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Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt

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senden Jugendkultur 206 ; zu einem Geschäftspartner,<br />

über dessen Eigeninteressen sich (so gut wie) niemand<br />

mehr Illusionen macht, den aber auch kaum noch<br />

jemand dämonisiert. Die Abwicklung der ‚Geschäfte’<br />

geschieht dabei keineswegs verlässlich oder gar im<br />

gegenseitigen Vertrauen. Vielmehr ist beiden bzw. allen<br />

Seiten ständig darum zu tun, sich mittels innovativer<br />

Konzepte wenigstens kurzfristige Ausbeutungsvorteile<br />

gegenüber dem anderen zu verschaffen. Aber<br />

dieses Spiel um punktuelle Vorteile durch unentwegte<br />

Erhöhung der Komplexität der Spielregeln sowie<br />

durch situative Umnutzung derselben wird selber zum<br />

integralen Bestandteil des kulturellen Vergnügens. 207<br />

Dem ganz entsprechend ist – einer Untersuchung von<br />

Waldemar Vogelgesang (2004) zufolge – mehr als die<br />

Hälfte (genauer: 53%) der jungen Menschen heute<br />

zukunftsfroh gestimmt, und weitere 44% sind immer<br />

noch eher optimistisch, während nur 3% sich um das<br />

Morgen ernsthaft sorgen. Allerdings betreffen diese<br />

positiven Erwartungen eben weit eher die je eigene<br />

Existenz. Dem weiteren Fortgang ‚des Ganzen’ sehen<br />

die meisten Heranwachsenden eher pessimistisch entgegen<br />

(wirtschaftlicher Niedergang, ökologische<br />

Katastrophen, gewaltförmige Auseinandersetzungen).<br />

Was wir also erkennen können, ist ein deutliches<br />

Vertrauen in die eigenen Stärken und ein fast ebenso<br />

deutliches Misstrauen gegenüber den sogenannten<br />

gesellschaftlichen Kräften: 70% glauben, dass die<br />

ökonomischen Krisen nicht nur andauern, sondern<br />

noch zunehmen werden, gar 93% befürchten, dass die<br />

Zeiten, in denen mehr oder weniger jeder einen akzeptablen<br />

Arbeitsplatz finden kann, in den westlichen<br />

Industriestaaten endgültig vorbei sind.<br />

Zwischen dem Kampf um (dauerhaft gesicherte) entlohnte<br />

Arbeit und dem Kampf um Aufmerksamkeit<br />

und soziale Anerkennung entscheiden sich deshalb<br />

immer mehr Menschen für den letzteren. ‚Seinen eigenen<br />

Weg gehen’ impliziert für junge Menschen aber<br />

nicht, jedenfalls nicht zwangsläufig, ihn gegen oder<br />

‚auf Kosten’ anderer zu gehen. Zumindest darin gar<br />

nicht so unähnlich den typischen Szenegängern, wollen<br />

sich auch die ‚Stars’ der Zukunft vielmehr typischerweise<br />

im Kreise anderer ‚selbst’ verwirklichen.<br />

Ganz man selber zu sein, steht dergestalt nicht im<br />

Gegensatz zu kollektivem Spaß-Haben und zur<br />

Gemeinschaftsbildung – jedenfalls dann, wenn dies<br />

‚mit den richtigen Leuten’ (und) ‚mit den richtigen<br />

Ideen’ geschieht.<br />

Die sich ins Scheinwerferlicht medialer Öffentlichkeiten<br />

Drängenden hie und die sich in soziale Sonderwelten<br />

Einspinnenden da bezeichnen somit lediglich<br />

zwei sich nicht nur ergänzende, sondern immer wieder<br />

ineinanderfließende Ausformungen symptomatischer<br />

Kompetenz-Bildung in einer Welt, die vom Heute ins<br />

Morgen dreht.<br />

206 Das lässt sich vielleicht exemplarisch am Betrieb von uns so genannter postmoderner Erlebnisstätten illustrieren: Als ‚postmoderne Erlebnisstätten’ bezeichnen<br />

wir architektonisch auf einen thematischen Fokus hin gestaltete Areale, in welche Menschen mit dem Versprechen auf besondere Erlebnisse gelockt werden –<br />

insbesondere also sogenannte Kunstwelten, Konsumwelten, „Kulissen des Glücks“, künstliche Paradiese, Freizeitwelten, Freizeitparks, Ferienwelten,<br />

Ferienzentren, Center Parcs, Urban Entertainment Centers, Infotainment Centers, Clubanlagen, Themenparks usw. Postmoderne Erlebnisstätten sind so etwas wie<br />

Architektur gewordene Events. Das heißt, sie sind Orte der Verstetigung von aus dem Alltag herausgehobenen Erlebnisqualitäten; von Erlebnisqualitäten mit relativ<br />

hoher Anziehungskraft für relativ viele Menschen. Diese Anziehungskraft resultiert wesentlich aus der Erwartung eines hohen, typischerweise verschiedene<br />

Kulturformen übergreifenden Spaß-Erlebens (denn ihren Spaß haben zu wollen ist – allen gegenwärtigen wirtschaftlichen Problemen zum Trotz – das einzige<br />

Prinzip, dem die meisten von uns bei dem, was sie tun, heutzutage noch freiwillig folgen). Eben dem müssen die Betreiber postmoderner Erlebnisstätten in<br />

besonderem Maße – und mit dem ganzen aus der Launenhaftigkeit ihrer potentiellen Besucher resultierenden Risiko – Rechnung tragen. Entgegen dem von kritischen<br />

Intellektuellen so gerne vorgebrachten Verdacht der perfiden Manipulation ahnungsloser Verlustierungsmassen lässt sich bei etwas genauerer Betrachtung<br />

somit unschwer konstatieren, dass Erlebnisstätten-Betreiber kaum irgendwelchen Ordnungsmachtphantasien huldigen, sondern eher der überaus schwankenden<br />

Gunst ausgesprochen schwer auszumachender ‚Zielgruppen’ hinterherhecheln.<br />

207<br />

„Im lustvollen und spaßbetonten Gebrauch kommerzieller Formen drücken Jugendliche Sinn, Existenz und ihre Identität aus. Dabei bilden sich unterschiedliche<br />

elementare Ästhetiken heraus“ (Winter 1997: 65).<br />

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