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Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt

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44<br />

konsequente Berücksichtigung von Tierrechten darstellt,<br />

erweisen sich als ‚Quasi-Experten‘ hinsichtlich<br />

‚versteckter‘ tierischer Inhaltsstoffe 81 in nahezu allen<br />

Produkten des alltäglichen Gebrauchs. Die Ausrichtung<br />

der Ernährung auf vegetarische oder vegane<br />

Kost erfordert einerseits die Beschaffung von<br />

Informationen über physiologische Grundlagen (um<br />

einer Mangelernährung vorzubeugen), zumindest aber<br />

die Sammlung von Kochrezepten und das Ausfindigmachen<br />

von Anbietern der nötigen Produkte, andererseits<br />

das ‚Kochen-Lernen‘ 82 selber.<br />

Weitaus häufiger ist die Beschäftigung mit ‚Themen’<br />

jedoch mit der Absicht verknüpft, ‚etwas bewirken zu<br />

wollen‘ (und sei es ‚nur‘ im lokalen Freundeskreis).<br />

Dementsprechend differieren methodische Kompetenzen,<br />

die zur Weitervermittlung erworben, weiterentwickelt<br />

oder verfestigt werden, in Abhängigkeit davon,<br />

‚wie viele‘ andere Menschen ein Szenegänger erreichen<br />

will und welche Kommunikationsmittel 83 er dazu<br />

auswählt (vgl. dazu auch Kapitel 4.2.2). Erlernt werden<br />

medienpraktische Fähigkeiten und Fertigkeiten in<br />

der Hardcore-Szene ebenso häufig über ein eigenständiges<br />

‚Learning-by-Doing‘ wie auch über den Erfahrungsaustausch<br />

innerhalb der Szene (z.B. ist es generell<br />

relativ unproblematisch, sich ‚durchzufragen‘, um<br />

an notwendige Ratschläge und Informationen zu<br />

gelangen).<br />

(2) Unabhängig von der individuellen Bereitschaft,<br />

sich ausführlicher mit Themen szeneinterner oder -<br />

externer Relevanz zu befassen oder sich aktiv für<br />

etwas zu engagieren, entwickelt jeder Szenezugehörige<br />

eine mehr oder weniger intensiv reflektierte Position<br />

und vertritt diese in etwaigen Konfrontationen.<br />

Dies gilt auch für diejenigen, die Hardcore gemäß der<br />

in der ersten und vierten Szenegeneration vertretenen<br />

Auffassung ausschließlich als Musikstil verstehen.<br />

Alle Zugehörigen der HC-Szene erwerben (zumindest)<br />

einen Überblick über die aktuell im Szenekontext diskutierten<br />

Themen und (infolgedessen) Begründungen<br />

dafür, warum sie bestimmte Dinge als wichtig oder<br />

unwichtig empfinden. Daher lässt sich die HC-Szene<br />

durchaus als Anregungs- bzw. Übungsfeld zur eigenständigen<br />

Meinungsbildung und zur Kritikfähigkeit<br />

bezeichnen, was im Hinblick auf bürgerschaftliches<br />

Engagement als ein alltagspraktisch relevantes Kompetenzbündel<br />

angesehen werden kann.<br />

In der HC-Szene mitunter praktizierte Formen des<br />

Engagements bzw. der Meinungsäußerung sind<br />

Aktionen oder auch Demonstrationen. Ihre Organisation<br />

und Durchführung erfordert ‚Fachwissen‘ über<br />

gesetzliche und rechtliche Bestimmungen: man muss<br />

wissen, wo Genehmigungen für Versammlungen im<br />

öffentlichen Raum einzuholen sind bzw. welche<br />

Konsequenzen derartige Aktionen ohne vorherige<br />

Genehmigung haben könnten. 84 <strong>Zur</strong> Mobilisierung<br />

weiterer Teilnehmer an einer solchen Veranstaltung<br />

müssen Organisatoren über ein ausgeprägtes Netzwerk<br />

an Kontakten verfügen – dies setzt wiederum soziale<br />

Kompetenzen in der Herstellung und Erhaltung, sowie<br />

Fähigkeiten der argumentativen Überzeugung potentieller<br />

Mitstreiter voraus. Ein nicht unerheblicher Teil<br />

der Hardcoreler ist ferner dem Mobilisierungspotential<br />

der Antifa-Szene zuzurechnen: Bei ‚bloßer‘ Teilnahme<br />

an einer Aktion oder Demonstration gehören Grundregeln<br />

des situationsadäquaten Verhaltens zum Basiswissen<br />

eines jeden Szenegängers. Diese Grundregeln<br />

beziehen sich zu einem erheblichen Anteil auf den<br />

Eskalationen vermeidenden Umgang mit ‚Ordnungshütern‘,<br />

sie beinhalten (unter anderem) konkrete Anweisungen<br />

zur Diskretion, z.B. die Empfehlung, auf<br />

Demonstrationen keine Adressenbücher mit sich zu<br />

80 Die für ‚Straight Edge-Hardcoreler‘ typische, ablehnende Haltung gegenüber bewusstseinsverän-dernden Substanzen basiert nicht bei allen Szenegängern gleichermaßen<br />

auf einem ausgeprägten Kenntnisstand über die Wirkungsweisen unterschiedlicher Stoffe oder Wissen über gesundheitliche Schäden, die durch legale<br />

oder illegale Drogen hervorgerufen werden können.<br />

81 ‚Tierrechtler‘ können nahezu durchgängig die (bio-)chemischen Fachtermini auf Etiketten von Lebensmitteln, Kosmetikprodukten, Putzmitteln (etc.) sowie auf<br />

den Beipackzetteln von Arzneimitteln ohne Zuhilfenahme eines Wörterbuchs entziffern und so Zusatzstoffe tierischer Herkunft identifizieren.<br />

82 Praktisch gesehen, stellt ‚Kochen‘ in der Hardcore-Szene keine ‚Frauendomäne‘ dar – männliche und weibliche Szenegänger können diesbezüglich als gleichermaßen<br />

kompetent (im Sinne von bereit, fähig und zuständig) angesehen werden.<br />

83 Fertigkeiten, die zu diesem Zweck ausgebildet werden, können ebenso in der Erstellung von Internetseiten wie auch in der Herstellung diverser Printmedien –<br />

sprich: Faltblätter, Plakate oder Sticker, Broschüren, Fanzines oder Fanzine-Artikel, Hefte oder Bücher – bestehen.<br />

84 Da sich nicht alle derart motivierten Einzelpersonen und Gruppierungen vorab umfassend über diesbezügliche Bestimmungen informieren, sondern der<br />

Aktionsform und den zu vermittelnden Inhalten häufig ein vorrangiger Stellenwert beigemessen wird, werden nicht selten so genannte Soli(daritäts)-<br />

Veranstaltungen notwendig: Lokale Veranstalter und Bands schließen sich zusammen, um beispielsweise aus dem (vollständigen) Erlös eines Events Bußgelder<br />

bezahlen zu können. Soli-Konzerte können zudem vorab zur Finanzierung einer Aktion organisiert werden oder schlicht der Unterstützung anderer szeneverwandter<br />

oder -affiner Gruppierungen dienen, wie z.B. Hausbesetzern oder Wagendorfbewohnern. Sie stellen auch in der Antifa- und in der Punk-Szene eine übliche<br />

Veranstaltungsform dar (vgl. dazu: www.jugendszenen.com/antifa).

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