Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt
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Superstar“, „Star Search“, „Fame Academy“ usw. jungen<br />
Leuten in hohem Maße nicht nur öffentliche<br />
Aufmerksamkeit, sondern öffentliche Begeisterung, ja<br />
Huldigung in Aussicht stellen, befindet sich das elektronische<br />
Bildmedium ‚Fernsehen’ derzeit auf einem<br />
kaum vorstellbaren Siegeszug als im hier vertretenen<br />
Sinne ‚unsichtbare Bildungsinstitution’.<br />
Die – allem Anschein nach längerfristige – Attraktivität<br />
dieser neuen Formate resultiert unseres Erachtens<br />
ganz wesentlich daraus, dass sie die Genese von<br />
Erfolg, d.h. die Entwicklung und Aneignung von<br />
Performance-Kompetenzen im Sinne von Leistungen<br />
nachvollziehbar machen und damit ein Versprechen<br />
(‚Erfolg ist machbar’) mit hohem Realitätsgehalt<br />
transportieren. Die Genese von Erfolg, die im Rahmen<br />
von Wettbewerben und mit der Bereitstellung von<br />
Hintergrundinformationen medial vermittelt und<br />
damit erfahrbar wird, wird zum alternativen Bildungsprogramm<br />
für die Masse junger, ‚normaler’ Fernsehzuschauer.<br />
Denn hier wird anscheinend keiner allein<br />
gelassen: Man lernt nicht allein. Man trainiert nicht<br />
allein. Man hofft nicht allein. Man leidet nicht allein.<br />
Aber man lernt. Man trainiert. Man hofft. Man leidet.<br />
Und deshalb hat man die Chance, jemand zu werden –<br />
gerade dann, wenn man nicht sicher ist, jemand zu<br />
sein. Der gecastete ‚Star’ markiert als Idee folglich das<br />
– zumindest vorläufige – Ende des Geniekults. Er ist<br />
das Gegenteil jenes Helden, der aus dem biographischen<br />
Nichts ins Rampenlicht tritt.<br />
Der gecastete ‚Star’ muss nicht nur einfach etwas können,<br />
sondern er muss sich jenes Können erarbeiten,<br />
muss sich disziplinieren, an Regeln halten, Opfer bringen,<br />
sich als zuverlässig und fleißig erweisen und vor<br />
allem: durchhalten, gehorchen, parieren – am besten<br />
vor den Augen der Fernsehzuschauer, die an ihm, die<br />
an seinem Beispiel lernen, nicht nur dass, sondern<br />
auch wie sie ihre Gewinnchancen in dieser ‚Lotterie<br />
des Lebens’ steigern können: Eben dadurch, dass sie<br />
sich – tunlichst widerspruchslos – von solchen neuen<br />
Autoritäten wie Dieter Bohlen oder Detlef „Dee“<br />
Soost anschnauzen und zusammenstauchen oder<br />
wenigstens von Juroren wie Jeanette Biedermann und<br />
Hugo-Egon Balder verbal betatschen und emotional<br />
begrapschen lassen.<br />
Gleichwohl gibt es für die Kandidaten der Casting<br />
Shows viel zu gewinnen und wenig zu verlieren. Denn<br />
selbst eine für den schlussendlichen Sieg unzureichende<br />
Selbstinszenierung zieht doch ein hohes Maß an<br />
öffentlicher Aufmerksamkeit – und auch an finanziellen<br />
Vorteilen – nach sich. Insofern fungieren die<br />
Casting Shows für die vielen jungen Menschen, sozusagen<br />
für all die ’Normalos’, die diese Sendungen<br />
‚draußen an den Bildschirmen’ verfolgen, tatsächlich<br />
als eine ‚Lotterie des Lebens’, als dieses Format eben<br />
verspricht, ihnen – allen – die Chance zu eröffnen,<br />
einen in praktisch jeder Hinsicht ‚profitablen’<br />
Bekanntheitsgrad zu erlangen – und infolge dieses<br />
Bekanntheitsgrades dann vielleicht wenigstens für<br />
einen gewissen Zeitraum auch tatsächlich zu so etwas<br />
zu werden wie ein 'Star'; wie ein Wesen also, das die<br />
Rand- und Rahmenbedingungen normaler Lebenserwartungen<br />
vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen<br />
und sozialstaatlichen Krisen (und d.h.<br />
nicht zum wenigsten eben auch die ‚Auferlegtheit’<br />
leerlaufender Ausbildungsprogramme) individuell erfolgreich<br />
zu transzendieren – und damit auch zu ignorieren<br />
– vermag.<br />
7.4 Zukunftsperspektiven<br />
Sowohl für Szenegänger als auch für Casting-‚Stars’<br />
erscheint, dies sei hier abschließend und zugleich weitergehende<br />
potentielle Forschungsperspektiven aufschließend<br />
erwähnt, die sogenannte Kulturindustrie<br />
typischerweise nicht mehr als das ‚fremdartige’<br />
Gegenüber, das, je nach Sichtweise, unterhält oder<br />
manipuliert, oder manipulativ unterhält, oder unterhaltsam<br />
manipuliert. 205 Als ‚lebensfremde’ Mischung<br />
aus manipulativem Erziehungs- und (wenig) unterhaltsamem<br />
Informationsprogramm erscheint viel eher das,<br />
was das tradierte Bildungswesen ‚anbietet’. Die sogenannte<br />
Kulturindustrie wird demgegenüber eher und<br />
durchaus folgerichtig zum Geschäftspartner einer<br />
omnipräsenten, d.h. einer sich in alle Lebensregungen<br />
hinein erstreckenden und nahezu alle Menschen erfas-<br />
205 Anders könnte dies bei der ‚bewegten Szene’ der Globalisierungskritker aussehen, deren zentrales Thema, die Kritik am globalen 'Neoliberalismus', insbesondere<br />
seit den Ereignissen am Rande der WTO-Konferenz in Seattle im Herbst 1999 zunehmend öffentliche Beachtung gefunden hat. Die<br />
Globalisierungskritikerschaft gilt zum einen als neuartige politische Kraft, die anhaltend in der Lage sein könnte, Gerechtigkeitsdefizite im Rahmen transnationaler<br />
Politik zu reduzieren oder zumindest nachhaltig zu thematisieren; und sie gilt zum anderen als neuartige kulturelle Kraft, in der jugendliches Spaß-Haben,<br />
gesellschaftliches Engagement und Medienkompetenz zu einem zugleich erlebnisorientierten und remoralisierten ‚Zeitgeist’ verschmelzen. Aber auch wenn diese<br />
neue kollektive Agitationsform aller, auch bildungspolitischen, Aufmerksamkeit wert ist, würde eine Berücksichtigung der Globalisierungskritikerschaft doch die<br />
Grenzen dieser Expertise sprengen.