Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt
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Verfremdungen, was ein deutliches Zeichen dafür ist,<br />
dass ein Genre in die Annalen der Popkultur eingegangen<br />
ist, aber auch Chancen für neue Entwicklungen<br />
birgt. Aktuell lassen sich dabei vor allem wieder<br />
Ambitionen registrieren, Techno in Gestalt einer digitalen<br />
Kunstmusik ein intellektuelleres Image und eine<br />
künstlerische Note zu verleihen. 26 Aber auch einer<br />
‚Neu-Auflage‘ des ‚banaleren‘ (Massen-)Spaßes steht<br />
nicht grundsätzlich etwas im Wege: Gemeint sind<br />
damit Techno-Partys mit den ‚guten alten’ Rave-Signalen,<br />
bei denen sich DJs nicht zu schade sind dafür, den<br />
‚track‘ mit dem beson-ders hohen ‚Abgehfaktor' hervorzuholen<br />
und zum überschäumenden Vergnügen der<br />
dann in der Tat wieder ravenden Horde das aufzulegen,<br />
was man in der Branche (bislang allzu verächtlich)<br />
„Schweine-Techno“ nennt. 27 ‚Zwischen Zitat und<br />
Revival‘ scheint uns damit die treffendste Beschreibung<br />
der Situation zu sein, in der ‚Techno‘ bzw. der<br />
Spaß der Technoiden derzeit angekommen ist.<br />
2.1.3 Szenedifferenzierungen<br />
'Techno' hat sich in den frühen 1990er Jahren als<br />
Etikett für eine im Laufe der 1980er Jahre aufgekommene<br />
Musikrichtung durchgesetzt und dient mittlerweile<br />
als Sammelbezeichnung für eine große Anzahl<br />
vielfältiger Substilrichtungen elektronische Tanzmusik.<br />
Jenseits seiner Manifestation in einer ausdifferenzierten<br />
Art von stark repetitiver, elektronisch<br />
erzeugter Musik meint ‚Techno‘ einen bestimmten<br />
kollektiven Lifestyle, der sich signifikant äußert u.a. in<br />
besonderen Tanzformen, in speziellen Konsumgewohnheiten,<br />
in auffälligen Attitüden und habituellen<br />
Eigenarten sowie in signifikanten Arten von Geselligkeiten.<br />
Die im folgenden im Zentrum der Betrachtung stehende<br />
Techno-Party-Szene bildet eine – quantitativ vermutlich<br />
die stärkste – Teilszene der Techno-Szene, die<br />
analytisch von anderen Techno-Teilszenen, etwa der<br />
Avantgarde(-Szene) einerseits, von Musikstil-Subszenen<br />
(z.B. Goa, Gabber, (Tech-) House, Electro)<br />
andererseits abgrenzbar ist: Während zu bzw. in einer<br />
Musikstil-Subszene nur derjenige dazugehört, der<br />
eben diesen – und d.h. in der Regel: nur diesen –<br />
Musikstil präferiert, d.h. produziert und/oder konsumiert<br />
(wobei gerade dieser Musikstil häufig als allen<br />
anderen überlegen, weil als authentisch bzw. als komplex<br />
bzw. als nicht-kommerziell angesehen wird), tritt<br />
in der Avantgarde-Szene zum Echtheits- der Neuheitsanspruch<br />
als Ein- bzw. Ausschlusskriterium hinzu.<br />
Demgegenüber ist die Techno-Party-Szene dadurch<br />
gekennzeichnet, dass in ihr weniger ‚rigide’ Kriterien<br />
der musikstilistischen Präferenz und Auswahl gelten.<br />
Veranstaltungen weisen hier typischerweise eine relativ<br />
große Bandbreite jener Musikstile auf, die dem<br />
Oberbegriff ‚Techno’ subsumiert werden können.<br />
Wesentliches Kennzeichen der Techno-Party-Szene<br />
aber ist, dass hier – stärker als in den beiden anderen<br />
beschriebenen Typen von Teilszenen – eben die Party<br />
bzw. der ‚Rave’ nach wie vor den Kulminationspunkt<br />
des Szenegeschehens bilden.<br />
2.2 Leitfaden zur Erfassung<br />
szenetypischer <strong>Bildungsprogramme</strong><br />
Im weiteren werden wir nun unser Wissen über diese<br />
Szene im Hinblick sozusagen auf Kompetenz-<br />
Markierer restrukturieren – in der Absicht, auf dieser<br />
Basis wiederum einen abstrahierbaren Leitfaden zur<br />
Erfassung von so verstandenen Bildungsprozessen und<br />
Bildungsresultaten in Szenen schlechthin zu entwickeln.<br />
Die Genese dieses Leitfadens ist als ein mehrstufiger<br />
Prozess zu begreifen, der bei einer möglichst umfassenden<br />
Auflistung der für die Techno-Party-Szene<br />
symptomatischen praktischen Interessen unterschiedlicher<br />
Typen von Szenegängern (Partyteilnehmern,<br />
DJs, Eventorganisatoren usw.) ansetzt (1). Diese werden<br />
hinsichtlich der für ihre Realisierung jeweils erforderlichen<br />
Kompetenzen im weiten Sinne, d.h.<br />
Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Vollzugsroutinen,<br />
Befugnisse usw. analysiert (2). Unser Augenmerk<br />
gilt dabei auch der Frage, wie diese Kompetenzen vermittelt,<br />
angeeignet und entwickelt werden. In einem<br />
nächsten Analyseschritt wird diese (zunächst noch<br />
26 So zeichnete sich das Technolectro-Stück ‚Dancing with the rebels’, mit dem das DJ-Team Westbam und Africa Islam beim deutschen Vorentscheid zum<br />
Grand-Prix d’Eurovision 2004 angetreten ist, durch einen ausgeprägten Minimalismus und einen (von der Tagespresse im Nachhinein auch ‚unisono’ attestierten)<br />
hohen, nicht unbedingt massenpublikumswirksamen künstlerischen Anspruch aus.<br />
27 So ist beispielsweise eine Veranstaltung unter dem Motto „Modern Classics“ des in Szenekreisen hochangesehenen Techno-Clubs ‚Tribehouse’ in Neuss mit<br />
folgendem Begleittext den House-, Techno- und Trancesounds aus früheren Zeiten gewidmet: „Selbstverständlich gibt es auch viele ‚alte Hasen’, die immer noch<br />
gerne ins Clublife eintauchen, nur meistens nicht mehr ganz so oft wie früher. House und Techno bleiben durch ihre unendlich vielen Subgenres, die teilweise<br />
selbst für Insider schwer zu definieren sind, auch Jahre nach ihrer Geburt frisch, jung, immer wieder neu und damit mehr als modern. Trotzdem ist es so, dass der<br />
ein oder andere sich wehmütig an die ‚alten Zeiten’ erinnert und die Atmosphäre gerne noch mal erleben möchte“ (Tribehouse-Team im November 2003)