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Download - Martina Steinkühler

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Man kann solche Ansichten und solches Verhalten aus dem Zeitgeist heraus erklären,<br />

nachvollziehen oder gar rechtfertigen lassen sie sich heute nicht mehr. Nur schwer<br />

nachzuvollziehen ist auch die Offenbarung des Johannes mit ihrer verwirrenden Zahlenmystik<br />

und Tiersymbolik. Ihre Aufnahme in das Neue Testament war lange Zeit umstritten.<br />

Erst ganz allmählich und nur mit Mühe lernten die frühen Christen zu begreifen, dass die<br />

Naherwartung sich nicht erfüllte, die Gottesherrschaft und die nach christlicher Vorstellung<br />

damit verbundene Wiederkehr Christi ausblieben. Diese schmerzliche Erfahrung stellte eine erste<br />

ernsthafte Bewährungsprobe für das junge Christentum dar. Aber schließlich schaffte man es,<br />

sich darauf einzustellen, es noch eine Weile in dieser Welt aushalten zu müssen. Dieser Prozess<br />

von der unbedingten Naherwartung bis zu den ersten Anzeichen eines Sich-Einrichtens in dieser<br />

Welt setzte noch während der Entstehungszeit der neutestamentlichen Schriften ein und fand<br />

darin seinen Niederschlag. Hatte man angesichts der Naherwartung keine Notwendigkeit<br />

verspürt, Regeln für ein christliches Zusammenleben aufzustellen, so konnte man, je länger die<br />

Wiederkunft Christi auf sich warten ließ, desto weniger darauf verzichten. In einigen Paulus zu<br />

Unrecht zugeschriebenen Briefen finden sich mit den sogenannten Haustafeln* erste<br />

Anweisungen für den Umgang der Christen miteinander in der Hausgemeinschaft. Das sind,<br />

wenn man so will, die Anfänge einer christlichen Ethik.<br />

Der erste neutestamentliche Schriftsteller, der das Christentum unter geschichtlichem Aspekt<br />

betrachtet und seine geschichtliche Dimension positiv begreift, ist Lukas, der Verfasser des<br />

dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte. Auch wenn man diese beiden Werke, die für<br />

ihren Autor eine Einheit bilden, nicht als Geschichtsschreibung im modernen Sinne bezeichnen<br />

kann, ist Lukas von allen vier Evangelisten derjenige mit dem größten historischen Interesse und<br />

Anspruch und der erste, der ein christliches Geschichtsbewusstsein entwickelt hat.<br />

Kanonbildung<br />

Die Form, in der uns das Neue Testament heute vorliegt, hat es, was vielleicht überraschen mag,<br />

erst gegen Ende des vierten nachchristlichen Jahrhunderts erhalten. Der Entscheidungsprozess<br />

darüber, welche Schriften als verbindlich für das Christentum anzusehen sind, hat sich also über<br />

mehrere Jahrhunderte hingezogen. Aber auch nach diesem Zeitpunkt ist die Geltung nicht aller in<br />

den Kanon aufgenommenen Schriften unumstritten. So bestanden zwischen den Gemeinden des<br />

weströmischen und des oströmischen Reiches in der Kanonfrage Meinungsverschiedenheiten, die<br />

später auch andere Bereiche des kirchlichen Lebens und des Verhältnisses von Kirche und Staat<br />

erfasst und schließlich (1054) zur ersten Spaltung der Christenheit in die römisch-katholische und<br />

die orthodoxe Kirche geführt haben. Die griechische Kirche hat sich lange dagegen gewehrt, zwei<br />

auch andernorts umstrittene Schriften, nämlich den Hebräerbrief und die Johannes-Apokalypse,<br />

als kanonisch anzuerkennen. Umgekehrt haben dort Schriften lange Zeit ein hohes Ansehen<br />

genossen, die von der römischen Kirche abgelehnt worden sind.<br />

Keineswegs also haben die einzelnen Schriften des Neuen Testaments überall gleichzeitig<br />

kanonische Geltung erlangt. Während man sich über die vier Evangelien und einige der Paulus<br />

zugeschriebenen Briefe recht früh und nahezu überall einig gewesen ist, bleiben andere Briefe<br />

und Schriften lange umstritten und finden zunächst nur regionale Anerkennung. Daraus lässt sich<br />

zumindest indirekt eins der Kriterien entnehmen, die für die Zusammenstellung des Kanons<br />

maßgebend gewesen sind. Man erklärt zunächst die Schriften für kanonisch, die ohnehin in allen<br />

Gemeinden die Basis für Predigt und Lehre abgeben. Hier gilt also das pragmatische Prinzip der<br />

tatsächlichen Verwendung und Bewährung. Andererseits zeigt der Streit um die Kanonisierung<br />

einer ganzen Reihe anderer Schriften, dass dies Kriterium allein offenbar nicht ausgereicht hat.<br />

Wenn man sich die Entstehungszeit der in den Kanon aufgenommenen Schriften und die Namen

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