge<br />
sind nicht verfügbar, kämpfen <strong>mit</strong> eigenen<br />
Produktions- oder Zulassungsverzögerungen<br />
oder eignen sich nicht für den deutschen<br />
Markt. So<strong>mit</strong> ist eine Stornierung der 16 Züge<br />
nach Aussage der DB AG keine Option.<br />
<strong>BAHN</strong> <strong>EXTRA</strong> 4/2013<br />
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