Unsichtbare Bildungsprogramme? Zur ... - Nordrhein-Westfalen direkt
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en emanzipatorischen Bildungsdebatte), womit jetzt<br />
aber gemeint ist, dass jeder selbst in Eigeninitiative<br />
seine Lernprozesse zu organisieren und zu steuern<br />
habe“ (Griese 1999: 32). Diese Rückverlagerung des<br />
‚Bildungsgebotes’ an das Individuum zeitigt wiederum<br />
ambivalente Konsequenzen: „Einerseits ist Bildung<br />
Vorbereitung auf das berufliche Leben in einer neuen,<br />
von Verwertungs- und Konkurrenzzwängen durchdrungenen<br />
Gesellschaft, andererseits wird sie zur Voraussetzung,<br />
sich dem gesellschaftlichen ‚Verfügungsdruck‘<br />
zu entziehen, indem sie auf ‚Selbstbewusstwerdung‘,<br />
‚eigenständige Handlungsfähigkeit‘ und<br />
‚Selbstermächtigung‘ orientiert“ ist (Bernhard 2001:<br />
13). Dementsprechend impliziert ‚Bildung’ gegenwärtig<br />
vor allem die Erweiterung von Möglichkeiten des<br />
Handelns und Weltverstehens zu einem vielfältigen<br />
Instrumentarium, aus dem das Individuum – entsprechend<br />
dem, was ihm lebenspraktisch relevant bzw.<br />
‚genehm’ erscheint – selber auswählen kann. 11<br />
Summarisch können wir also festhalten, dass die mannigfaltigen<br />
bildungstheoretischen Ansätze – bei aller<br />
skizzierten Heterogenität – gekennzeichnet sind durch<br />
eine gemeinsame Präferenz für ein weites Begriffsverständnis,<br />
dem zufolge Bildung als notwendige<br />
Voraussetzung zur Ausschöpfung menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten<br />
schlechthin angesehen wird. Denn<br />
Bildung im formalen Sinne meint die gesamte Entfaltung<br />
von Handlungsmöglichkeit im grundlegenden<br />
Sinne von Kompetenz, meint letztendlich also den<br />
(lebenslangen) Prozess der Befähigung zur Problembewältigung.<br />
12<br />
Demgegenüber intendieren ‚materiale’ Bildungstheorien<br />
die Vermittlung ‚objektiver’ Bildungsinhalte<br />
im Sinne kultureller Traditionsbestände, welche als<br />
Wert(e) an die je nachfolgende Generation weitergegeben<br />
werden sollen. 13 Dabei liegt jeder inhaltlichen Bestimmung<br />
von Bildung die Vorstellung kanonisierbaren<br />
Wissens zum einen und konsensuell ‚wertvollen’<br />
Wissens zum anderen zugrunde. Auch rezent verweisen<br />
konservative Bildungshüter auf den (durchaus<br />
auch praktisch) hohen Wert der von ihnen je als relevant<br />
erachteten Bildungsgüter. So thematisiert etwa<br />
der Historiker Paul Nolte (2003: 9) die ‚Bewertung<br />
und Hierarchisierung von Kultur’ als unausweichliche<br />
Notwendigkeit – nach seiner Einschätzung ist „Lesen<br />
(…) tatsächlich ‚besser’ als Fernsehen oder Gameboy<br />
und die Lektüre eines guten Romans oder Sachbuchs<br />
wieder ‚besser’ als die von Trivialliteratur oder der allgegenwärtigen<br />
Ratgeber.“ ‚Besser’ sei dabei nicht mit<br />
Bildungsdünkel zu verwechseln, sondern lasse „sich<br />
konkret übersetzen in: Kreativität fördernd, soziale<br />
Kompetenzen stärkend, individuelle Chancen eröffnend.“<br />
Dagegen ist nun allerdings, mit Langewand (1994),<br />
einzuwenden, dass materiale Bildungsansätze –<br />
zumindest heutzutage – sich prinzipiell als problematisch<br />
erweisen, da beispielsweise weder (mehr) die<br />
‚Werke der großen Meister‘ in Literatur, Kunst und<br />
Musik, noch gar die Vorstellung, dass nur das als<br />
Bildung gelten dürfe, was Gegenstand wissenschaftlicher<br />
Abhandlung(en) sei, einen universellen Gültigkeitsanspruch<br />
erheben können.<br />
1. 2 Juvenilität und<br />
die ‚Verführung’ zur Zerstreuung<br />
Verallgemeinert gesprochen folgt daraus, dass sich<br />
unter den kulturellen Bedingungen unserer Gegenwartsgesellschaft<br />
kein normativer Standpunkt für<br />
irgendein Bildungskonzept mehr ausmachen lässt, der<br />
nicht (hochgradig) strittig bzw. durch entsprechende<br />
Gegenpositionen bereits unterminiert wäre. Modernisierungstheoretisch<br />
betrachtet konkurriert und konfligiert<br />
folglich die herkömmliche 'Pflicht' zur Bildung<br />
auf dem zunehmend pluralisierten und infolgedessen<br />
für den potentiellen Bildungskonsumenten zusehends<br />
‚offenen’ Markt der Wissensangebote mit einer allge-<br />
11 Gegenüber der bildungstheoretischen ist die bildungspolitische Diskussion derzeit wesentlich durch die Anpassung des Schul- bzw. Bildungswesens an das<br />
sogenannte digitale Zeitalter bestimmt. Zudem wird, zur ‚optimalen’ Nutzung vorhandenen Wissens, bildungspolitisch verstärkt auf die Entwicklung neuer<br />
Formen der Anerkennung und der Vergleichbarkeit von Kompetenzen (vgl. Bjørnåvold 2001) sowie auf den ‚Praxisbezug’ (aller Arten) von Ausbildungen gesetzt.<br />
Weitere programmatische Leitideen gegenwärtiger Bildungspolitik bestehen in der Förderung generalistischer Kompetenzen mit dem Ziel der ‚Employability’ und<br />
in der Ausprägung der Fähigkeit zu lebenslangem Lernen (vgl. Döbert u.a. o.J.). Und nicht zuletzt sollen eben ‚adäquate’ pädagogische Programme zur Behebung<br />
insbesondere jener ‚Mängel’ entwickelt werden, welche im Rahmen der PISA-Studie diagnostiziert worden sind.<br />
12 In diesem Verstande greift es zu kurz, Bildung mit der Aneignung von Wissensinhalten oder gar mit der Vermittlung von ‚skills’, d.h. von (Sach-)Kenntnissen<br />
und auf konkrete (Berufs-)Tätigkeiten bezogenen Fertigkeiten und Fähigkeiten, gleichzusetzen.<br />
13 Auch im Rahmen bildungspolitischer Zielformulierungen meint Bildung in der Regel eine Art zweckgerichtete Vorbereitung des Einzelnen auf die Übernahme<br />
von einmal mehr, das andere mal weniger konkretisierten Funktionen innerhalb der Gesellschaft. Damit wird Bildung im Verstande von Ausbildung auf die<br />
Vermittlung von auf spezielle Verrichtungen oder Berufe ausgerichtete Fertigkeiten, Fähigkeiten und Qualifikationen reduziert.<br />
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