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Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt

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Einleitung in die Problemstellung<br />

„Bildung neu denken“ lautet der Titel eines Zukunftsprojekts,<br />

das die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft<br />

2003 bei der Prognos AG in Auftrag gegeben<br />

hat. 1 Der Fokus dieser und vieler anderer Studien liegt<br />

auf der – teils diagnostizierten, teils hypostasierten –<br />

Unzulänglichkeit des staatlichen Bildungs- und<br />

Ausbildungswesens in Deutschland, also auf Bildungsidealen,<br />

Ausbildungsgängen, -ordnungen und Lehrplänen,<br />

und damit auf dem, was sich als „sichtbares<br />

Bildungsprogramm“ bezeichnen lässt. Angestoßen<br />

und intensiviert durch die Ergebnisse der europaweit<br />

durchgeführten PISA-Studie (OECD 2001), die deutsche<br />

Schüler im Ländervergleich in vielen Bildungs-<br />

‚Disziplinen’ auf einen der hinteren Ränge verweist,<br />

wird hierzulande seither eine Debatte geführt, bzw.<br />

genauer: ein medienöffentlicher Meinungsstreit ausgetragen<br />

über die Leistungsfähigkeit des deutschen<br />

Bildungssystems, an der bzw. an dem sich Politiker<br />

aller Parteicouleurs, Erziehungswissenschaftler und<br />

Lehrer als Repräsentanten der pädagogischen Profession,<br />

Eltern, Intellektuelle usw., aber auch Unternehmer,<br />

Aktionäre und Wirtschaftsfunktionäre beteiligen.<br />

„Bildung geht uns alle an“ ist die nachgerade konsensuelle<br />

Maßgabe, die dieser Debatte zugrunde liegt,<br />

ohne dass sich noch irgendein ‚Feind’ ausmachen<br />

ließe, gegen den ‚mobil’ gemacht werden könnte – mit<br />

Ausnahme des Staatssäckels, das enger geschnürt werden<br />

müsse, weshalb (jedenfalls ‚diesseits’ der neuen<br />

Eliten-Hochschul-Förderung) nicht zuletzt auch Einsparungen<br />

bei den Investitionen in die Bildung (und<br />

damit ‚in die Zukunft’) zu gewärtigen seien. Koch<br />

(2002: 52) bezeichnet ‚Bildung’ infolgedessen als so<br />

genannten ‚Catch all’-Begriff: „Bildlich gesprochen<br />

wird er [der Bildungsbegriff] zur Flagge des Bootes, in<br />

das man, koste es was es wolle, hineinklettern muss,<br />

um nicht unterzugehen. Wenn man die Bildungsfrage<br />

erst einmal so sieht, fragt man nicht mehr so schnell, was<br />

das Boot eigentlich geladen hat; Hauptsache man ist drin.“<br />

Wenngleich im Zuge dieser Debatte die überkommene,<br />

allzu kanonische Vorstellung von ‚Bildung’, sowohl,<br />

was die Formen der Vermittlung, als auch, was<br />

die Frage geeigneter Lernorte, und schließlich auch,<br />

was die zu vermittelnden Inhalte angeht, allmählich<br />

verabschiedet wird zugunsten eines Plädoyers für<br />

(freiwilliges) ‚lebenslanges Lernen’, eignet dem Begriff<br />

der Bildung anhaltend eine Engführung dahingehend,<br />

dass darunter eben der Prozess des Erwerbs<br />

moralisch wünschenswerten Wissens verstanden wird<br />

– und vor allem auch verstanden werden soll –; ein<br />

Erwerb bzw. eine Aneignung, welche gegebenenfalls<br />

zumindest jungen Leuten im Zweifelsfall auch oktroyiert<br />

werden darf oder gar oktroyiert werden muss.<br />

Informelles Lernen als „außerschulisches ad-hoc-<br />

Lernen zur Bewältigung alltäglicher Lebensanforderungen“<br />

rückt derzeit zwar immer stärker ins Zentrum<br />

internationaler Diskussion und Forschung – getragen<br />

allerdings von der Überzeugung, dass diese Lernkontexte<br />

„bewusster erschlossen, gezielter unterstützt und<br />

ggf. auch kreativer angereichert werden“ müssen<br />

(Dohmen 2002: 18 und 22). Idealerweise liefert eben<br />

dazu die hiermit vorgelegte Expertise einen (bescheidenen)<br />

Beitrag, denn im Folgenden konzentrieren wir<br />

uns darauf, selbstständig initiierte und selbstorganisiert<br />

stattfindende Prozesse der Kompetenzentwicklung<br />

in selbstgewählten und eigensinnigen Sozialzusammenhängen<br />

Jugendlicher anhand verschiedener,<br />

nach bestimmten Gesichtspunkten exemplarisch ausgewählter<br />

Jugendszenen – vereinfacht ausgedrückt<br />

also deren ‚unsichtbare <strong>Bildungsprogramme</strong>’ 2 – sichtbar<br />

zu machen.<br />

Vorwegzunehmen ist dabei, dass die jeweiligen detaillierten<br />

Beschreibungen szenetypischer Lernfeldspektren<br />

tatsächlich als ‚szenetypisch’ zu begreifen und<br />

daher nicht beliebig auf andere juvenile Gesellungsformen<br />

übertragbar sind. Vorwegzunehmen ist<br />

1 Ergebnisse dieses Projekts, das Mängel des Bildungssystems auflistet und Empfehlungen zu dessen Optimierung vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen<br />

bis 2020 formuliert, liegen zwischenzeitlich als Studie vor, die im Internet unter ‚http://www.vbw-bayern.de/jsp/3501.jsp’ abgerufen werden kann.<br />

2 Den Begriff des <strong>Unsichtbare</strong>n haben wir von Thomas Luckmann (1991) adaptiert und verstehen ihn insbesondere im Sinne der extensiven Weiterfüh-rung durch<br />

Knoblauch (1991 und 1998).<br />

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